„Alle Kinder glauben an Magie. Sie hören erst auf, daran zu glauben, wenn sie erwachsen sind. Außer denen, die vor Enttäuschung über die Wirklichkeit nichts mehr von ihr erwarten.“
Frankreich, das Land der Revolutionen: Die Nouvelle Vague war eine, bis es sich deren Vertreter in der französischen Filmlandschaft bequem eingerichtet hatten. Die nächste war dann der Genrefilm nach US-Vorbild, der sich gegen sie richtete: Zurück in die Studiokulissen! Einer der Pioniere dieser Bewegung ist der französische Filmemacher René Manzor, der nach seinem ersten abendfüllenden Spielfilm „Reise in die Unendlichkeit“ aus dem Jahre 1986 die Weihnachtshorror-/-action-Thriller-Melange „Deadly Games“ realisierte. Erste Festival-Aufführungen datieren aufs Jahr 1989, seinen Kinostart hatte der Film 1990.
„Versuch nicht, den Weihnachtsmann zu sehen. Er verwandelt sich sonst in ein Ungeheuer!“
Thomas (Alain Musy, „Reise in die Unendlichkeit“), ein aufgewecktes neunjähriges Kind und Halbwaise, lebt mit seinem Großvater (Louis Ducreux, „Ein Sonntag auf dem Lande“) und seiner Mutter (Brigitte Fossey, „La Boum – Die Fete“) in einem modern ausgestatteten, imposanten Schloss. An Spielzeug und Technik mangelt es dem verspielten, aber auch in EDV und sogar Kfz-Mechanik begabten und bastelfreudigen Jüngling nicht, denn seine Mutter sorgt als Chefin eines großen Kaufhauses für einen stattlichen Wohlstand. Obwohl Thomas ein hochintelligenter Junge ist, glaubt er noch an den Weihnachtsmann und will allen Zweiflern gegenüber den hieb- und stichfesten Beweis für dessen Existenz erbringen: Er hat die Wohnung mit Videoüberwachungstechnik ausgestattet, mittels derer er die Ankunft Santas festhalten will. In der Nähe des Kamins, durch den er ihn erwartet, versteckt er sich unter einem Tisch. Und tatsächlich: Ein Mann im Weihnachtsmannkostüm (Patrick Floersheim, „Frantic“) steigt durch den Kamin in die Villa ein, bringt jedoch zu Thomas‘ Entsetzen als erstes den Familienhund um – und hat es im Anschluss auf Thomas und seinen Opa abgesehen. Es handelt sich nämlich mitnichten um den gemütlichen Dicken vom Nordpol, sondern um einen Psychopathen, den Thomas‘ Mutter kurz zuvor als Kaufhaus-Weihnachtsmann entlassen hat. Und während diese noch Überstunden im Büro schiebt, kämpft Thomas ums Überleben…
„Es ist meine Schuld, Mama...“
Das Zitat vom Beginn dieser Rezension stammt vom Kinderpsychologen Bruno Bettelheim und eröffnet den Film in Form einer Texttafel. Denjenigen, der später zum Killer on the loose im Santa-Kostüm werden wird, sehen wir zunächst durch eine Schneeballschlacht von Kindern flanieren, die ihn zu seiner Enttäuschung nicht mitspielen lassen. Mit diesem Verweis auf dessen Infantilität will Manzor offenbar andeuten, dass es sich um einen zurückgebliebenen Sonderling handelt. Optisch ähnelt er Stadtstreichern und Tippelbrüdern. Der völlige Kontrast zu dessen Leben, in das wir lediglich einen winzig kleinen Einblick gewährt bekommen haben, ist dann Thomas‘ Tagesbeginn: Der einen damals schwer angesagten Vokuhila-Haarschnitt tragende Junge steht aus seinem aufgemotzten Bett auf, geht erst einmal trainieren, als befände ich er sich in einem „Karate Kid“-Film, und verkleidet sich als schwerbewaffneter Söldner, um in der Wohnung Krieg mit seinem Hund „JR“ zu spielen. Seinen Opa, zu dem er ein überaus herzliches Verhältnis pflegt, weckt er in dieser Montur zum Frühstück. Manzor inszeniert diese Figureneinführung nach allen Regeln der modernen, sich an ein jugendliches Publikum richtenden Filmkunst – beeindruckend.
Thomas‘ Mutter will auf den letzten Drücker Weihnachtsmänner für ihr Kaufhaus engagieren und geht daher recht wahllos vor – was ihrer Familie zum Verhängnis werden soll. Thomas‘ Kumpel Pilou (Stéphane Legros, „Mes meilleurs copains“) glaubt im Gegensatz zu ihm nicht mehr an den Weihnachtsmann. Per Minitel, der französischen BTX-Variante, kommuniziert Thomas durch Zufall mit seinem späteren Peiniger, offenbar gab es Frankreich seinerzeit öffentliche Minitel-Säulen. Nachdem dieser von Thomas‘ Mutter engagiert wurde, gerät er mit einem frechen Kind aneinander und wird prompt wieder entlassen, woraufhin er auf blutige Rache sinnt. Diese völlige Überreaktion ist man als Zuschauer(in) hinzunehmen gezwungen, denn tiefere Einblicke in die Psyche dieses Mannes, der bisher noch kein Wort gesagt hat, werden einem nicht gewährt. Er wird mir nichts, dir nichts zum eiskalten Killer, als er den Auslieferer der Weihnachtsgeschenke für Thomas und seine Familie tötet, sich dessen Weihnachtsmannkostüm überzieht und am Abend in die Villa eindringt. „Deadly Games“ gerät damit zu einem Home-Invasion-Thriller, der den Invasor wunderbar bedrohlich inszeniert und zu einer Art entmenschlichter Bedrohung wie aus einem Horrorfilm stilisiert.
