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(((Klong))). Das Sounddesign übernimmt die Führung, mit einer einzelnen Note, präzise, pointiert und bestimmt. Es reicht aus dem Unterbewusstsein ans Ohr und spezifiziert eine neue Situation, die den Smalltalk in den Kino-Sitzreihen oder auf dem Wohnzimmersofa rüde unterbricht. Das Bild ist da noch gar nicht zugegen; der schwarze Bildschirm wird lediglich mit weißem Text gefüllt, der darüber informiert, dass dies eine von der Medienstiftung NRW unterstützte Abschlussarbeit der Kunsthochschule Köln ist.

(((Klong))). Diesmal im Einklang mit dem Bild, das die Szenerie nun endlich auch für die Augen eröffnet. Die Kamera verharrt starr im vorderen Winkel eines Raumes, der sich weit in die Tiefe erstreckt. Sie zeigt den bieder eingerichteten Empfangsraum einer Polizeibehörde, eine von Zeit und Raum losgesagte Hölle bürokratischer Nüchternheit. Obwohl sein Film im Gesamten nur 70 Minuten misst, lässt Tilman Singer den Eröffnungs-Take ganze vier Minuten lang in unbewegter Position verharren, während ein älterer Herr hinter dem Schreibtisch zur Linken eifrig seinen Papierkram erledigt. Eine burschikose junge Frau mit rücklings aufgesetzter Kappe betritt die Halle von rechts. Sie trägt Verletzungen im Gesicht. Gedankenverloren schlurft sie zum Getränkeautomaten, zieht sich eine Cola, nimmt zwei Schlucke, murmelt dann etwas zum alten Mann und wird schließlich sehr laut – bis in großen, bedrohlichen Buchstaben die Titeleinblendung vollzogen wird: LUZ.

Noch eine weitere längere Szene dauert es, bis Singer schließlich zu seiner großen Kernszene vorstößt, die das ganze Dasein des Films überhaupt rechtfertigt. Es ist jene Art von monolithischer Kammerspiel-Explosion, in der alles zusammenläuft, was man im Vorfeld an Thesen und Ideen gesammelt hat. Ein Polizeipsychologe führt an der verletzten Taxifahrerin eine Hypnose-Sitzung durch. Doch der Zuschauer steht bereits selbst unter Hypnose, ohne es zu wissen… und zwar ganz genau ab dem Moment, als er das erste (((Klong))) vernommen hat.

Vom Stigma der Hochschul-Filmtheorie und der naiven studentischen Prätention sollte man sich nicht allzu sehr blenden lassen. Während man noch darauf geeicht ist, die bewusst vom Konventionellen abweichenden Stilmittel an der Hand abzuzählen, um sie gegen den Film zu verwenden, arbeitet der im Hintergrund längst konzentriert an seiner inneren Kohärenz, die er hinter den undurchsichtigen Drehbuchseiten einer nicht-linearen Story versteckt. Durch die geschlossenen Räume, die limitierte Anzahl an Sets und die fein abgezählten Darsteller verrät sich „LUZ“ als weitgehend mittelloses Gelegenheitsprojekt, das durch Glück, Timing, Geschick, Schweiß und Blut wesentlich kosmischer wirkt als es, gedreht in irgendwelchen leer stehenden Büroräumen in Köln-Kalk, eigentlich ist. Das analoge 16mm-Filmmaterial zwingt zur Improvisation, denn das physische Drehmaterial ist eine knappe Ressource; vor jeder Szene muss ganz genau überlegt werden, was auf welche Art gedreht werden soll. Minimalismus ist in einer solchen Situation vorprogrammiert, ebenso wie der improvisierte Expressionismus der Akteure. Was zuerst zählt, ist die Gesamtkomposition des Moments; dann die Eingliederung des Moments in den Kontext der Geschichte, die jedoch voller Asymmetrien steckt.

