Der gebrochene Blick von Helmut Berger
ist das Erste, was man zu sehen bekommt, zumindest wenn man die Blu Ray von Camera Obscura eingelegt hat. Der Schauspieler hat einen Einführungstext, na ja, gesprochen, was den Kauf der recht teuren Ausgabe definitv gelohnt hat und uns vor Augen führt, welche Spuren ein allzu ausschweifendes Leben hinterlässt: Alle.
Duccio Tessaris „Una farfalla con le ali unsanguinante" oder zu Deutsch „Blutspur im Park" aka „Das Messer" ist einer der gelobteren Gialli aus der absoluten Hochzeit des Genres, die ich so zwischen 1971 und 1973 sehen würde. Bei meinem Erstkontakt stelle ich nun fest, dass ich die weniger schmierigen Filme, die neben Mord und Sex auch Platz für etwas Drama schaffen, deutlich mehr schätze und das ist hier klar der Fall.
Neben der immer wieder gern gestellten Frage, wer denn nun der Mörder sei, schafft Tessari einen Akt, der gewissermaßen ein klassischer Gerichtsfilm ist. Die Darstellung der vorgelegten Beweise ist dabei so gelungen, dass der Zuschauer gewillt ist, seinen Schuldspruch über den Delinquenten zu verhängen, der ein siebzehnjähriges Mädchen im Park erstochen haben soll. Als dann der Verteidiger diese Beweise nach und nach entkräftet, ist dies aber ebenso gelungen und die gesamte Episode wirkt in sich schlüssig und solide inszeniert, so dass der Zuschauer zwischen beiden Positionen wechselt.
Der Begriff "gelungen" gilt übrigens auch für weite Teile des restlichen Films, der unterschiedliche Perspektiven aufgreift und sich gar nicht auf eine Figur konzentriert. Dies sorgt auf der narrativen Ebene für Abwechslung, so dass es keinen Leerlauf im Film gibt und ganz nebenbei greifen die roten Heringe dadurch wesentlich besser, als wenn sie nur in unwesentlichen Kleinigkeiten dem Zuschauer Angebote machen, die ihn zum fehlerhaften Rätseln animieren sollen.
Die Polizeiarbeit wird teils im Detail dargestellt und auch die Ermittler selbst erhalten ungewöhnlich viel Raum und dienen zudem noch als eine Art Comic Relief, wenn ein Running Gag mit nie richtig zubereitetem Kaffee vom Zuschauer gemocht werden will. Der sehr ernsten Ausrichtung des Films tut dies jedoch keinen Abbruch und diese Witzelei stört somit auch nicht.
Alle Figuren, die in den unterschiedlichen Räumen des Films agieren, empfand ich als recht gelungen ausgearbeitet und vor allem Günther Stoll als kompletter Widerling und Helmut Berger als rebellischer Beau bleiben im Gedächtnis und spielen gut auf, wobei der Rest des Casts sich auch keine Vorwürfe machen lassen muss. Ida Galli, die hier mit 29 die Mutter einer Siebzehnjährigen spielt, muss zwar nur gut aussehen, tut dies aber auch. Wer Ausstrahlung hat, kann dann eben auch auf Sparflamme agieren. Übrigens vermutet man zu keiner Zeit, sie sei mit zwölf Mutter geworden, weil sie doch eine gewisse Reife ausstrahlt und man sie auch für eine Frau um die 40 halten könnte. Eine zeitlose Frau... Giancarlo Sbragia als verurteilter Mörder zeigt keine Regungen und schaut nur ausdruckslos, aber irgendwie will das schon wieder passen. An ihm prallt das Drama einfach ab und sein Innenleben geht uns halt nichts an.
Auch wenn es Sexszenen gibt, weisen diese doch immer eine gewisse Sinnhaftigkeit für die Handlung und Psychologisierung der Figuren auf und selbstzweckhaften Sleaze für die Trenchcoat-Fraktion in den dunkleren Ecken des Kinosaals vermeidet Tessari ebenso, wie eine exploitative Darstellung seiner Gewaltszenen. Zwar werden wir manchmal eindrucksvoll mit den Resultaten konfrontiert, aber der Mord selbst findet hier grundsätzlich im Off statt, wodurch der Fokus auf die dramatischen Elemente der Erzählung nochmals verstärkt wird. Und wenn man sich das Ende anschaut, finden wir hier tatsächlich eine für das Subgenre nicht selbstverständliche Logik, die zwar etwas holprig erscheint, aber mit der ich als Zuschauer recht schnell meinen Frieden schließen konnte.
Carlo Carlinis Kameraarbeit hat sich nicht unbedingt aufgedrängt, allerdings wirkt der Film auf der bildlichen Ebene hochwertig, wenngleich eben nur wenige Spielereien in Form von besonderen Perspektiven oder Beleuchtungen auffallen. Der Mann war, angesichts seiner Vita vermute ich das zumindest, wohl einfach ein Routinier, der nichts dem Zufall überlässt und seine experimentellere Phase wohl schon länger hinter sich hatte. Seine Filmographie lädt dabei nur bedingt zum Ansehen ein, da er sämtliche Genres des italienischen Kino bediente und die Titel eher der zweiten bis dritten Reihe zuzuordnen sind. Dafür ist seine Arbeit hier wirklich gut.
Dies gilt so auch für den Score von Gianni Ferrio, der ebenso ein Arbeitstier war, alles bediente, was eben anlag und eine grundsolide Arbeit ablieferte. Bei den ersten Klängen fühlt sich der Genrekenner gleich zu Hause, aber ein Eigenleben erreichen die Kompositionen hier nicht. Die Musik ist halt ebenso gelungen wie dienstbar.
Fazit
Helmut Bergers Synapsen schickten ihm aus den Tiefen seiner porösen Hirnwindungen in seiner Einführung zum Film die Information, der Regisseur Tessari sei damals mit dem Kopf woanders gewesen, aber er und seine Kollegen hätten halt das Beste daraus gemacht. Wer im Glashaus sitzt...
Das muss ich gerade angesichts des gelungenen Ergebnisses doch bezweifeln und ich halte „Das Messer" für einen der besseren Vertreter aus der Blütezeit des italienischen Genrekinos. Handwerklich gibt es, wie so oft, nichts zu meckern, wenngleich die performative Machart des Films ihn recht nüchtern und sachlich wirken lässt und die Liebhaber der Werke Argentos oder Martinos ihn eventuell etwas zu brav finden, denn hier haben wird es tatsächlich eher mit einem Kriminaldrama zu tun als mit einer Explosion von Sex, Gewalt und technischer Experimientierfreudigkeit, wie sie der Durchschnitts-Giallo ja gerne zur Übertünchung erzählerischer Beliebigkeiten verwendete.