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„Es ist wie die Geschichte einer hoffnungsvollen Reise mit einem schönen Schiff, das aber wie die Titanic untergegangen ist – und wir nun mit den Überlebenden der Katastrophe sprechen. […] All diese Menschen kommen mir vor wie Überlebende, Überlebende dieser schrecklichen Sache – Überlebende von ,Eis am Stiel‘.“ – „Eis am Stiel“-Regisseur Boaz Davidson

Der deutsche, Grimme-Preis-dekorierte Dokumentarfilmer Eric Friedler („Nichts als die Wahrheit – 30 Jahre Die Toten Hosen“) widmet sich in seinem im Jahre 2018 im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlten Film der „Eis am Stiel“-Reihe, jener israelisch-deutschen, achtteiligen Mischung aus Teenie-Erotikkomödie, Liebesfilm und Coming-of-Age-Drama, die zwischen 1978 und 1988 von den späteren „Cannon“-Chefs produziert wurde und nach den ersten beiden Teilen zusehends verflachte. Sein Hauptaugenmerk richtet Friedler jedoch auf die Werdegänge der Beteiligten und wie sie heute über die Filme und die damaligen Produktionsbedingungen denken.

„Der lustige Dicke von ,Eis am Stiel‘!“

Schon der Beginn des Films verbreitet eine düstere Stimmung, ausgehend vom obigen Zitat des „Eis am Stiel“-Regisseurs Boaz Davidson. Wir bekommen einen sichtlich gealterten Zachi Noy, einen der Hauptdarsteller der Reihe, zu sehen, der sich in einer Garderobe für einen seiner Gesangsauftritte frisieren lässt. Er scheint mit seinem Leben zu hadern und wirkt naiv, wenn er sagt, er sehne sich noch immer nach seinem Durchbruch. Sibylle Rauch, ehemalige Schauspielerin und Pornodarstellerin und in Teil 3 zur Reihe gestoßen, ist ebenfalls ein bisschen in die Jahre gekommen und wird in einem Wiener Bordell gezeigt – notgedrungen arbeite sie heute als Prostituierte. Auch der Darsteller des Benny, Yftach Katzur, ist natürlich kein junger Hüpfer mehr. Momo-Darsteller Jonathan Sagall lässt sich entschuldigen, er habe sich nicht am Film beteiligen wollen. Es wird suggeriert, der offen homosexuell lebende Mann habe mit der Filmreihe ein für alle Mal abgeschlossen und äußere sich grundsätzlich nicht mehr zu ihr. Dies scheint jedoch nicht zu stimmen, wie offenbar diverse jüngere TV-Auftritte und Interviews belegen.

Über die Genannten hinaus konnten die Produzenten Yoram Globus und Menahem Golan (kurz vor dessen Tod) sowie weitere Beteiligte, allen voran Kostümbildnerin Tami Mor, für den Dokumentarfilm gewonnen werden. Auch Nili-Darstellerin Anat Atzmon tritt noch einmal vor die Kamera – und überrascht damit, wie erstaunlich gut sie sich gehalten hat. Alle auch im O-Ton noch vernehmbaren Aussagen wurden mit einer deutschen Synchronisation belegt, die Doku schließlich mit etlichen Filmausschnitten und Archivmaterial gespickt. Nach Friedlers herunterziehendem Auftakt geht es zunächst deutlich fröhlicher zu: Für Regisseur und Autor Davidson sei der autobiographisch geprägte „Eis am Stiel“ eine Art Therapie gewesen und aufgrund des Identifikationspotentials mit dem ungleichen Hauptrollentrio avancierte der Film zu einem Riesenerfolg in ganz Europa. Schwarzweißbilder von der Berlinale, zu der der Originalfilm seinerzeit überraschend eingeladen wurde, illustrieren Regina Zieglers und Michael Weinerts Statements zu den damaligen Ereignissen – sie waren Mitglieder des Auswahlgremiums. Ein für Israel ungewöhnlicher Film sei er in seiner Emanzipation von Israelklischees und dem Holocaust gewesen. Es handelte sich um eine der ersten israelischen Produktionen, die für den internationalen Markt gedacht waren, sogar in Japan wurde „Eis am Stiel“ ein großer Erfolg.

