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„Ich scheiß‘ auf Regeln!“

Fall zehn für den Hamburger Bundesbullen Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring), der vierte gemeinsame Fall mit seiner neuen Partnerin Julia Grosz (Franziska Weisz): Der „Tatort: Alles was Sie sagen“ aus dem Jahre 2018 wurde vom Hamburger Regisseur Özgür Yildirim („Blutzbrüdaz“) inszeniert, der damit bereits seinen dritten „Falke“ beisteuerte – und zwar nach einem gewitzten, wendungsreichen Drehbuch Arne Noltings und Jan Martin Scharfs.

Die Fahndung nach dem anerkannten Flüchtling, jedoch auch mutmaßlichen Kriegsverbrecher Abbas Khaled (Youssef Maghrebi) führt die Bundespolizisten Falke und Grosz ins niedersächsische Lüneburg und endet mit dem Tod Khaleds Schwester Alima (Sabrina Amali, „Brüder“) in einem leerstehenden Fabrikgebäude. Da der dringende Verdacht besteht, die tödliche Kugel sei aus Falkes Waffe abgefeuert worden, müssen er und seine Kollegin sich getrennt voneinander vor dem internen Ermittler Joachim Rehberg (Jörn Knebel, „Frauen lügen besser“) verantworten. Dabei widersprechen sich die Angaben, die die beiden zu diesem Fall machen, in dem es neben dem bestens integrierten Libanesen, der sich in Stefan Hansens (Moritz Grove, „Krabat“) Flüchtlingsunterrichtsklasse einbrachte, auch um die örtliche organisierte Drogenkriminalität um Clan-Boss Ibrahim Al-Shabaan (Marwan Moussa) geht. Ihm war die Lüneburger Polizei um Einsatzleiter Junker (Gerdy Zint, „Als wir träumten“) schon seit längerem auf der Schliche – entsprechend konsterniert reagierte dieser, als ihm die Hamburger Bundespolizei dazwischenfunkte…

Mit der Flüchtlingsthematik greift dieser „Tatort“ ein noch immer aktuelles Thema auf, das tief in politischen und gesellschaftlichen Debatten verankert ist – u.a. mit der Angst vor Pseudoflüchtlingen, die in ihrer Heimat (oder angrenzend) mitverantwortlich für das Grauen waren, vor dem die Menschen flohen, und die nun möglicherweise auch hierzulande Terror und Verderben planen. In diesem Falle erhärtet sich der Verdacht jedoch nicht, Abbas Khaled stellt sich als unschuldig heraus. Doch damit nicht genug, er entpuppt sich darüber hinaus sogar als Homosexueller, der heimlich mit seinem Lehrer liiert ist – und den die örtliche Drogenmafia auf dem Kieker hat. Hier beschleicht einen das Gefühl, dass es mit den Drehbuchautoren einmal mehr durchging und das einzelne Minderheiten-Stigma des Flüchtlings nicht ausreichte, sondern man unbedingt noch einen draufsetzen musste. Das erscheint mir dann doch etwas arg konstruiert und zu viel des Guten, weniger wäre vermutlich mehr gewesen.

Seinen besonderen Reiz bezieht dieser „Tatort“ aus seiner Erzählweise: dem nach dem rätselhaften Prolog fortwährenden Wechselspiel aus in Rückblenden aus unterschiedlicher Perspektive aufgerolltem Fall und den Vernehmungen durch Rehberg. Was kompliziert klingt, wurde von Regisseur Yildirim clever gelöst; statt Verwirrung zu stiften erzeugt er Spannung, sodass man der Auflösung entgegenfiebert. Hat Falke diesmal tatsächlich unentschuldbare Fehler begangen? Angereichert wird die Handlung von etwas Folklore um die schwierige Dienstbeziehung zwischen Falke und Grosz, um alte Bekannt- bzw. Liebschaften Grosz‘ und um der Korruption und Sabotage verdächtige Lüneburger Kollegen – bis hin zum respektlosen Drogen-Clan, der über dem Gesetz zu stehen glaubt.

Diesem Beitrag zur TV-Krimireihe gelingt es wie keinem zuvor, Franziska Weisz in ihrer Rolle als Julia Grosz in Szene zu setzen, die neben weiteren Puzzlestücken zu ihrer Biographie ihren Charakter weiter ausarbeiten und in durchaus auch emotionalen Kontrast zu Falke setzen kann, was zu diversen Konfliktsituationen führt. Yildirim fand eine tolle Bildsprache für seinen „Tatort“, wer auch immer für den Soundtrack verantwortlich zeichnet, bewies Musikgeschmack (The Clash – Guns of Brixton), und das inhaltliche Niveau der intelligenten Sequenzmontagen ist im deutschen Fernsehen nicht selbstverständlich. Vom überzeichneten ursprünglich Verdächtigen einmal abgesehen ein im positiven Sinne ungewöhnlicher, sehr gelungener „Tatort“, der neugierig auf die weitere Entwicklung dieses Ermittlungsduos und auf weitere Filme Yildirims macht.

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