„Es war nicht schlau, für so etwas zu beten.“
Die „Halloween“-Kult-Slasher-Reihe, einst von John Carpenter subgenredefinierend erschaffen, wurde 1995 mit dem sechsten (eigentlich fünften, „Halloween III“ hatte nichts mit der Reihe zu tun) Teil zufriedenstellend abgeschlossen (zumindest im Producer’s Cut, hierzulande leider weitestgehend unbekannt). Die Klammerbemerkungen deuten es an: Mit den „Halloween“-Fortsetzungen ist’s nicht ganz so einfach. 1998 brachte man dann „Halloween H20“ in die Kinos, der sämtliche Fortsetzungen nach Teil 2 ignorierte und an eben jenen anknüpfte. Mit „Halloween: Resurrection“ erfuhr „H20“ im Jahre 2002 eine mit viel Wohlwollen gerade noch durchschnittliche Fortsetzung, in der man den groben Fehler beging, Laurie Strode sterben zu lassen. Rob Zombie wiederum setzte 2007 ein Remake des ersten „Halloween“-Streifens um und verhob sich dabei, den offenbar mit einer dunklen Macht im Bunde stehenden Serienmörder zu entmystifizieren und ins White-Trash-Milieu zu verlagern. 2009 fügte er seiner Neuinterpretation eine eigene, durchaus originelle Fortsetzung hinzu. Zum 40-jährigen Jubiläum des Carpenter-Originals produzierte man nun eine neue Fortsetzung, die sämtliche Remakes und bisherigen Fortsetzungen ignoriert und im Herbst 2018 pünktlich zu den Halloween-Feierlichkeiten unter dem ein weiteres Remake suggerierenden, schlichten Titel „Halloween“ in die Lichtspielhäuser fand. Die Kontinuität der Reihe ist also vollends zerstört, durch ihre vielen Teile durchzusteigen erfordert fast schon einen Magister in Stalk’n’Slash.
Nichtsdestotrotz waren die Vorzeichen durchaus vielversprechend: Niemand Geringerer als John Carpenter höchstpersönlich trat als Produzent in Erscheinung (nun gut, das tat er bei der vermurksten „The Fog“-Neuverfilmung ebenfalls). Für die Rolle der Laurie Strode stellte sich einmal mehr die großartige Jamie Lee Curtis zu Verfügung und auch ihr Gegenspieler wurde von einem alten Bekannten verkörpert: Unter der Myers-Maske atmet Nick Castle, der Michael aus dem Original, schwer. Mit David Gordon Green („Bad Sitter“) fiel die Wahl auf einen unverbrauchten, unvorbelasteten Regisseur, der sich auch am Drehbuch Jeff Fradleys und Danny McBrides beteiligte. Die inhaltliche Prämisse liest sich dann wie folgt:
Zwei Journalisten suchen den Kontakt zu Michael Myers in der Nervenheilanstalt sowie zu dessen Beinahe-Opfer Laurie Strode in Haddonfield, die er in der Halloween-Nacht vor 40 Jahren umzubringen versuchte. Sie treffen auf einen stummen, apathischen, gealterten Mann imposanter Statur sowie auf eine Frau, die mittlerweile Großmutter ist, schwer traumatisiert ihr gesamtes Leben jedoch den Vorbereitungen auf eine weitere Attacke Michael Myers‘ gewidmet hat, um sich optimal verteidigen zu können und sich so teuer wie möglich zu verkaufen. Ihrer Familie ging und geht sie damit schwer auf die Nerven, zumal man ihre Ängste nicht ernstnimmt. Man hält sie für eine paranoide, verschrobene Spinnerin, die den Bezug zur Realität verloren hat, und meidet ihren Kontakt. Doch als Michael in eine neue Anstalt verlegt werden soll, gelingt ihm die Flucht. Er begibt sich ohne Umwege nach Haddonfield und hinterlässt eine blutige Spur. Dies bedeutet akute Lebensgefahr für Laurie und ihre Familie, jedoch auch Lauries Chance auf Rache…