Bereits die erste Fortsetzung wurde als israelisch-deutsche Koproduktion angelegt, die Produzenten engagierten deutsche Schauspielerinnen und richteten die Filme auf den deutschen Markt aus. Sally-Darstellerin Ariella Rabinovich kommt ebenso zu Wort wie Sibylle Rauch, die zugibt, größenwahnsinnig gewesen zu sein. Doch anstatt sich innerhalb der Filmereihe nun chronologisch weiter vorzubewegen, geht Friedler zurück zum ersten Film und lässt Autor und Regisseur Davidson nachzeichnen, wie er Katzur und Sagall gecastet und was sie als Schauspieler für ihre Rollen prädestiniert hatte – unterlegt mit Ausschnitten von den Dreharbeiten. Er erläutert, wie sehr die Handlung von seinen eigenen Erfahrungen geprägt gewesen sei. Martha-Darstellerin Rachel Steiner und Victor-Darsteller Avi Hadash geben weitere Interna preis. Doch bald offenbaren sich wieder Konflikte: Kameramann Adam Greenberg schimpft auf die Produzenten, die ihn jedoch als Freund bezeichnen, Katzurs Mutter klagt über die damaligen miesen Drehbedingungen des gering budgetierten Films und die Produzenten hätten irre viel Geld gemacht, das Team aber leer ausgehen lassen. Zachi Noy empfindet die Rolle des dicken Johnny als Fluch, tritt aber trotzdem in dieser in einem Ballermann-Club auf – wie ein verstörender Ausschnitt zeigt. Laut Kostümbildnerin Tami Mor sei er am Set sogar gefoltert worden. Und Davidson habe ihn geschlagen.

Katzur hadert mit den Nachwirkungen der Filmreihe auf sein persönlichen Leben und mit den Inhalten der Filme. In der Film-Softsexszene mit Stella (Ophelia Shtruhl) hätten sich Noy und Katzur missbraucht und erniedrigt gefühlt, auch Mor haben so ihre Probleme mit ihr gehabt. Nun tritt Shtruhl höchstpersönlich vor die Kamera und klagt, diese Szene habe ihre Schauspielkarriere zerstört. Seltsamerweise listen die Filmdatenbanken nach „Eis am Stiel“ jedoch mehr Produktionen mit Shtruhls Beteiligung als vor „Eis am Stiel“ auf. Dies erwähnt Friedler jedoch nicht. Sein Film kommt ohne jeden eigenen Kommentar aus; bei den geführten Interviews wurden die Fragen weggeschnitten, was die Antworten wie Statements erscheinen lässt – an die leider nicht anknüpfend nachgehakt wurde. So bleibt es rätselhaft, weshalb sich das Stammschauspieler-Trio nach derart schlechten Erfahrungen beim Dreh des ersten Teils für solch zahlreiche Fortsetzungen verpflichten ließ, weshalb Noy immer und immer wieder neue Verträge unterschrieb, mit denen er im Nachhinein so unzufrieden ist, weshalb er glaubt, die Johnny-Rolle ablegen zu können, indem er bis heute immer wieder in sie schlüpft.

