Schon als Teil des Regie-Duos der Mo Brothers waren die Thriller, Horrorfilme und Actionreißer von Timo Tjahjanto keine Kinder von Traurigkeit. Das hat sich bei „The Night Comes for Us“ nicht geändert, seinem Solo-Regiedebüt, das sein früherer Mo-Bruder Kimo Stamboel als Produzent begleitete.
Einige Texttafeln leiten kurz in den Mikrokosmos des Films ein, der sich um ein Triadensyndikat dreht, das über Chinas Landesgrenzen hinaus agiert und seine sechs Chefvollstrecker, die Six Seas, mit besonders groben Aufgaben betreut – etwa der Auslöschung eines Fischerdorfs in Indonesien, nachdem die Bewohner wegen Diebstahls von Triadengeld auf der Shitlist des Syndikats gelandet sind. Ito (Joe Taslim) führt die Truppe an, doch als das kleine Mädchen (Asha Kenyeri Bermudez) bei der Strafaktion sterben soll, blendet der Film ab, es folgt ein Schnitt, und es ist zu erkennen, dass sich Ito den Befehlen widersetzt, Reina gerettet und die eigenen Leute dafür getötet hat. Es ist die alte Geschichte des Gangsters, der irgendwann doch seine Menschlichkeit wiederentdeckt, gerade im asiatischen Actionfilm beliebt, weshalb man in „The Night Comes for Us“ immer wieder Anklänge des Heroic-Bloodshed-Genres findet.
Als Ito Unterschlupf bei seinen alten Freunden sucht, fordern die Triaden einen anderen alten Freund Itos an, der gerade für sie in Macao arbeitet: Arian (Iko Uwais). Während Ito versucht Pässe für sich und Reina zu organisieren, macht Arian mit einer ganzen Horde von Handlangern Jagd auf die beiden…
Dass sich Tim Tjahjanto als Regisseur und Drehbuchautor ganze zwei Stunden Zeit für diesen Film nimmt, ist schon ein gewagtes Unterfangen, denn wirklich viel passiert nicht. Ito mischt Leute bei der Suche nach Pässen auf, die Triaden mischen Ito und die Seinen in mehreren Scharmützeln auf und irgendwann greift eine namenlose Killerin (Julie Estelle) aufmischend ein, die noch eine Rechnung mit den Six Seas offen hat. Über sie und ihre Hintergründe erfährt man quasi gar nichts, Hauptsache es mischt noch wer mit im Martial-Arts-Gewusel. Doch so simpel das Ganze auch ist, so viel Zug hat es auch, denn auch wenn sich „The Night Comes for Us“ etwas kürzer fassen könnte, so gehen die zwei Stunden doch erfreulich schnell und längenfrei herum – wesentlich mehr als die vorige Kooperation diverser Beteiligter, „Headshot“. Natürlich wäre es schön, wenn einige Ansätze konsequent zu Ende gedacht würden, aber hier geht es hauptsächlich um die Action.
Und die Action hat es in sich, denn Tjahjanto fährt in den zwei Stunden das volle Programm des Kampfkunstfilms ab: Einer gegen einen, zwei gegen eine, einer gegen eine ganze Horde, mit Hieb- und Stichwaffen oder ohne, gelegentlich auch mit Knarreneinsatz, wobei die wenigen Shoot-Outs dynamischer als in „Headshot“ sind. Phantasievoll wird die Umgebung in die stark choreographierten Fights miteinbezogen, vom Billardtisch bis zum Inventar einer Fleischerei, in der Köpfe von gefrorenen Rinderhälften zermatscht und Gegner an Fleischerhaken aufgehängt werden. Denn wie schon die vorigen Filme des Regisseurs ist „The Night Comes for Us“ eine extrem blutige Angelegenheit, bei welcher die Kontrahenten aufs Blutigste erschossen, aufgeschlitzt und zerfetzt werden, bei der Knochen gebrochen und Gedärme freigelegt werden, sodass „The Night Comes for Us“ bereits Züge des Splatterfilms trägt. Daneben sehen diverse Actionreißer vergangener Dekaden wie Kindergeburtstage aus.
Natürlich profitiert der Film von seiner Belegschaft, die größtenteils bereits in „Headshot“ sowie „The Raid“ und „The Raid 2“, also jenen zwei Actionfilmen, die Indonesien auf die Landkarte des Genrefans packten, anwesend waren. Joe Taslim macht sich als resignierter Vollstrecker sehr gut, während Iko Uwais recht überzeugend seinen Gegenspieler gibt, von dem man nie genau weiß, ob er sich doch irgendwann auf Itos Seite stellen wird oder doch den Triaden treu bleibt. Julie Estelle spielt stark auf als mysteriöse Killerin, die später einen famos choreographierten Fight gegen die gegnerischen Grazien Elena (Hannah Al Rashid) und Alma (Dian Sastrowardoyo) aufs Parkett legt. Auch wenn die Darsteller alle mehr als brauchbar sind, vor allem Taslim und Estelle, so sind sie doch viel mehr als Kampfkünstler gefragt – und das wissen eigentlich alle Beteiligten zu liefern.
Im fast schon obligatorischen Vergleich mit den „The Raid“-Filmen muss man natürlich feststellen, dass „The Night Comes for Us“ die Größe, der Wille zu mehr fehlt: War „The Raid“ fast schon ein Metafilm, der die Essenz des Actionkinos zu einem Maßstäbe setzenden Reißer komprimierte, und „The Raid 2“ ein ausladendes Martial-Arts-Gangsterepos, so begnügt sich „The Night Comes for Us“ damit dem Genrefan die volle Packung Action ohne große Ablenkungen und ohne viel Reue zu präsentieren. Allenfalls die Anklänge ans Heroic-Bloodshed-Genre verleihen „The Night Comes for Us“ etwas mehr Profil, wenn zwischendurch – auch in Rückblenden – erörtert wird, wie Ito und seine ehemalige Crew nun da ankamen, wo sie jetzt sind, und wie sich das auf die aktuelle Situation auswirkt. Es geht um enttäuschte Erwartungen, um anhaltende und zerbrochene Freundschaften, um Neid, was die sonst eher standardmäßigen Figuren mit etwas mehr Leben füllt. Auch wenn man festhalten muss, dass Tjahjanto kein Gareth Evans und erst recht kein John Woo ist: Der Mut zum Männermelodrama, zum gelegentlichen Pathos, der fehlt „The Night Comes for Us“, wodurch der Dramaanteil eher klein bleibt.
So ist „The Night Comes for Us“ im Endeffekt eine ultrabrutale Gewaltorgie für all jene, für die die Formulierung „ultrabrutale Gewaltorgie“ nicht direkt mit Negativkritik gleichzusetzen ist: Der Plot ist simpel, mancher Hintergrund könnte besser ausgearbeitet sein, aber es gibt die volle Packung Martial-Arts-Action mit stark choreographierten Fights und Härten, die schon an den Splatterfilm erinnern. Kein „The Raid“, aber derbes Entertainment für den Genrefan.