Review

Season 03

(Die vorhergehenden Staffeln werden als Kenntnis vorausgesetzt.)

III
"Aller guten Dinge sind drei", dachte der Wolf und kam zu einem dritten Schäfer.
"Es geht mir recht nahe", sprach er, "dass ich unter euch Schäfern als das grausamste, gewissenloseste Tier verschrien bin. Dir, Montan, will ich jetzt beweisen, wie unrecht man mir tut. Gib mir jährlich ein Schaf, so soll deine Herde in jenem Walde, den niemand unsicher macht als ich, frei und unbeschädigt weiden dürfen. Ein Schaf? Welche Kleinigkeit! Könnte ich großmütiger, könnte ich uneigennütziger handeln? - Du lachst, Schäfer? Worüber lachst du denn?"
"O über nichts! Aber wie alt bist du, guter Freund?" sprach der Schäfer.
"Was geht dich mein Alter an? Immer noch alt genug, dir deine liebsten Lämmer zu würgen."
"Erzürne dich nicht, alter Isegrim! Es tut mir leid, dass du mit deinem Vorschlage einige Jahre zu spät kommst. Deine ausgerissenen Zähne verraten dich. Du spielst den Uneigennützigen, bloß, um dich desto gemächlicher, mit desto weniger Gefahr nähren zu können."

Gotthold Ephraim Lessing: Die Geschichte des alten Wolfs. Dritte Fabel

Das Strike Team ist zurück und bisher konnte man noch nie gespannter auf die Rückkehr sein, denn: War das bitte ein Appetizer zum Ende der zweiten Staffel oder was?

Und nun geschieht etwas, das die Fans der Serie wohl in zwei Lager spalten wird: Sie wird noch realistischer, noch bodenständiger, und hebelt sich damit immer weiter vom derzeitigen Genreprimus “24" ab, der mit zunehmender Staffelanzahl den umgekehrten Weg geht und sich immer mehr auf Spannung und Sensationseffekt reduziert. Die Frage ist, ob man den Vergleich zur CTU-Serie mit Kiefer Sutherland unbedingt stellen muss, da insgesamt doch zu viele Unterschiede existieren. Doch in mehreren Jahrzehnten wird man auf die TV-Serien des frühen 21. Jahrhunderts zurückblicken und die feinen Differenzen nicht mehr erkennen; nur noch den harten, gestylten Kern mit Protagonisten, die ähnlich böse sein müssen wie ihre Gegner, um diese fangen zu können. Und man wird es als Zeitdokument auslegen, das die US-Reaktion auf den Terrorismus von außerhalb und innerhalb des Landes wiedergibt, von 9/11, von High School-Massakern, Bandenkriegen und Großstadtverbrechen. Und hier schneiden sich sämtliche Serien über Agenten im Außendienst, die mit dem Prädikat “hart” hausieren.

Aus diesem Blickwinkel betrachtet, wird “The Shield” mit der dritten Staffel zunehmend sympathischer, denn eine Veranlassung, sich geradezu mit Ereignissen zu überschlagen, besteht auch weiterhin nicht. Im Gegenteil: Die Ereignisse werden quantitativ zurückgeschraubt, nur um in ihrer Intensität und Tiefe an Qualität zu gewinnen. Actionbetonten und sensationsbegierigen Zuschauern wird diese Entwicklung nicht gefallen, denn sie bekommen nicht mehr länger in jeder einzelnen Folge einen neuen Verdächtigen im Verhörraum serviert, der von den Cops ausgepresst wird. Im Gegenteil, ein einziger Fall ist es, der über viele Folgen ausgedehnt wird. Parallel dazu selbstverständlich laufen die fünf bis sechs weiteren Erzählstränge, um immer wieder aufeinander Einfluss zu nehmen und sich zu verstricken - einer der Punkte, die “The Shield” überhaupt zu seiner Grundstärke verhelfen. Doch vor allem ist wieder mehr Zeit da, das Gezeigte zu verarbeiten. Es muss nicht am Ende einer jeden Folge einen Cliffhanger geben; die jeweils 45 Minuten jeder der 15 neuen Episoden verschmelzen miteinander.

