Review

Colin Minihan ist ein kanadischer Skript-Autor, Produzent, Editor, Visual-Effects-Spezi sowie Musikvideo- und B-Movie-Regisseur, mit dem ich 2014 im Rahmen eines Festivals mal die Gelegenheit hatte, nett über Genre-Filme und die Entstehung seiner Werke zu plaudern. Anfangs noch (zusammen mit Stuart Ortiz) als eine Hälfte der „Vicious Brothers“ aktiv, ist er inzwischen hauptsächlich „solo“ zugange – wobei sich die von ihm im Laufe seiner Karriere realisierten Streifen allesamt erfreulich voneinander unterscheiden und zudem auch eine zufrieden stellend „solide bis gute Qualität“ vorweisen. Anders als bei seinen vorherigen, mit „geisterhaften Wesen“ („Grave Encounters“), Aliens („Extraterrestrial“) und Zombies („It stains the Sands red“) aufwartenden Veröffentlichungen kommt sein hier nun zur Besprechung vorliegender 2018er Thriller „What keeps you alive“ dagegen „fest in der Realität verankert“ daher – unabhängig dessen, dass sich die Story innerhalb eines „klassischen Horror-Settings“ angesiedelt entfaltet. Im Zuge meiner Rezension werde ich übrigens auf eine sich im ersten Drittel ereignende „zentrale Wendung“ eingehen, aus der fortan alle weiteren Geschehnisse resultieren – gebe dabei aber nicht mehr als bspw. der offizielle Trailer preis…

An ihrem ersten Hochzeitstag fährt Jackie (Hannah Emily Anderson) mit ihrer Ehefrau Jules (Brittany Allen) für ein Wochenende „raus aufs Land“ zu einem rustikal-geräumigen Ferienhaus, welches idyllisch in einem Wald nahe eines Sees liegt und sich schon lange im Besitz ihrer Familie befindet. Als Kind hatte sie früher dort viel Zeit verbracht – und Jules ist auf Anhieb sehr angetan von dem abgeschieden-schönen „Fleckchen Erde“. Jackie erzählt ihr u.a. von ihrem Großvater, der ihr das Jagen beigebracht hatte – wirkt nach ihrer Ankunft allerdings ungewohnt ruhig; beinahe distanziert. Am Abend schaut unverhofft eine Freundin aus ihrer Jugend vorbei, die unweit entfernt wohnt, Licht gesehen hatte und wegen diverser Einbrüche in der Gegend mal nach dem Rechten schauen wollte. Die Sache ist bloß, dass Sarah (Martha MacIsaac) Jackie „Meghan“ nennt. Einem nun nicht mehr romantisch-harmonischen Abend folgend, eröffnet Jackie Jules am nächsten Tag, ihren Namen nach ihrem Coming-out geändert zu haben, um sozusagen „einen Schluss-Strich zu ziehen“. Kann man verstehen, diesen Schritt – doch „nagen“ gewisse Gedanken fortan weiterhin an Jules, bis sie von Jackie bei einem gemeinsamen Spaziergang urplötzlich von einer Felsklippe geschubst wird…

Keiner, der ein Werk mit einem Titel wie „What keeps you alive“ für sich auserwählt, dürfte das in dem Glauben tun, „lockere Unterhaltung“ vor sich zu haben. Ja, Jackie und Jules scheinen glücklich zu sein, die Location ist malerisch und die zugehörige „Chance, einfach mal rauszukommen“ beneidenswert – allerdings ist das Wetter eher bedeckt als sonnig, sind die gewählten Farben nicht gerade warm, die Schatten der Bäume (oder im Haus-Innern) dunkel und mutet der See ebenso kalt wie tief an. Sprich: Die Atmosphäre ist unheilschwanger – und die Frage nicht, ob „etwas Fürchterliches“ passieren wird, sondern was wohl, wie und wann. Im Grunde 1:1 nach Anton Tschechow hängt ein altes Gewehr an der Wand, ist eine der Frauen auf Insulin angewiesen, findet Jules Jackie einmal Gedanken-versunken aufs Wasser hinaus starrend vor, erfährt von ihr ein traumatisches Erlebnis aus ihrer Kindheit, bekommt ein düsteres Lied vorgesungen und muss sich damit arrangieren, dass sie so einiges aus der Vergangenheit ihrer Liebsten schlichtweg noch nicht weiß. Bekanntlich verhalten sich Menschen bisweilen „anders als gewöhnlich“, wenn sie nach Jahren der Abwesenheit an einen mit gewichtigen Empfindungen und Erinnerungen verbundenen Ort zurückkehren…

Als Jackie am zweiten Tag in die nächste Stadt fährt, um noch einige Einkäufe zu erledigen, rudert Jules quer über den See zu Sarah´s Haus, wo sie mit ihr und ihrem Mann Daniel (Joey Klein) ein wenig über Jackie plaudert und sie das Paar obendrein zum Abendessen einlädt. Von Beginn an werden immer wieder kleine Details offenbart, welche ergiebig der Charakter-Zeichnung dienen, Spannung erzeugen und den Zuschauer bei Aufmerksamkeit halten – bis der oben beschriebene, grandios überraschende (und somit umso schockierendere) Augenblick sozusagen „das erste Kapitel abschließt“ und den Film komplett neu ausrichtet. Gern hätte Minihan diesen „Slow Burn“-Einstieg noch einige weitere Minuten ausdehnen dürfen – einfach weil er bis dato echt gut funktioniert hat – doch keine Sorge: Auch der anknüpfende Verlaufs-Abschnitt weiß zu überzeugen. Jules jedenfalls hat den Sturz überlebt – welcher nicht ganz so „extrem“ war wie z.B. der Jens in Coralie Fargeat´s „Revenge“. Verletzt, blutend, sich bei Bewusstsein zu bewahren bemühend sowie das ihr Angetane kaum glauben könnend, versucht sie sich in Sicherheit zu schleppen. Der Grad ihrer „emotionalen Schmerzen“ übersteigt dabei den ihrer physischen – insbesondere als sie kurz darauf Jackie (samt deren „Reaktion“ auf die Situation) erblickt…