Green taucht den Film in eine herbstliche Neo-Noir-Atmosphäre, die den erlittenen Traumata der Protagonistinnen und ihrer tiefen Traurigkeit Ausdruck verleiht, womit diese neue Fortsetzung sensibler und stärker einem etwaigen Realismus verhaftet eröffnet als manch anderes Genrefilm-Sequel. Die Szenen, die den unmaskierten Myers im hellen Anstaltsdress auf dem Innenhof zeigen, auf dem er an eine Figur auf einem Spielbrett gemahnt, sind von visueller und inszenatorischer Brillanz. Den Zuschauerinnen und Zuschauern bleibt Myers‘ Gesicht weiterhin verborgen, jeglicher Entmystifizierung enthält man sich dankenswerterweise. Über Dialoge wird die Figur des unsagbar Bösen skizziert, bis sie selbst zur Tat schreiten und mittels heftiger Brutalität ihren Ruf untermauern darf. Parallel findet ein Familiendrama statt, in dessen Rahmen Lauries Tochter (Judy Greer, „Verflucht“) und Lauries Enkelin Allyson (Andi Matichak, „Evol: The Theory of Love“) den Zuschauerinnen und Zuschauern vertraut gemacht werden. Nach reichlich „Kanonenfutter“ kippt das Drama in einen actionreichen, knallharten Überlebenskampf, in dem Laurie unter Beweis stellt, dass ihre Vorbereitungen nicht umsonst waren. Eine ganz und gar unrühmliche Rolle spielt Dr. Loomis‘ Nachfolger Dr. Sartain ( Haluk Bilginer, „Forget About Nick“), der einen gänzlich anderen Ansatz als sein vom 1995 leider verstorbenen Donald Pleasance in fünf „Halloween“-Filmen so grandios verkörperter Mentor verfolgt.
Die neue „Halloween“-Fortsetzung ist zu großen Teilen auch eine Hommage ans Original (und die eine oder andere Fortsetzung): Das beginnt beim ikonischen Vorspann mit Kürbislaterne und Original-„Halloween“-Schrift, zu dem Carpenters unverkennbare Titelmelodie spielt, zieht sich über die auch hier zur Todesfalle werdende Raststättentoilette, das Bettlaken, das Myers der ermordeten Babysitterin Vicky (Virginia Gardner, „Little Bitches“) überzieht und den Schrank, in dem sich nun Myers anstelle Lauries versteckt bis hin zur vom Balkon gestürzten Laurie, die, als Myers herabblickt, verschwunden ist – ganz so wie Myers einstmals am Ende des Originalfilms. Die Szenen mit den gewissermaßen vertauschten Rollen deuten ferner an, dass eigentlich Michael nun der Gejagte Lauries ist. Aus den „Halloween“-Filmen nicht mehr wegzudenke Charakteristika wie Suspense-Szenen, in denen Michael unbemerkt seine Opfer auskundschaftet, verstärken den Eindruck, dass hier ein klassischer, gänzlich unhipper Slasher der alten Schule gedreht wurde, auf äußerst angenehme Weise, zumal manch Sequenz auf zeitlose Weise erfolgreich an Urängste nicht nur appelliert, sondern diese zu bedienen genüsslich auskostet.
Jamie Lee Curtis ist auch als wehrhafte Großmutter eine Wucht und scheint zudem den Staffelstab an die junge Generation weiterzugeben: Andi Matichak als ihre Enkelin Allyson qualifiziert und empfiehlt sich mit ihrer Leistung als eine neue Scream Queen, die ich gern in weiteren Horrorproduktionen sehen würde. Das Flammeninferno des Finales greift zumindest eines der erinnerungswürdigsten Motive der ursprünglichen Fortsetzung auf und lässt, subgenretypisch, den Raum für eine mögliche weitere Fortsetzung, bevor im Abspann „Close To Me“, erklingt, jenes Lied, das sich Laurie im Original selbst vorsang. Ja, der neue „Halloween“ ist ein mit vielen liebevollen Details gespickter und gleichzeitig bisweilen verdammt brutaler, atmosphärischer und böser Slasher, der seinem Subgenre alle Ehre erweist und es mit etlichen halbgaren Produktionen der Neuzeit innerhalb dieses enggesteckten Bereichs spielend aufnimmt. Etwas Bauchschmerzen bereiten jedoch der offen zur Schau gestellte US-Waffenfetisch, der glücklicherweise nicht als alleiniges Allheilmittel propagiert wird, sowie die Verdammung jeglicher progressiver Therapieansätze, die hoffentlich von nicht allzu vielen Zuschauern für bare Münze in Bezug auf den Umgang mit Straftätern in der Realität genommen werden. Letztlich bietet „Halloween“ 2018 vor allem aber auch das, was so vielen Slasher-Filmen allen Unkenrufen der Kritik zum Trotz schon immer immanent war: Frauenpower, Baby!