Kennzeichnend dafür ist es, dass die letzten paar Sekunden der zweiten Staffel den kompletten Weg des Strike Teams um Vic Mackey (Michael Chiklis) in der ganzen dritten Staffel vorbestimmt. Das Geld ist ein Problem in Folge 1 und wird es immer noch in Folge 15 sein. Natürlich wiederholen sich dadurch leicht die Vorgänge, da das Strike Team immer wieder in Zugzwang gerät, die eigene Korruption unsichtbar zu lassen. Doch in der Variation des Vorgehens von Mackeys Truppe liegt das Geheimnis. Unter dem Strich ist es mehr als eine Folge von systematischen Point & Klick-Handlungsaufträgen, die erledigt werden müssen, damit die ganze Sache nicht auffliegt. Verknüpft wird die Problematik beispielsweise mit Unfällen, mit privaten Veränderungen der Teammitglieder oder mit der Bewegung in den oberen Rängen des Polizeireviers (Cpt. David Aceveda kandidiert für den Bürgermeisterposten und Claudette soll zu seinem Nachfolger aufgebaut werden). Es bleibt abzuwarten, ob dieses Rezept in Season 4 immer noch unverbraucht erscheint, aber für die derzeitigen Zwecke reicht es noch.

Ganz selten passiert es zwar, dass ein Handlungsstrang in seiner Entstehung unglaubwürdig wirkt. So ist die Vermählung von Shane Vendrell zwar seiner Charakterzeichnung förderlich (gerade Shane-Darsteller Walton Goggins dürfte noch nie in seiner Karriere so viel Charakterzeichnung erfahren haben), doch wie sich sein Privatleben später auf die Probleme mit dem Geld auswirken, erscheint manchmal ein wenig zu konstruiert. Aber solche Fälle bleiben die Ausnahme , der ein ganzes Bündel an sinnvollen Erweiterungen entgegensteht.

So ist die Handlung um Aceveda und Claudette mitsamt der sich androhenden Spaltung des kompletten Reviers an Stärke kaum zu übertreffen. Fast gänzlich ohne überzogenen Knalleffekt entwickelt sich ein Kampf der Hauptfiguren mit ihren Kollegen und nicht zuletzt mit sich selbst. Speziell Aceveda selbst sowie Claudettes größter Vertrauter Dutch bekommen im persönlichen Bereich zwei gewaltige Brocken serviert, an denen nicht nur sie selbst, sondern auch die Zuschauer mächtig zu knabbern haben. Die psychologischen Auswirkungen dieser persönlichen Erfahrungen auf den Beruf werden kunstvoll subtil in das Berufsleben eingearbeitet, dass man nur aufstehen und klatschen kann.

Hauptfigur Vic Mackey und seinem Team wird ein etwas primitiverer Knochen zum Abwetzen vorgelegt - in Form einer “Lockvogel-Einheit”, bestehend aus Undercover-Agenten, die auf der Straße Penner oder Prostituierte spielen, um so Verdächtige festzunehmen. Die Einheit formt sich zu einer bedrohlichen Konkurrenz des Strike Teams und lenkt durch seine eigenen Erfolge immer wieder von dem Problem um die Geldkoffer ab, das ja inoffiziell erledigt werden muss. So wird Mackey immer wieder dazu gezwungen, als Reaktion auf das erfolgreich ermittelnde Lockvogel-Team seinem Chef offizielle Erfolge vorzulegen, was wiederum oftmals dem Bemühen zuwiderläuft, die Geldaffäre zu vertuschen. Ein interessantes Szenario, zumal Mackeys private Probleme mit seinem autistischen Sohn sich ja auch noch nicht in Luft aufgelöst haben und mit Shanes neuer Freundin auch ein weiteres Problem auftaucht.
Leider wirkt auch das plötzliche Auftauchen der Lockvogel-Einheit, die angeblich plötzlich so unglaublich wichtig für das Department ist, ein wenig zu sehr wie mit der Tür ins Haus gefallen. Es bleibt fraglich, wie das Revier vorher bloß ohne diese zusätzliche Verstärkung zurechtkam.

Nach 675 Minuten steht die möglicherweise bisher unspektakulärste Staffel der Serie, was man ihr aber insofern positiv auslegen kann, als dass sie die bis dato feinsten Story-Fäden spinnt. Ungemein komplex werden Privatleben, Bürokratie und Außendienst der wie immer hochinteressanten Charaktere miteinander verwoben und von ein paar Ausnahmen abgesehen gelingt das wunderbar. Chiklis ist stark wie immer, doch die wahre Show gehört diesmal anderen: Benito Martinez (Aceveda), Jay Karnes (Dutch), Walton Goggins (Shane) und auch Kenny Johnson (Curtis). Etwas zurückgedrängt gegenüber den Seasons 1 und 2 werden Catherine Dent als Danny und Michael Jace als Julien. In Gastrollen findet man unter anderem Sticky Fingaz als Mittelsmann und André Benjamin in einer verrückten Rolle als Kaufmann, der sich gegen Nutten und Crackdealer vor seinem Eingangsbereich wehrt. Der Zurückhaltung und ansteigenden Authentizität wegen vielleicht sogar die beste der ersten drei Staffeln.

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