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Staffel 1

Die Kundin ist nicht gerade begeistert von der Pizza, die ihr der junge Bote an der Wohungstür in die Hand drückt: da fehlt der Spezialbelag! Als die Tür ins Schloss fällt, fliegt die Pizza zu Boden - der Bote mit Motorradhelm will gerade die paar Münzen Trinkgeld einstecken und tritt aus der Haustür, als ihn wohlgezielte Schüsse in die Brust treffen. Es sieht wie eine Hinrichtung aus, als DI Kip Glaspie (Carey Mulligan) und ihr Kollege DS Nathan Bilk (Nathaniel Martello-White) am Tatort eintreffen. Für die Londoner  Kommissarin ergeben sich mehrere Fragen, vor allem ob es sich nicht um eine Verwechslung gehandelt hat, denn eigentlich sollte ein anderer Bote ausliefern, das Mordopfer war erst in letzter Minute dazu eingeteilt worden und trug außerdem einen Mofa-Helm - dies zumindest erzählt ihr deren Chefin Laurie Stone (Hayley Squires), die den Schnellimbiss leitet.
Es gibt sogar eine Tatzeugin, doch die Asiatin Linh Xuan Huy (Kae Alexander), die das Geschehen ziemlich stoned neben einer Mülltonne auf der anderen Straßenseite mitbekam, kann sich kaum an Details erinnern. Außerdem ist ihre Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen, weswegen sie einen falschen Namen angibt und sich schnell verkrümelt. Daß der Killer sich wie eine Frau in einem Taucheranzug bewegte, fällt ihr erst zuhause ein.
Schnell stellt sich heraus, daß das Opfer ein Asylwerber war und über einen gültigen (und in seiner Lage teuer zu erwerbenden) Führerschein verfügte. DI Glaspie findet schließlich dessen Angehörige in einer Garage versteckt: zwei Schwestern aus Damaskus, illegal in London und angeblich ohne Sprachkenntnisse. Sie werden in eine Asylunterkunft gebracht - der Tod ihres Angehörigen scheint sie erstaunlicherweise nicht zu überraschen. Und noch etwas ist seltsam: der britische Geheimdienst MI5 in personam des undurchsichtigen Sam Spence (John Heffernan) ist plötzlich zur Stelle und will sich um den Fall kümmern...

In nur 4 Episoden zu je etwa 55 Minuten packt Drehbuchautor David Hare eine ganze Menge Stoff hinein - dem britischen Dramatiker geht es in der BBC-Produktion Collateral dabei vor allem um gesellschaftspolitische Aspekte: verzweifelte Flüchtlinge, die mit dem britischen Asylsystem klarkommen müssen, die LBGT-Problematik in der anglikanischen Kirche, PTBS von Afghanistan-Veteranen, sexueller Mißbrauch beim Militär, Drogenmißbrauch von alleinerziehenden Müttern, die Verstrickungen eines Labour-Abgeordneten und mittendrin die warmherzige Kommissarin Kip Glaspie, früher eine bekannte Sportlerin, die hier ihren ersten größeren Fall lösen und ihn sich nicht von arroganten MI5-Leuten wegschnappen lassen will. Demzufolge ist die Mini-Serie auch weniger nach dem whodunit-Prinzip aufgebaut, sondern im Vordergrund steht die Frage nach dem whydunit.

Schon gegen Ende der ersten Episode erfährt der Zuschauer, daß die Killerin tatsächlich eine Frau ist: Hauptmann Sandrine Shaw (Jeany Spark), die in einer Kaserne wohnt und dort mit anderen ihrem Job nachgeht. Was bringt sie dazu, einen Asylwerber zu erschießen? Und da die befehlsgewohnte Soldatin nicht auf eigene Rechnung handelt, wer hatte ihr warum den Auftrag dazu gegeben? Der MI5 steckt mit drin, denn dem war der Iraker, der sich und seine Schwester als Syrer ausgegeben hatte, wohl bekannt...

Doch so interessant und aktuell für das Großbritannien (nicht nur) im Jahre 2018 die Thematiken auch sein mögen, irgendwie wirkt der sich zunehmend komplizierter ausnehmende Plot dann doch arg konstruiert: wenn z.B. die 23-jährige asiatische Zeugin in einer lesbischen Beziehung mit einer deutlich älteren Vikarin lebt, die sich aber noch nicht outen möchte, wobei sie ihren Vorgesetzten auf ihrer Seite weiß, da dieser selbst eine heimliche schwule Beziehung lebt. Die abgelaufene Aufenthaltsgenehmigung wurde dabei vom Labour-Abgeordneten David Mars (John Simm) unterzeichnet, der von einer zuvor ebenfalls abgelaufenen ersten Bescheinigung gar nichts wußte. Mars selbst wiederum ist der Ex-Ehemann jener jungen Mutter, welche die Pizza bestellt hatte und sich über den fehlenden Spezialbelag (übrigens ein Codewort für eine Portion Stoff) aufgeregt hatte. Derzeit datet der Mittvierziger eine blonde Bekanntschaft, die in einem Reisebüro arbeitet. Doch der Chef dieses Reisebüros hat aus ganz bestimmten Gründen Kontakt zum MI5 - wie anhand dieser (keinesfalls vollständigen) Auflistung zu erkennen, sind es dann doch zuviele Zufälle, um die Story noch authentisch erscheinen zu lassen.

Immerhin werden die vielen Fäden am Ende dann doch noch entwirrt und geben den Blick frei auf eine (aus kriminaltechnischer Sicht) verhältnismäßig simple Lösung.
Was von Collateral bleibt, sind einige (zum Teil äußerst plakativ vorgetragene) Miß-, (aber auch durchaus übliche) Umstände im heutigen Großbritannien und die Erkenntnis, daß die Serie - entgegen anderer vergleichbarer Produktionen, deren 6, 8 oder 10 Teile oftmals unnötig in die Länge gezogen produziert werden - mit ihren nur 4 Folgen zeitlich zu sehr eingeschränkt ist, all die durchwegs interessanten Sujets angemessen aufzubereiten. 6 Punkte.

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