„What keeps you alive“ konfrontiert Jules mit der niederschmetternden sowie für sie kaum nachvollziehbaren Erkenntnis, dass sie die Frau an ihrer Seite, welche sie aus Liebe geheiratet hat und mit der sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte, scheinbar nie wirklich kannte. Während die Kamera geradezu unbehaglich nahe an Jules dranbleibt, wie sie durch den Wald stolpert und allmählich eine klarere Besinnung zurückerlangt, werden parallel dazu die „Jagd-Vorbereitungen“ Jackies (Profi-Gewehr und Tarn-Anzug inklusive) in ruhigen, ihr geübtes, eisig-kontrolliertes Auftreten widerspiegelnde Einstellungen aufgezeigt. Ein gnadenloses, Tempo- und Action-reiches „Katz&Maus-Spiel“ setzt ein – quasi „the Most Dangerous Game“ im Kontext von Ehe-Partnern – wobei Minihan aber regelmäßig ruhigere Passagen eingebaut hat, in denen Jackie und Jules Gelegenheit haben, im direkten Angesicht einander über das zu sprechen, was hier eigentlich vor sich geht bzw. was die konkreten Motive für das unerwartete Handeln ersterer sind. Generell wurde durchgehend Wert auf Suspense und eine düster-kühle Stimmung gelegt – zu letzterer allein schon das Setting sowie die Darlegungen und das „gefühlsfreie“ Gebaren Jackies eine Menge beitragen…

Mit Charme, Sex-Appeal und Ausstrahlungskraft verkörpert Hannah Emily Anderson (TV´s „the Purge“) die sich als berechnend-fiese Soziopathin entpuppende Jackie absolut superb: Es ist reizvoll, sie dabei zu beobachten, wie sie mit bösartigem Vergnügen agiert, ihren gefassten Ausführungen zu lauschen sowie über einzelne ihrer trocken dargereichten Bemerkungen zu schmunzeln. Jackie mag über viel Erfahrung in ihrem Tun verfügen – doch Jules besitzt einen ausgeprägten Lebenswillen, so dass ihr irgendwann die (glaubwürdige) Wandlung von einem „hilflosen Opfer“ hin zu einer „beherzten Kämpferin“ gelingt. Bei ihrer nun bereits dritten Kollaboration mit Minihan liefert Brittany Allen („Incontrol“) erneut eine engagierte Performance ab: Schnell wird einem Jules sympathisch, so dass man u.a. einträglich mit ihr „mitfiebert“, wenn es darauf ankommt. Diese zwei „Leading Ladies“ – welche übrigens beide in „Jigsaw“ zu sehen waren – teilen sich eine feine „Chemie“, portraitieren sich unerbittlich bekämpfende und manipulierende Individuen (keine Stereotypen) und „geben alles“ im Rahmen ihrer Darbietungen – worüber hinaus in soliden Nebenparts noch Martha MacIsaac („Superbad“), Joey Klein („Cry“) sowie Newcomerin Charlotte Lindsay Marron mit von der Partie sind…

„What keeps you alive“ stellt das lesbische Paar so natürlich dar wie derartige Beziehungen nunmal sind – also nicht etwa als ein „Gimmick“ oder in „voyeuristischer Weise“. Klischees gibt es dennoch einige zu verzeichnen – ebenso wie „dumme Entscheidungen“ (primär von Jules ausgehend) plus vereinzelte Absehbarkeiten. Grundsätzlich hat Minihan jedoch handwerklich kompetente Genre-Kost geschaffen – was sowohl für sein Drehbuch als auch für seine Umsetzung gilt: Die Gewalt ist „schmerzhaft“ beizuwohnen, das Spannungs-Level ordentlich und diverse Szenen wurden ansprechend „effektiv“ arrangiert. Von einem klangvollen Score untermalt sowie um zwei cool eingebundene Songs („Bloodlet“ und „Anthem for the Year 2000“) ergänzt, ruft die Kamera-Arbeit David Schuurmans („Sketchboogey“) keinen Anlass zur Klage hervor und wird eine spezielle Sequenz stylish-schick in „Schwarzlicht“ dargeboten. Im finalen Drittel übertreibt es Minihan dann allerdings in Gestalt immer neuer Entwicklungen und „Fake Endings“ – was (starker Momente in dieser Phase zum Trotz) durchaus schade ist: Da hätte er die Lauflänge getrost ein Stück weit „straffen“ sowie auf einen letzten Laut unmittelbar vorm Einsetzen des Abspanns gleich ganz verzichten können…

Fazit: Hart, eindringlich und atmosphärisch, ist Colin Minihan´s „What keeps you alive“ ein bitterböser, zynischer Thriller, der nicht unerheblich von seinen famosen beiden Hauptdarstellerinnen profitiert…

knappe „7 von 10“

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