Die Stimmung des Films ist nun ins Düstere gekippt; die bei Dunkelheit spielenden Szenen erhalten einen leichten Blaufilter, der Kälte suggeriert. Der Killer darf jetzt auch zumindest ein paar wenige Worte sprechen – und der technikaffine Thomas macht sich wieder als Söldner zurecht, avanciert zum Fallensteller und Granatenbastler in MacGyver-Manier. Diese entsprechend actionlastige zweite Hälfte setzt viel auf Spannung, arbeitet mit dramatisierenden Zeitlupen und einer – bereits im Auftakt angedeuteten – furiosen dynamischen Kameraarbeit, die zu kreativen Perspektiven neigt. Diese befinden sich häufig unter dem Horizont oder sogar nur knapp überm Fußboden, um die Sichtweise Thomas‘ zu suggerieren. Manzor und sein Team arbeiteten hierfür u.a. mit einem Steadicam-System. Dass es der Killer-Santa nicht leicht mit Thomas und dem Senior hat, liegt aber nicht nur in deren Wehrhaftigkeit begründet, sondern auch in der abgefahrenen Location, die von außen wie ein Märchenschloss aussieht und im inneren über labyrinthische Gänge und sogar einen geheimen Raum verfügt, in dem haufenweise Spielzeug Thomas‘ Vaters und sogar dessen Vaters gelagert wird – eine Art generationsübergreifendes Spielzeugmuseum im Look einer Rumpelkammer als eine von mehreren kuriosen Ideen, die das Drehbuch parat hat. Als schwerere Geschütze aufgefahren werden, wird in die Handlung ein eigens für den Film geschriebenes, von Bonnie Tyler gesungenes Weihnachtslied implementiert, das dann im Abspann noch einmal erklingt (und zu dem im Zuge der Dreharbeiten auch ein Videoclip erstellt wurde). Unabhängig davon ist Thomas am Ende völlig paralysiert.
Dass Thomas irgendwie alles kann, ist natürlich völlig unrealistisch und könnte vermuten lassen, „Deadly Games“ sei für eine gleichaltrige Zielgruppe konzipiert worden, die sich selbst einmal überhöht gezeichnet sehen möchte. Für Neunjährige ist dieser Film trotz Thomas‘ Vorbildfunktion jedoch eher nichts, so sehr er den Jungen auch in den Mittelpunkt stellt und auf Spielzeug und anderes, was Gleichaltrigen eben so alles Spaß macht, rekurriert. Der Spannungs- und der Härtegrad sind hoch, Thomas geht es kräftig ans Leder und Trauer, Verzweiflung, Panik und Todesangst sind die transportierten Emotionen. Inspiriert wurde Regisseur und Autor Manzor augenscheinlich stark vom US-Kino Spielbergs und Konsorten, „Deadly Games“ wirkt sehr amerikanisch. Schade ist es, dass der Killer so gut wie keine Hintergrundgeschichte erhält, sondern eher im Stile eines Michael Myers eingeführt wird – wenn auch nicht konsequent; doch die bruchstückhaften Informationen, die man über ihn erhält, reichen nicht zu einer wirklichen Charakterisierung. Die Gelegenheit, anhand der Gegenüberstellung eines trotz des Tods seines Vaters hochprivilegierten Kinds und eines unterprivilegierten älteren Mannes etwas Sozialkritik einfließen zu lassen, lässt Manzor ungenutzt verstreichen.
Thomas-Darsteller Alain Musy ist Manzors eigener Sohn und spielt seine Rolle überragend sowie mit einer Leidenschaft, die beinahe beängstigend ist – insbesondere hinsichtlich dessen, was ihm hier abverlangt wurde. „Deadly Games“ sieht häufig sehr artifiziell aus, was ihm aber einen coolen End-‘80er-Look verleiht. Die Detailverliebtheit der Inszenierung ist bemerkenswert, so wird beispielsweise die Sehschwäche des Großvaters visualisiert, finden sich aber auch Ehrerbietungen an andere Filme. „Deadly Games“ nimmt viel von „Kevin – Allein zu Haus“ vorweg, war offenbar eine große Inspiration für jenen ungleich erfolgreicheren Mainstream-Hit. Als Fan von Weihnachts-Thrill und ‘ 80er-Ästhetik versende ich meinen Kritikpunkten zum Trotz 7,5 von 10 BTX-Nachrichten, denn „Deadly Games“ genießt zurecht in Kennerkreisen Kultstatus!