"Auf der Jagd nach verlorenen Schätzen" - Spielberg zurück in der Zukunft
„Ready Player One" steckt voll genialer Einfälle. Das Buch wohlgemerkt. Ernest Cline entwarf eine Dystopie, die gleichzeitig beängstigend, faszinierend, prophetisch und nicht zuletzt enorm spaßig ist. Beängstigend, weil es um eine postapokalyptische Zukunft geht, in der die Menschen nicht mehr miteinander leben, sondern nur noch virtuell. Faszinierend, weil diese virtuelle Welt praktisch alles ermöglicht, was man sich so vorstellen kann, egal ob beruflich, privat oder sozial. Prophetisch, weil erste Anzeichen einer solchen Entwickliung längst erkennbar sind und weder Technik noch Konsumentenverhalten utopisch erscheinen. Und zu guter letzt enorm spaßig, weil Cline seine Parallelwelt mit popkulturellen Referenzen der in dieser Hinsicht besonders reichhaltigen Dekade der 80er Jahre geradezu vollstopft. Egal ob Computer-Nerd, Film-Freak, oder Pop-Fan, mindestens jeder, der zwischen 1965 und 1975 das Licht der Welt erblickte, kommt hier in ekstatische Kindergeburtstagslaune.
Keine Frage, dieser Bestseller schrie förmlich nach einer Kinoversion und wer, wenn nicht Steven Spielberg wäre dafür die absolute Traumbesetzung. Mehr noch als Kumpel George Lucas gilt er als Urvater des modernen Blockbuster und hat als Regisseur und Produzent die Pokultur der 80er Jahre geprägt wie kein zweiter (u.a. gehen E.T., Indiana Jones, Back to the Future, Gremlins, Goonies und Roger Rabbit auf sein Konto). Darüber hinaus war er immer ein enthusiastischer Pionier der Tricktechnik gewesen. Mit „Jurassic Park" (1993) schließlich hatte er das Tor zu realistischen digitalen Welten endgültig aufgestoßen, von da an schien alles möglich. Das Dinosaurier-Spekatkel war aber auch der letzte Film, der noch den typischen Spielberg Geist eines übermütigen Kindes atmete, das zum allersten Mal die Faszination eines gigantischen Rummelplatzes in sich aufsaugt. Nach dem beinahe zeitgleich entstandenen „Schindlers Liste" änderte sich der Ton seiner Werke drastisch und selbst die nur noch sporadisch eingestreuten Abenteuer-Ausflüge ließen die alte Lockerheit und den so ansteckenden, naiven Charme weitestgehend vermissen. Für „Ready Player One" bedurfte es allerdings beide Seiten der Spielberg-Medaille und man durfte gespannt sein, ob er auch wieder in den Pre-Schindler-Modus schalten konnte.
Zunächst einmal machte Spielberg einen klugen Zug und holte Ernest Cline als Drehbuch-Coautor mit ins Boot. Denn eines war klar, der mehrere hundert Seiten starke Schmöker lies sich nicht so ohne weiteres 1:1 auf die Leinwand übertragen. Vor allem die virtuelle Schatzsuche in der OASIS, bei der die Helden seitenlang diverse Computer- und Automatenspiele durchspielen, würde enorm ermüden und dramaturgisch kaum funktionieren. Dazu kommen noch ähnlich ausführliche Beschreibungen verschiedenster Welten, die Game-Designer und OASIS-Erfinder James Halliday in Anlehung an seine Lieblings-Filme, - Spiele und -Orte erschaffen hat. So gesehen ist es durchaus sinnig, dass der Film beinahe das gesamte erste Romandrittel in wenigen Minuten abhandelt.