Als Konsequenz dieser Methodik sehen wir Schnitte, die Verbindungslinien rücksichtslos durchtrennen und passend dazu radikale Veränderungen der Einstellungsgrößen, durch die man sich binnen Sekunden an neue Perspektiven gewöhnen muss. Die Supertotale dominiert das Erscheinungsbild, was die Akteure mitunter schrecklich klein erscheinen lässt, ein Phänomen, das sich auch auf die Tonspur überträgt; Julia Riedler muss bei ihrem ersten Auftritt aus der hinteren Ecke einer Bar so laut rufen, dass ihr Kollege Jan Bluthardt, der den eingangs erwähnten Polizeipsychologen spielt, sie gerade so versteht; was nicht bedeutet, dass auch wir sie zwangsläufig verstehen, da wir noch weiter von ihr entfernt sind als er. Ihr Gesicht wird von den fahlen Neonröhren an der Wand überstrahlt. Wir können seine Züge kaum erkennen. Während wir noch mit zugekniffenen Augen auf Gesichtserkennung geschaltet haben, wird aber wieder die Einstellungsgröße gewechselt. Es übernimmt eine Nahe oder der Close-Up, das Seiten- oder Halbprofil geht dabei manchmal sogar in die Frontale über, so dass wir den Akteuren Auge zu Auge gegenübersitzen. Gerade in den nahen Momenten beginnt man auch das starke Filmkorn wahrzunehmen und die künstlich hinzugefügten Schmutzpartikel im Bild, die es ebenso wie die gesamte Ausstattung erschweren festzustellen, wo und wann wir uns gerade befinden. Es wird überwiegend Deutsch geredet, doch die chilenische Hauptfigur verbreitet die wichtigsten Zeilen des Dialogbuchs, die mehrfach wiederholt werden, auf Spanisch: „Vamos hoy a cogernos el hijo de María“. Dazu werden chinesische Hinweise an den Toilettentüren abgefilmt und in der simulierten Outdoor-Szene kommt auch noch Englisch dazu.

In gewisser Weise schließt sich „LUZ“ damit der Strömung des Nostalgiefilms an, denn er könnte zu jeder Zeit in der Vergangenheit spielen, nur nicht im Jahr 2018, seinem Entstehungsjahr. Für ein Zeitalter, das so sehr von verwertbaren Daten abhängig ist wie das unsere, hat er einfach nicht genug an den Knochen, das statistisch zu ermitteln wäre; ein abgegriffenes Basecap mit „CHILE“-Flockung vielleicht, mehr nicht. Nur tote Räume, getaucht in künstliche Beleuchtung, die alles wie einen langen Wartesaal für das Jenseits wirken lässt. Einstellungswechsel und Montagen, die zwar hart wirken, wenn man explizit auf sie achtet, die aber nicht dazu führen, dass einem die Wahrheit wie Schuppen von den Augen fällt. Im Gegenteil, je mehr man das Gezeigte zu durchschauen meint, desto weicher bettet es den Verstand auf eine Illusion, die zunehmend diffuser wird. Die Schlussszene ist passenderweise ein leeres Nebelfeld, in dem unbesetzte Stühle als einzige Orientierungsmarker dienen. Das Verschwinden der hinteren Reihen deutet an, dass man nur wenige Meter in den Raum blicken kann. Ein schöner Kontrast zur Eröffnungssequenz; und man könnte kaum sagen, dass man diese Transformation der Location in aller Deutlichkeit mitverfolgt hätte.

Und doch ist das Mittelstück eine meisterhafte Konstruktion, deren verschachtelte Anmutung nicht unbemerkt mit der Zeit weiterzieht. Wie in Lars von Triers „Dogville“ wird die spartanische Kulisse zum Theatersaal, der mit reiner Suggestion den Status der Realität erklimmt. Kamerawinkel vermitteln in harmonischer Paarung mit dem Foley Design, dass da ein Auto mitten im Raum steht. Der aus diversen Tarantinos bekannte Trunk Shot wird mit den Geräuschen eines zuklappenden Kofferraums garniert, auf ihrem Sitzplatz wird Luana Veliz zur Bleifuß-Pantomime. Ihr männlicher Konterpart gibt sich der Travestie hin, um im Minikleid die Rekonstruktion einer bizarren Rückblende perfekt zu machen. Ein Übersetzer fungiert in seinem Holzkämmerlein im Bildhintergrund als Vermittler zwischen dem Zuschauer und dem Irrsinn, in den sich das Spektakel langsam steigert. Er schreit und verkriecht sich in der Ecke, als ihn auf einmal die Augen des Teufels anstarren. Wer hätte denn auch ahnen können, dass sich mitten in einem behördlichen Gebäude im deutschen Sprachraum plötzlich die dämonischen Feuer lateinamerikanischer Kultur entzünden könnten?

Mit der Filmtheorie jedenfalls spielt „LUZ“ so leidenschaftlich wie mit der Erwartungshaltung der Augen, die auf der anderen Seite der Leinwand wie Irrlichter von einer Ecke zur nächsten schwirren und darüber selbst in Trance fallen. Der Plot ist ein Gejagter im Schnee, sich rückwärts bewegend, um seine verräterischen Spuren zu verwischen; seine wahre Position kann man niemals auch nur erahnen. Wie in Peter Stricklands „Berberian Sound Studio“ gerät die äußere Form stellvertretend für den Inhalt in den Vordergrund und behauptet, das Eigentliche zu sein. Sie füllt das Vakuum, das der verlorene rote Faden hinterlässt und lässt sich dabei von dem surrealen Sounddesign begleiten. Dass Tilman Singer im Grunde nur einen überlangen Kurzfilm gedreht hat, ändert nichts an seiner Effizienz. Jede Geste, jeder Ton sitzt.

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