kurz angerissen*
Hauptdarsteller John Cho soll ja zunächst nicht an das Gelingen des ungewöhnlichen Konzepts geglaubt haben. Ein ganzer Film, der sein Videomaterial ausschließlich über Desktop-Hintergründe, Überwachungskameras und Drohnen erzeugt, klingt in der Tat irgendwie nach einer dramaturgischen Totgeburt. Vielleicht brauchte es ja gerade so einen skeptischen Hauptdarsteller, damit das ungewöhnliche Projekt gelingen konnte, denn er passt hervorragend zu der altmodischen Hauptfigur David Kim, die er verkörpert. Und so wird aus einem zeitgeistigen Gimmick-Streifen eine harte Abrechnung mit der nach Belieben manipulierbaren virtuellen Scheinwelt, die irgendwann in den letzten zehn oder fünfzehn Jahren durch moderne Kommunikationstunnel aufgeblasen wurde.
"Searching" beginnt mit einer äußerst gelungenen Montage, in der die letzten gemeinsamen Jahre einer kleinen Familie in Ausschnitten zusammengefasst werden, bevor die Mutter offenbar an Krebs stirbt, wie die zunehmend trauriger werdenden Blicke in die Kamera verraten. Die Jahre werden quasi in Windows-Versionen gezählt, fließend verändert sich das Design der Fenster, deren Evolution nicht nur diese Kleinfamilie mitgemacht hat, sondern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch der Zuschauer. Längst ausgestorbene Messenger wie ICQ fungieren als Meilensteine für die Vergangenheit, auf Fotos und in Videos werden kurzlebige Trends festgehalten, die kommen und gehen wie Sonne und Mond.
Das ursprünglich als Kurzfilm konzipierte Projekt soll an dieser Einleitung so sehr gewachsen sein, dass man schließlich doch entschied, einen vollständigen Film zu drehen. Auch wenn im nachfolgenden Thriller sicher nicht alle Rädchen sauber ineinander greifen: Das Experiment hat sich durchaus gelohnt. Erfolgreich hält Aneesh Chaganty die Spannung in einem Vakuum, während sich Kims Ungeduld in Besorgnis und schließlich in Panik verwandelt, als seine Tochter plötzlich nicht mehr auffindbar ist. Da wir in der Eröffnungsmontage nur wenig mehr von ihr sehen als inszeniertes Lächeln für die Kamera, hält sich unser Wissen über die vermisste Figur in Grenzen - anders als bei ihrem Vater, dessen echte Reaktionen auf ein echtes Problem live auf dem Bildschirm zu beobachten sind. Der Clou liegt nun darin, dass sich die Persönlichkeit der Tochter erst nach und nach mit jedem Klick, jeder neuen Webseite und jedem Video wie ein Mosaik erschließt.
Es ist nur allzu leicht vorstellbar, dass der Cutter hier einen Höllenjob zu erledigen hatte. Gerade der Aufbau und die Abfolge der Suchparameter ist nicht nur relevant, um auf Story-Ebene irgendwann zur Auflösung zu gelangen (profan gesagt, um "den Fall zu lösen"), sondern auch, um zu verstehen, wie Informationsverteilung im Internet funktioniert, welche Möglichkeiten sie eröffnet und wo sie einen blinden Fleck erzeugt. Wenn Kim bei seiner Suche einen Zwischenerfolg verbuchen kann, wird gleich ein Cluster von neuen Pfaden freigelegt. Manche von ihnen werden sogar unerwartet humorvoll als Sackgasse ausgebaut (Stichwort: Justin Bieber), andere führen auf eine falsche Fährte.
Auch wenn die eigentliche Auflösung nicht völlig rund aufgeht, gelingt der Inhalt doch insofern, als dass er das Formale stark einbezieht und eine Wechselwirkung in Gang bringt, die zu diesem Zeitpunkt zumindest als ungewöhnlich, wenn nicht sogar einzigartig bezeichnet werden kann. Ohne Pferdefuß geht es aber natürlich nicht: Aufgrund der einfachen technischen Reproduzierbarkeit ist bereits eine Welle von Imitationen zu erwarten, so wie wir sie nach "Blair Witch Project" zu überstehen hatten. Dann wohl leider mit vielen mittelmäßigen bis schlechten Beiträgen, denn: "Searching" mag linear aussehen, ist aber als verfilmter Hypertext das komplette Gegenteil. Wer sich einfach sein Smartphone schnappen und einen Film drehen will, sollte lieber bei Found Footage bleiben.