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"Wäre ich nicht so alt!" knirschte der Wolf. "Aber ich muss mich leider in die Zeit schicken." Und so kam er zu dem fünften Schäfer.
"Kennst du mich, Schäfer?" fragte der Wolf.
"Deinesgleichen wenigstens kenne ich", versetzte der Schäfer.
"Meinesgleichen? Daran zweifle ich sehr. Ich bin ein so sonderbarer Wolf, dass ich deiner und aller Schäfer Freundschaft wohl wert bin."
"Und wie sonderbar bist du denn?"
"Ich könnte kein lebendiges Schaf würgen und fressen, und wenn es mir das Leben kosten sollte. Ich nähre mich bloß mit toten Schafen. Ist das nicht löblich? Erlaube mir also immer, dass ich mich dann und wann bei deiner Herde einfinden und nachfragen darf, ob dir nicht..."
"Spare der Worte!" sagte der Schäfer. "Du müsstest gar keine Schafe fressen, auch nicht einmal tote, wenn ich dein Feind nicht sein sollte. Ein Tier, das mir schon tote Schafe frisst, lernt leicht aus Hunger kranke Schafe für tot und gesunde für krank anzusehen. Mache auf meine Freundschaft also keine Rechnung und geh!"
Gotthold Ephraim Lessing: Die Geschichte des alten Wolfs. Fünfte Fabel
Season 5 ist die bessere Season 4, und das ist vor allem einem Mann geschuldet: Forest Whitaker.
Glenn Close war in der letzten Staffel fantastisch als Cpt. Monica Rawling, die einst den inzwischen als Stadtrat agierenden Cpt. Aceveda ablöste, doch so gut sie auch spielte, war ihre Rolle doch letztendlich nichts weiter als ein einfacher Ersatzbaustein für Aceveda. So kam es zu Wiederholungen der Muster der ersten drei Durchläufe der Polizeiserie.
Whitakers Lieutenant Kavanaugh von der Dienstaufsicht nun ist ein gänzlich anderes Blatt Papier und eine wahre Bereicherung für die Serie. Nicht einmal unbedingt ob seiner Position, wenngleich ihr zum Dank an dem Dreigespann Mackey - Kavanaugh - Aceveda endlich auch mal Spannungen nach dem “der Feind meines Feindes ist mein Freund”-Prinzip entstehen, die es mit der Figur von Glenn Close nicht geben konnte. Noch viel wichtiger ist es aber, auf welch vielschichtigen Charakter Whitaker zurückgreifen kann. Mit riesigem Geschick spannt er einen Spagat zwischen Kontrolle, Selbstzufriedenheit, Emotionalität und Verletzlichkeit. In den Gesprächen mit dem Stadtrat kommt noch die Selbstüberzeugtheit zum Vorschein, die Mitglieder des Strike Teams werden auch mit zwingenden Argumenten einzuschüchtern versucht, doch der Umgang mit Vic Mackeys Frau als Druckmittel gegen Mackey selbst offenbart schon eklatante Schwächen, die mit der labilen Ex-Frau des Dienstaufsehers endgültig aufbrechen. Am Ende ist Kavanaugh ein Mann, der sich in krankhafter Motivation an seiner Lebensaufgabe verhoben hat - vergleichbar mit William Fichtners Ermittlerfigur aus der zweiten Staffel von “Prison Break” - und an ihr zu scheitern droht.
Kurzum ist Forest Whitaker unumstritten das Gesicht des elfteiligen Episodenblocks, und dieses Gesicht steht “The Shield” verdammt gut. Im Rückblick fällt dann auch auf, wie geschickt Shawn Ryans TV-Kreation als Schachbrett mit seinen Figuren umgeht. Sollen Charaktere aus der Serie geschrieben werden, besteht mitnichten die Notwendigkeit, sie im Skript sterben zu lassen, so wie man es von Zeitgenossen wie “24" gewohnt ist. Statt dessen können sie auch mal aus dem Spiel genommen werden, um eventuell später nochmals einen Einsatz zu bekommen, insofern die Storyline es erfordert. Der vormals noch so dominante Anthony Anderson muss sich diesmal mit einigen wenigen Cameos begnügen, geht in ihnen allerdings auch hundertprozentig auf. Nie hat man das Gefühl, eine Figur wird aus Standing Ovations-Gründen zu lange im Scheinwerferlicht gehalten. Das ist eine Qualität, die “The Shield” im Besonderen auszeichnet und sie streckenweise zu einer der besten aktuellen Serien überhaupt macht. Der oftmals konstatierte Realismusanspruch bezieht sich nur in zweiter Linie auf die Plots; in erster Linie geht es darum, in welches Verhältnis die Figuren gerückt werden und welches Netz sie gemeinsam spannen.
Dem Trend entsprechend sollte auch “The Shield - Season 5" eigentlich als “The Shield 5" bezeichnet werden, kommt man ob der Kompaktheit und je Staffel charakteristischen Eigenständigkeit der Handlung doch viel mehr auf den Gedanken, einen überlangen Film aus einer Franchise zu sehen als eine Serienstaffel. Die Episoden bilden inzwischen nurmehr eine Elf, die letzte gar rebelliert wieder gegen das 40-Minuten-Format, das für die TV-Auswertung dank Werbung auf eine bequem zu kalkulierende Stunde Laufzeit ausgeweitet werden kann, und geht schon ohne Werbung knapp 70 Minuten. Die Subplots halten sich in Grenzen und sind in ihrer Wichtigkeit auch nur durchschnittlich stark von Interesse. Ein junges Latinomädchen beginnt ihren Dienst und hat damit zu kämpfen, ihr Girlie-Image aufzugeben und CCH Pounders Claudette Wyms erleidet einen persönlichen Schicksalsschlag. Ansonsten liegt der Fokus vornehmlich auf Kavanaughs Versuchen, das Strike Team um Leitwolf Mackey zu zerschlagen. Diesmal wird Curtis “Lemonhead” Lemansky (Kenny Johnson) eine zentrale Rolle einnehmen und die elfte Episode endet mit einem Paukenschlag, der sich gewaschen hat. Man möchte gleich wieder mit der sechsten Staffel einsteigen, denn die Geschehnisse dürften alles ändern, was bisher gewesen ist.
Streng genommen muss man zwar bemängeln, dass die fünfte Staffel sich narrativ fast 1:1 an ihrer Vorgängerstaffel orientiert, dabei aber wieder einige Dinge ausbessert, die damals gestört haben. Immerhin, Dutch ist nicht mehr ganz die Witzfigur, Mackey & Co. haben wieder ein wenig an Tiefe zurückgewonnen und vor allem Kavanaugh mischt die Abläufe ordentlich durcheinander. Das reicht, um aufgekommene Zweifel an der fortlaufenden Qualität von “The Shield” wieder einzudämmen. Fürs Erste jedenfalls.