So intensiv wie "Die Grauzone" zeigte bisher kein mir bekannter zweiter Film den grausigen KZ-Alltag, im konkreten Fall den des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau im Jahre 1944. Tim Blake Nelsons "Die Grauzone" berichtet nüchtern und auf historische Fakten gestützt von einem der gemeinhin weniger bekannten Kapitel des Holocaust. Er zeigt die tägliche Arbeit der jüdischen Sonderkommandos, die für einige Monate mit besonderen Privilegien ausgestattet für die industrielle Leichenverbrennung und ähnliche Dinge verantwortlich waren - bevor sie selber "liquidiert" und durch ein neues Kommando ersetzt wurden.
Regisseur Tim Blake Nelson verzichtet in seinem bedrückenden Report aus der Hölle auf Erden praktisch völlig auf plakative Schauwerte. Die Atmosphäre des Films ist geprägt vom allgegenwärtigen Tod, vor dem es kein Entrinnen gibt. Düstere Kellergewölbe, Leichenberge und das ohrenbetäubende Wummern der Verbrennungsöfen dominieren das Erscheinungsbild der "Grauzone". Unterbrochen wird das maschinelle Töten einzig von Gesprächen zwischen einem jüdischen Assistenz-Arzt und einem Oberscharführer (Harvey Keitel), dem Schmieden eines Ausbruchsplans sowie zumeist von Exikutionen geprägten Hofszenen.
So mancher Häftling klammert sich dennoch an utopische Hoffnungen, versucht ein einzelnes Leben zu retten oder mit den Wachmannschaften ins Geschäft zu kommen. Willkürliche Hinrichtungen und Erniedrigungen setzen solchen Vorhaben jedoch stets ein schnelles Ende. Zwar gibt es letztlich einen Aufstand des portraitierten Sonderkommandos 12, doch endet auch dieser in einem Blutbad.
Der Zuschauer bekommt all dies hautnah zu spüren und selbst die mit Leichen gefüllten Gaskammern werden hierbei nicht ausgespart. Dass der eigentliche Vernichtungsprozess nicht explizit gezeigt wird, ist dabei auch garnicht nötig. Wesentlich intensiver geschieht die Darstellung des Grauens hier durch akustische Mittel, durch das schlichte, allmähliche Verstummen der panischen Schreie, während man in die leeren Gesichter der Sonderkommandos und zumeist betrunkenen SS-Posten blickt.
Große Schauwerte hat "Die Grauzone" wie bereits bemerkt nicht zu bieten. Die schlichte Inszenierungsweise ist zweckmäßig, wirkt aber trotz eher geringem Budget zu keinem Zeitpunkt billig. Angemessen ist die Aussattung: Uniformen, Abzeichen und Waffen entsprechen weitesgehend den historischen Vorbildern. Die darstellerischen Leistungen - neben Harvey Keitel spielen u.a. Steve Buscemi und David Arquette - bewegen sich ebenfalls auf durchweg hohem Niveau, weswegen ich die "Grauzone" jedem historischen Interessierten dringend nahezlege.
Lediglich einen Fehler erlaubt sich Regisseur Tim Blake Nelson zumindest aus meiner Sicht: Den finalen Aufstand. Diese wenn auch historisch korrekte Actioneinlage hat der Film definitv nicht nötig und zugleich stört sie durchaus die bis dahin aufgebaute Atmosphäre des völligen Ausgeliefertseins. Zumindest stark verkürzt hätte man diese Passage, und insbesondere deren Außenszenen, darstellen können. Der brutalen Gesamtwirkung hätte es wohl noch ein Stück mehr zugearbeitet.
Nichtsdestotrotz beschliesst Regisseur Nelson nach der Niederschlagung des Aufstandes durch die SS seinen eindrucksvollen Film mit einer letzten Demonstration der Grausamkeit und schliesst so nahtlos an die bisher gezeigte Barbarei an. Wo beispielsweise "Schindlers Liste" hier und da Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Ereignisse aufkommen lässt, da überzeugt "Die Grauzone" auf ganzer Linie. Überzeichnete Charaktere und die Gefühle des Zuschauers gezielt in eine Richtung lenkende Stilmmittel gehören erfreulicherweise nicht zum Repertoire des Filmes.
Fazit: Harter Tobak, der in aller Ruhe konsumiert werden sollte.