Review

Dutch Connection: Kinder aus Amsterdam

Seine dritte Regiearbeit für die „Tatort“-Krimireihe absolvierte Schimanski-Miterfinder Hajo Gies für den fünften Fall der Duisburger Ermittler um die Kommissare Schimanski (Götz George) und Thanner (Eberhard Feik). Die Episode „Kuscheltiere“ nach einem Drehbuch des Niederländers Chiem van Houweninge, zugleich Schauspieler des Duisburger Polizeikollegen „Hänschen“, wurde am 12.12.1982 erstausgestrahlt.

„Der Infektionsherd muss so schnell wie möglich lokalisiert werden!“

Der Rhein schwemmt ein totes ostasiatisches Mädchen an. Offenbar war es den Folgen einer Typhus-Infektion erlegen und wurde auf diese Weise anonym „seebestattet“. Schimanski und Thanner hegen den Verdacht, es habe sich um ein illegal adoptiertes Kind gehandelt. Tatsächlich führt diese Spur zu einem Amsterdamer Vermittlungsbüro, das auch von deutschen adoptionswilligen Paaren konsultiert wird: In den Niederlanden ist dieses Geschäftsmodell im Gegensatz zu Deutschland legal. Zusammen mit Hänschen reisen Schimanski und Thanner nach Amsterdam, treten dort jedoch auf der Stelle: Aufgrund eben jener Gesetzeslage können die niederländischen Kollegen den deutschen Ermittlern nicht weiterhelfen. Schimanski sieht als letzten Ausweg einen Einbruch ins Vermittlungsbüro, um an die Adressdaten potentieller deutscher Adoptiveltern des toten Kinds zu gelangen…

„Amsterdam ist nicht Chicago!“

Ein treibendes Progrock-Stück wechselt sich mit der altbekannten „Haschisch Tulpen aus Amsterdam“-Melodie in diesem „Tatort“ über deutsch-holländische Zusammenarbeit und Seuchengefahr, vor allem aber über Adoption und Ausländerfeindlichkeit, ab. Beim Leichenfund hält sich Schimmi eine Boulevardjournalistin vom Leib, muss sich aber trotzdem mit den Schlagzeilen des Revolverblatts herumplagen, das zudem eine ausländerfeindliche Stimmung schürt. In einer der vielen berüchtigten Kneipenszenen der Schimanski/Thanner-„Tatorte“ tritt Dieter Pfaff („Tatort: Hetzjagd“) als Rowdy auf den Plan und geht ein fast schon kleinwüchsiger Rassist (Jürgen Mikol, „Alles Atze“) auf Thanner los, der sich im Zuge dessen versehentlich den Arm aufschneidet. Rau ging es zu in Duisburg.

„Dieser leidige Papierkram – ist ja fast wie in Deutschland!“

Neben ausländerfeindlichen Ressentiments und der unrühmlichen Rolle der Sensationspresse thematisiert und kritisiert „Kuscheltiere“ die hohen Hürden deutscher Behörden für adoptionswillige Paare, die als Grund dafür angeführt werden, dass sich an kommerzielle Organisationen gewandt wird. So stoßen Schimmi und Thanner dann auch auf Adoptiveltern, die sich aus genau diesem Grund die kleine ostasiatische, glücklicherweise gesunde May regelrecht gekauft haben. Diese rücken die Kontaktdaten der Amsterdamer Agentur heraus, woraufhin es zu dritt nach Holland geht. Schimanski gabelt sich die attraktive Amsterdamerin Mareike (Geert de Jong, „Der 4. Mann“) auf und ermittelt inkognito, indem man sich zu zweit als adoptionswilliges Paar ausgibt. Dadurch erhält Schimanski zumindest einen Einblick in die Räumlichkeiten, in die er später als Einbrecher eindringt – und erwischt wird. Eine wüste Schlägerei entbrennt und ruft die örtliche Polizei auf den Plan. Schimanski scheint mit seinen zu den Charakteristika seiner „Tatort“-Episoden gehörenden, polarisierenden Methoden diesmal nicht durchzukommen.

Als erste von mehreren Wendungen scheint er jedoch mehr Glück als Verstand zu haben, denn sozusagen als Nebenprodukt seines Eingriffs stellt sich heraus, dass das Unternehmen in ganz andere, diesmal auch in den Niederlanden illegale Geschäfte verstrickt ist. Doch Vorgesetzter Königsberg (Ulrich Matschoss) denkt gar nicht daran, Schimanskis Alleingang zu bejubeln, sondern suspendiert ihn kurzerhand. Und noch immer sind die Adoptiveltern der Toten und somit der mögliche Typhus-Herd nicht ermittelt. Doch am Ende überschlagen sich die Ereignisse und es gibt sogar noch so etwas wie einen Cliffhanger im horizontalen Narrativ mit auf den Weg.

Das geht dann vielleicht alles etwas schnell und steht im dramaturgischen Kontrast zum etwas behäbigen Aufbau – dafür gelang es Gies aber, in knapp 90 Minuten mehrere verschiedene Topoi unterzubringen und zielführend miteinander zu verknüpfen. Die Schimanski-Folklore wird mit Kneipenszenen, Raufereien und Gesetzesübertretungen voll bedient und findet in der Suspendierung ihren vorläufigen Höhepunkt. Gegenüber Mareike darf sich Schimmi zudem als Frauenheld präsentieren. Sie erfüllt das Klischee des leicht zu habenden Mädels im liberalen Holland, ist aber ebenso schnell wieder weg, wie Schimmi sie sich angelacht hatte. Der Königsberg zeitweise vertretende Dr. Born (Christoph Hofrichter, „Didi und die Rache der Enterbten“) erweist sich als nervige, arrogante Antipode zu Schimanski, dessen Rüpelhaftigkeit wiederum langsam auf Thanner abzufärben scheint: Dieser erleichtert sich öffentlich an einer Gebäudeecke und kabbelt sich derart mit seiner Sylvia, dass sie ihn letztlich vor die Tür setzt. Eine sehenswerte Episode mit einmal mehr viel sozialem Gewissen, etwas Sprengstoff für gesellschaftliche Debatten, diesmal gar doppeltem Lokalkolorit im Sinne der Völkerverständigung und einer weiteren Ausdefinition der Hauptfiguren, sodass man nicht nur aufgrund des Cliffhangers das nächste Abenteuer der „Drei Ausrufezeichen“ Schimanski, Thanner und Hänschen kaum erwarten kann. Interessant zu wissen wäre indes gewesen, wie der Fall ohne kräftige Unterstützung durch Kommissar Zufall hätte gelöst werden können…

Details
Ähnliche Filme