Das grobe Setting und Handlungsgerüst serviert Spielberg via Voice-Over des jugendlichen Helden Wade Watts. 2045 besteht ein Großteil der Erde aus Slums, die aus wild wuchernden Trailerpark-Wolkenkratzern bestehen. Die Menschen entfliehen diesem tristen Alltag praktisch rund um die Uhr, indem sie sich so lange wie möglich in der virtuellen Parallelwelt der OASIS aufhalten. Dort kann man arbeiten, zur Schule gehen und Vergnügungen aller Art nachgehen. Als 2040 mit James Halliday der kreative Kopf hinter all dem stirbt, hat er ein Easter Egg hinterlassen, das dem glücklichen Gewinner, sofern er die drei in den Weiten seines virtuellen Kosmos versteckten Schlüssel findet und dekodiert, nicht nur unermeßlichen Reichtum, sondern auch die Kontrolle und Verfügungsgewalt über die OASIS verschafft. Erst 5 Jahre später gelingt es Wade Watts in Gestalt seines Avatars Parzival die erste Hürde zu nehmen. Doch längst hat der globale Telekommunikations-Konzern IOI zum Groß-Angriff geblasen und alle seine Ressourcen aktiviert, um Wade und andere potentielle Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen ...
Die Verdichtung der Filmhandlung auf die Highlights der Jagd nach dem Easter Egg folgt der Logik etablierter Blockbuster-Strukturen, birgt aber die nicht unerhebliche Gefahr eine der zentralen Aussagen der Vorlage zu entkräften. Bei allem überbordenden Cyber-Fun und ekstatischer Zitierfreude fährt „Ready Player One" auch eine ordentliche Portion Gesellschfatskritik und Zukuntspessimismus auf. Spielberg war sich dieses Dilemmas offensichtlich bewusst, denn im Schlussakt packt er den erhobenen Zeigefinger aus und wandelt sich vom digitalen Budenzauber-Enthusiasten zum pädagogischen Technik-Mahner. In Gesalt seiner verliebten Protagonisten Wade Watts und Samantha Cook singt er eine Ode auf wahre Gefühle und echte Erlebnisse. Im Film wirkt das dann aber leider exakt so holzhammermäßig wie es sich hier liest.
Wenn von 140 Minuten gefühlt 90 Prozent in der digitalen Parallelwelt der OASIS spielen, die Spielberg zudem dermaßen mit Gimmicks, Referenzen und vor allem blitzlichtartig arrangierten Effekten zudröhnt, dass man sich nach sofort wirkenden ADS-Hämmern sehnt, dann verkommt die finale Kurzpredikt zu einem peinlichen Offenbarungseid. Die Glaubwürdigkeit der Botschaft wird jedenfalls gnadenlos durch die Gesamterfahrung ad absurdum geführt, erinnert irgendwie, wenn auch unter ganz anderen thematischen Vorzeichen, an Spielbergs „Anti"-Kriegsfilm „Saving Private Ryan". Kurz: der Spielberg gern verpasste Beinamen „Märchenonkel" wird hier auf wenig schmeichelhafte Weise mal wieder zur Wahrheit.
Problematisch wird jetzt auch der Verzicht auf eine ausführlichere Exposition. Anders als in der Buchvorlage widmet Spielberg den trostlosen Lebensumständen großer Teile der Weltbevölkerung lediglich ein paar kurze Sequenzen, die zudem eher an idylische Hartz IV-Zustände erinnern, denn an ein postapokalyptisches Dahinsiechen. Die praktisch alternativlose Flucht in die digitale Zauberwelt wird damit motivisch ordentlich entkräftet, was wiederum die abschließende Message nicht unerheblich abschwächt. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Spielberg in allererster Linie bewiesen wollte, dass er nach wie vor das Maß aller Effekt-Dinge ist und all den CGI-Epigonen bei Marvel und Co. mal so richtig zeigen wollte, wo der inszenatorische Hammer hängt.
Selbst das gelingt allerdings nur bedingt. Nicht nur dass Spielberg spätetens seit "Avatar" die Effekt-Innovationskrone an James Cameron verloren hat, die schiere Masse an Welten, Helden und Popkultur-Anspielungen kann naturgemäß nur angerissen werden und verkommt zu einer digitalen Nummernrevue ohne erkennbare optische Struktur oder Linie. Dazu kommt, dass Wade und seine gleich gesinnten Cyber-Freunde vor allem durch ihre Avatare sichtbar werden, was sie entsprechend künstlich macht und kaum Identifikation zulässt. Im ganzen Film gibt es nur ein einizige Szene, die Spielbergs alte Sense-of-Wonder-Meisterschaft herauf beschwört. Wenn Wades Trupp in eine perfekte Simulation einiger Schlüsselszenen aus Stanley Kubricks „The Shining" geraten, ist das pure Kinomagie auf einem ganz neuen Level. Man stelle sich nur vor, man könne in bestimmte Settings seiner Lieblingsfilme eintauchen und dort die vertraute Handlung selbst erleben oder vielleicht sogar verändern. Phantastisch. Zwar wäre es im Sinne der Vorlage noch stimmiger gewesen, die Helden in die verrückten Abenteuer-Kaskaden von Marty McFly oder am besten gleich Indiana Jones stolpern zu lassen, zumal „The Shining" (1980) nicht gerade zum Nerd-Kult-Kanon der 80er zählt. Trotzdem muss man Spielberg hier einen dieser filmischen Wow-Momente attestieren, die nur er hin bekommt.
