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Nur zwei Jahre nach ihrem Debüt wurde der bereits letzte Fall der Dresdner Ermittler Sieland, Gorniak (Karin Hanczewski) und Schnabel (Martin Brambach) ausgestrahlt: Alwara Höfels alias Henni Sieland verlässt in dieser Episode das Trio aufgrund „unterschiedlicher Auffassungen zum Arbeitsprozess“ und eines „fehlenden künstlerischen Konsens“. Das ist schade, denn seit dieser Bekanntgabe und dem anschließenden Abgang des Autors Ralf Husmann wurden die ursprünglich komödiantisch angelegten Dresdner „Tatorte“ immer ernster – und je ernster, desto besser wurden sie. So kann sich Höfels noch in ihre Vita schreiben, am vermutlichen besten Dresdner „Tatort“ mitgewirkt zu haben: „Déjà-vu“, dem Vorgänger von „Wer jetzt allein ist“. Letztgenannter wurde am 21.05.2018 erstausgestrahlt und auf Grundlage eines Drehbuchs Erol Yesilkayas, der zuletzt mit dem ebenso tollen wie außergewöhnlichen Beitrag „Meta“ zur Reihe auf sich aufmerksam gemacht hatte, von Theresa von Eltz („4 Könige“) inszeniert.

Studentin Laura Nix (Kyra Sophia Kahre, „LenaLove“) telefoniert mit ihrer Freundin Doro Meisner (Svenja Jung, „Fucking Berlin“), als diese ermordet wird: erdrosselt vor einem Nachtclub. Sieland und Gorniak ermitteln, dass Meisner als „Birdy“ in einer Online-Bekanntschaftsbörse angemeldet war und den Hass vieler männlicher Nutzer auf sich gezogen hatte, nachdem sie sie mit falschen Versprechungen um viel Geld gebracht hatte. Doch wie sich herausstellt, hatte sich Nix bereits vor längerer Zeit aus der Börse abgemeldet – deren Betreiber Thomas Frank (Bernd-Christian Althoff, „Vier kriegen ein Kind“) jedoch hatte ihr Profil reaktiviert und damit seine Kunden abgezockt. Unter den Betrogenen versuchen die Ermittlerinnen, den Täter ausfindig zu machen. Letztlich kommen nur zwei infrage: Petrick Wenzel (Aleksandar Jovanovic, „Auf kurze Distanz“) und Andreas Koch (Daniel Donskoy, „Angst“). Sieland und Gorniak schlüpfen in die Rollen paarungswilliger Singledamen und verabreden sich mit den Männern…

Die Warnungen vor Internet-Singlebörsen, die dieser „Tatort“ ausspricht, sind nicht neu, jedoch lediglich der Aufhänger für viel mehr: Zunächst natürlich für einen brutalen Mord und einige düstere, spannende Szenen in bester Thriller-Manier. Ein weiterer Aspekt ist die Hilflosigkeit der Ermittlerinnen, an Beweismaterial zu kommen, weshalb sie sich über die Anweisungen ihres Vorgesetzten Schnabel hinwegsetzen müssen. Während Sieland dafür in die Rolle einer naiven, etwas minderbemittelten jungen Frau schlüpft und damit die Nutzerinnen von Dating-Portalen karikiert, bleibt Gorniak beinahe sie selbst. In Wenzel scheint Sieland den Mörder gefunden zu haben, die Indizien sprechen eindeutig dafür – zumal Wenzel, der mit seiner im Sterben liegenden Mutter zusammenlebt, auch übergriffig gegen Sieland wird, als er ihr „Nein!“ nicht akzeptiert. Gorniak hingegen erliegt dem Charme des jungen, gutaussehenden, vermögenden Andreas Kochs, findet keinerlei Verdachtsmomente und beginnt, sich häufiger mit ihm zu treffen… Dem überwiegenden Teil des Publikums dürfte bald klarwerden, dass die Dinge nicht so sind, wie sie zunächst scheinen und sich damit mindestens eine der Ermittlerinnen in höchster Gefahr befindet. Auch dies schadet dem Spannungsaufbau dieses „Tatorts“ jedoch kaum, denn von nun an wird verstärkt und gekonnt auf Suspense, also einen Informationsvorteil des Publikums gegenüber den Protagonistinnen, gesetzt.

Der Thrill dieser Kriminalgeschichte stimmt und sitzt einem fest im Nacken, für ein wenig Erotik ist mit Gorniaks Nacktbadeeinlage ebenfalls gesorgt und für den Humor ist nach wie vor der unnachahmliche Schnabel zuständig, der als Babysitter für Gorniak einspringt, ihren Sohn Aaron (Alessandro Schuster) mit der List eines alten Bullen davon abhält, sich zu verdrücken und seine Leidenschaft für Rockmusik entdeckt. Wenn Sieland zurück in ihrer Rolle als Kripo-Ermittlerin Petrick Wenzel unmissverständlich die Bedeutung des Wortes „Nein!“ klarmacht, wirkt dies wie ein gut untergebrachter Beitrag zum Thema „#metoo“ und die tragische Note kommt auch nicht zu kurz, angefangen bei eben jenem Wenzel bis hin zu den Ermittlerinnen selbst. Als störend erweist sich in diesem eigentlich spannend und klug arrangierten „Tatort“ der Rückgriff auf die uralte, mittlerweile ermüdende Karma-Formel: Wer hier seines einzigen Lebenssinns beraubt wird, wird selbst zum vermeintlich „gerechten“ Mörder, indem er vollstreckt, wozu die Justiz nicht fähig ist und muss anschließend selbst sterben, da er nun seinerseits schwere Schuld auf sich geladen hat. Ächz...

Der Ausgang des Falls ist letzten Endes Sinnbild der zerrütteten Privatleben der Ermittlerinnen, deren Wege sich am Ende trennen. „Wer jetzt allein ist“, ist, wie der Titel bereits andeutet, vor allem ein Stück über Einsamkeit. Dass dieses Team, das gerade erst so richtig gut in die Spur gefunden hatte, nun aufgrund der eingangs beschriebenen Umstände schon wieder getrennt wurde, ist ein Jammer. Ein ganz kleines bisschen übertragen sich Trennungsschmerz und Einsamkeitsgefühl somit auch auf die Zuschauerinnen und Zuschauer. Machen Sie’s gut, Frau Höfels, danke für sechsmal Henni Sieland! Und 7,5 von 10 Rendezvous für diesen Fall.

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