Bilder aus Cannes 1986 und Los Angeles leiten zur skizzierten Erfolgsgeschichte der Produzenten über, die in Hollywood die „Cannon“-Filmproduktion übernahmen und mit ihr einige Zeit große Erfolge verbuchen konnten, bevor nach der Trennung des Duos der Pleitegang folgte. Im direkten Anschluss an dieses – vom Pleite-Ende einmal abgesehen – Musterbeispiel für den „amerikanischen Traum“ montiert Friedler eine weinende Sibylle Rauch, die von ihren Misserfolgen und Selbstmordabsichten berichtet. Das ist ein starker Kontrast, der, würde man Böses vermuten, einen Zusammenhang mit den „Eis am Stiel“-Filmen suggerieren könnte, der jedoch unausgesprochen und diffus bleibt. Katzur sorgt sich, dass „Eis am Stiel“ sexistisch sei und bezeichnet dessen Humor als roh, primitiv und herabwürdigend, seine Mutter empfindet die Filme als chauvinistisch und flach und ausschließlich auf ihre Sexszenen zugeschnitten, Atzmon vermisst Tiefgang und Mor schämt sich, naive Komparsinnen zu Oben-ohne-Szenen überredet zu haben. Dem Regisseur tue im Nachhinein vieles leid, Friedler schließt seinen Film mit selbstkritischen Worten Davidsons.

Der erste „Eis am Stiel“, ja, vielleicht die ersten beiden Teile, müssen eigentlich losgelöst vom arg durchwachsenen Rest der Reihe betrachtet werden. Das Original war etwas Besonderes, die Gründe dafür lassen sich dieser Doku entnehmen. Und es war, auch verglichen mit anderen Fummelkomödien der 1970er, harmlos. Ja, der Humor war alles andere als subtil, passte jedoch zu den pubertären Figuren, die im Mittelpunkt standen. Und sein relativ dominanter Coming-of-Age-Drama-Anteil konnte sich durchaus sehen lassen. Die Teile 1 und 2 waren alles andere als stumpfsinnige Sexklamotten. Natürlich sind sie Kinder ihrer Zeit, was es umso schwieriger macht, mit heutigen Moralvorstellungen auf sie zurückzublicken. Die von den Beteiligten geäußerten Kritikpunkte treffen eher auf die späteren Fortsetzungen zu.

„Eskimo Limon – Eis am Stiel: Von Siegern und Verlierern“ erweckt auf den ersten Blick den Eindruck eines außergewöhnlich differenzierten Dokumentarfilms, lässt jedoch in vielen Momenten die nötige Differenzierung vermissen. Sein Verzicht auf kritisches Nachhaken, insbesondere bei all den vernichtenden Statements auf der Strecke gebliebener oder sich dafür haltender ehemaliger Beteiligter, droht die Doku tendenziös in eine bestimmte Richtung zu leiten und die Botschaft zu transportieren, raffgierige Produzenten hätten sich mit frauenverachtenden Filmen eines skrupellosen Autors und Regisseurs die Taschen vollgemacht und ihre Schauspielerinnen und Schauspieler systematisch ausgebeutet. Schaut man genauer hin, klingen jedoch vielmehr persönliche Enttäuschungen, Identitätskrisen, falsche Entscheidungen und Hadern mit den eigenen Lebensentwürfen durch, wofür nur schwerlich die „Eis am Stiel“-Macher verantwortlich gemacht werden können.

Zweifelsohne liefert Friedlers Film spannende und aufschlussreiche Einblicke in die Entstehung der „Eis am Stiel“-Reihe und hört man Katzur & Co. gern zu, wenn sie alte Drehorte abklappern und Anekdoten vom Set zum Besten geben. Es ist auch keinesfalls verkehrt, in diesem Kontext Kritik zu üben, möglicherweise lange unterdrückten Scham- und Schuldgefühle Ausdruck zu verleihen und auf die tragische Entwicklung einzugehen, die der/die eine oder andere Darsteller(in) genommen hat. Jedoch sollte der Film mit dem Bewusstsein rezipiert werden, es mit von Friedler arrangierten und montierten, subjektiven Aussagen mit einem zeitlichen Abstand von bis zu 40 Jahren zu tun haben. Somit gilt es, auch auf Widersprüche und Ungereimtheiten zu achten, möchte man sich anhand dieses Dokumentarfilms ein Urteil über „Eis am Stiel“ sowie dessen Produktionsumstände und geschäftliche Seite bilden.

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