Eine seiner großen Stärke war auch immer die Erschaffung zutiefst menschlicher Charaktere, die ihn immer deultich von der Konkurrenz ganz häufig völlig seelenloser Effektspaktakel abhob. Auch dabei hat er sich mit „Ready Player One" selbst ein Bein gestellt, denn die menschlichen Gesichter verschwinden allzu häufig hinter ihren artifiziellen Avataren. Das ist besonders im Falle Ben Mendelsohns sehr schade, der wie in „Rogue One" eine fulminante Schurken-Darbietung abliefert. Leider ist er als IOI-Chefkiller Nolan Sorrento ebenfalls ausgiebig in der OASIS unterwegs. Umgekehrt verhält es sich mit Mark Rylance. Seit dem Oscar für „Bridge of Spies" offenbar eine Spielberg-Muse, gibt er eine seltsam schläfrige Vorstellung als verklemmt-verpeiltes Computer-Genie mit Hippie-Allüren. Da freut man sich fast auf Hallidays Gandalf-Gedächtnis-Avatar „Anorak", der scheint jedenfalls nicht auf einem seligen Marihuana-Dauertrip. Die übrigen relevanten Darsteller bleiben komplett blass, selbst Blockbuster-Sidekickstar Simon Pegg kann als Hallidays Partner Morrow kaum Akzente setzen.
Bleibt noch die von Spielberg ja höchstpersönlich so stark geprägte Popkultur der 80er Jahre. Da hüpfen für Sekundenbruchteile alte Bekannte wie Freddy Krüger, Chucky, Jason oder Robocop durchs hoffnungslos überladene Bild. Da klingen im Hintergrund ein paar Takte des Tears for Fears-Hits „Everybody wants to rule the world" an, obwohl doch jeder weiß, dass „Shout" der ungleich größere und prägendere Klassiker war. Wenigstens erleiden New Order nicht dasselbe Schicksal, allerdings haben wir „Blue Monday" schon kürzlich als Auftaktsong von „Atomic Blonde" gehört, wo er im übrigen viel besser platziert war. Die noch so effektiv den Trailer anheizenden Depeche Mode sucht man gleich ganz vergeblich. Und sonst? Ach ja, Parzival steigt auf Eierjagd gern in einen digitalen DeLorean und sein Freund Aech erweckt den „Gignat aus dem All" für eine kurze Prügelorgie zum Leben. Das wars dann weitesgehend. Für 80er-Freaks eine recht ernüchternde Ausbeute, für das anvisierte junge Publikum der Gegewart ist vermutlich aber selbst das schon zu viel gewesen.
Für einen weiteren Science-Fiction-Hit im Hause Spielberg wird es aber dennoch reichen. Dafür werden schon allein die Box office-technisch immer wichtiger werdenden Zuschauer aus dem Reich der Mitte sorgen. Die stören sich kaum an dürftigen Handlungen, wenn nur der digitale Overkill ordentlich reinhaut. Und das ist Spielberg zumindest quantitativ in mehr als ausreichendem Maß gelungen. Die von ihm einst verbreitete Kinomagie, diese einmalige Fusion von Herz und Attraktion, ist dagegen zu einer Schimäre aus einer verklärten Vergangenheit geschrumpft. So gesehen ist „Ready Player One" tatsächlich genau der richtige Film für Spielberg, aber für den der Nach-"Jurassic Park"-Ära. Ernest Cline allerdings dürfte eher seinen Vorgänger im Sinn gehabt haben. Am Ende sind sie damit wenigstens wieder vereint als „Jäger eines verlorenen Schatzes".