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Staffel 1

Als begabte Cellistin hat die Londonerin Matilda Gray (Lydia Wilson) eine scheinbar große Karriere vor sich: gerade plant ihre Agentur eine Konzerttournee in den USA für sie und ihren Musikerkollegen Hal Fine (Joel Fry), der sie schon seit Jahren am Flügel begleitet. Die dünne Endzwanzigerin mit den wasserstoffblonden Haaren hat ein herzliches Verhältnis zu ihrer Mutter Janice (Joanna Scanlan), die mächtig stolz auf ihre Tochter ist und kaum eines ihrer Konzerte verpasst. Umso unvorbereiteter trifft es Matilda daher, daß Janice sie in einer Pause während ihrer Proben aufsucht und sich wortlos die Kehle aufschlitzt.
Weder Matilda noch die ermittelnden Beamten können sich erklären, wie es zu diesem Suizid aus heiterem Himmel kam. In den Hinterlassenschaften ihrer Mutter entdeckt Matilda Zeitungsausschnitte sowie Fotos zu einem über 20 Jahre zurückliegenden Fall einer Kindesentführung. Damals, 1994, verschwand ein 4-jähriges Mädchen spurlos in einem kleinen Dorf in Wales. Doch die Akte Carys Howell ist längst ein cold case, wie ihr die Londoner Polizei mitteilt.
Für Matilda spielt dieser Umstand wie auch ihre anstehende Tournee keine Rolle mehr: sie will unbedingt herausfinden, was ihre Mutter Janice mit dem Fall zu tun hatte und begibt sich nach Wales. Hal, der sie nicht aufhalten kann, schließt sich ihr an.
In dem kleinen Ort Penllyth, den beide kaum richtig aussprechen können, suchen sie als erstes die Mutter des damals verschwundenen kleinen Mädchens auf, Rose Morgan (Claire Rushbrook). Die ist gerade auf einer Trauerfeier für einen verstorbenen Onkel, wo es auch gleich Stunk gibt, da Matilda mit ihrer undiplomatisch-ungestümen Art die trauernde Frau bedrängt. Dafür werden sie von dem jungen Australier Nick Dean (James Frecheville), der als Alleinerbe des Landsitzes des Verstorbenen extra angereist ist, freundlich eingeladen, doch ein paar Tage dort zu verbringen. Die beiden nehmen dies gerne an, doch wird speziell Matilda in dem splendiden Gebäude von seltsamen Visionen geplagt - es kommt ihr so vor, als sei sie als Kind schon einmal hier gewesen. Schließlich sucht sie trotz Verbot noch einmal Rose Morgan auf und äußert lautstark ihren Verdacht: sie selbst, Matilda Gray, sei das verschwundene Mädchen...  

Die britische Produktion Requiem begibt sich auf Spurensuche im ländlichen Wales, wo eine junge Londonerin ihre früheste Kindheit zu rekonstruieren versucht. Leider wirkt die filmdramaturgisch viel zu frühe Offenlegung dieser Prämisse schon am Ende der ersten von insgesamt 6 Episoden zu je etwa 55 Minuten Laufzeit alles andere als spannungsfördernd, da es in den folgenden fast 5 Stunden der Mystery-Serie nurmehr um das Wieso geht. Letzteres wird dann trotz vielfacher Spukerscheinungen und Alptraum-Sequenzen mehr unter ermittlungstaktischen Gründen abgehandelt, wobei sich Requiem auf gutem BBC-Krimi-Niveau bewegt, allerdings deutlich zu lang ausfällt.

Lydia Wilson in der Hauptrolle stellt eine höchst ambivalente Figur dar: einerseits beseelt vom verständlichen Wunsch nach der Wahrheitsfindung ihre eigene Person betreffend vermag sie andererseits durch ihre störrische, oft egozentrische Vorgehensweise kaum als Sympathieträgerin dienen. Die beziehungsunfähige Pagenschnitt-Trägerin, der das Drehbuch überflüssigerweise eine promiskuitive Ader andichtet, steht sich oft selbst im Weg - ganz anders als Joel Fry, der als zurückhaltender Musikerkollege schon mal Prügel für Matildas schroffe Art bezieht, ansonsten aber mit Engelsgeduld wie ein großer Bruder für Matildas Anliegen am Ball bleibt.
Die anderen Mitspieler, von einem Erben in Geldnöten, einer mitfühlenden Wirtstochter über einen gewalttätigen Ehemann und seine immer noch traumatisierte Frau bis hin zu einem pensionierten Ermittler und einem im Wald hausenden Obdachlosen sind neben einigen anderen zwar jeder für sich hinreichend interessant genug gestaltet, das bekannte Bild einer verschwiegenen Dorfgemeinschaft und ihrer Geheimnisse zu entwerfen, vermögen eine 6-stündige Serie aber kaum maßgeblich zu tragen.

Die Mystery-Momente beschränken sich auf die bekannten Gruselerscheinungen wie fremde Stimmen, unverständliches Gemurmel, vorbeihuschende Schatten, Knacksen und Rauschen im Hintergrund sowie Artefakte wie zerbrochene Spiegelscherben, Kettchen und Amulette oder eine immer wieder auftauchende Rune. Gleichwohl verlassene Räume auf dem Herrensitz oder eine kleine Waldhöhle eine an sich stimmige Location darstellen, bleibt der Gänsehautfaktor in Requiem auf Sparflamme reduziert, zumal nur ganz wenige Beteiligte die Spukerscheinungen überhaupt wahrzunehmen in der Lage sind und die Krimi-Aspekte ganz deutlich überwiegen.

Fazit: die von einem oft wiederkehrenden Streicherthema begleitete Serie Requiem kann trotz ansprechender Kameraführung und gut gewählter Location dank seiner unbeständigen Hauptdarstellerin nicht wirklich überzeugen - der in die Länge gezogene Land-Krimi mit Mystery-Anteilen bietet daher nur mittelmäßige Unterhaltung: 4,45 Punkte.

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