Steven Seagal wartet, bis die Stelle als Dalai Lama frei wird und dreht so lange halt Filme. Als Warmup.
Oder:
Für einen Sack voll Federn
„Attrition" hat mich glatt vom Hocker gehauen, denn wie groß die Schacke von unserem Wahlrussen (Heimat ist da, wo das Herz am höchsten schlägt!) wirklich ist, habe ich in meinen kühnsten Träumen nicht vorhersehen können. Ich hatte mich zuletzt ehrlich gesagt sehr wenig mit dem Spätwerk Seagals beschäftigt, da sich jede Sichtung nach zu viel Vollkontakt anfühlte. Blaue Flecken auf dem Neocortex...
Ab mit dir in den Ofen, Lebkuchenmann!
Nach den bisherigen Rezensionen gab ich diesem Beitrag zum buddhistischen Fernstudium nun eine Chance und habe mich selbst mehr belohnt, als es mir zukommt. Der Film ist so reich an übersteigerter Selbstdarstellung, dass der Zustand beim Anschauen immer irgendwo zwischen Erschütterung, Ungläubigkeit und heiterem Kichern pendelte. Der Regisseur Mathieu Weschler bemüht sich dabei schon, Eyecandy und schmissige Actionszenen zu liefern. Und genau da kommen wir zum Problem, denn immer wenn Seagal selbst Bestandteil einer Kampfszene ist, zerplatzt jede Dynamik an ihm wie ein Cremetörtchen an der Hauswand. Dabei scheint er selbst von teigartiger Konsistenz zu sein. Ein Phänomen.
Da das Aikido-Genie in den Nahkampfszenen immer steht wie angenagelt, bewegt sich halt die Kamera, um so etwas wie Agilität zu suggerieren. Wenn in den Sequenzen abwechselnd das Double und wieder der hüftsteife und fußfaule Recke zusammenmontiert werden, ist das jedes Mal pures Gold.
Es ist viel Liebe zu vergeben
Die größten Absurditäten bietet „Attrition" aber bei dem Versuch, seinen Helden als esoterisch vernebelten und Güte versprühenden Heroen zu charakterisieren. Diese Episoden verlaufen vollkommen von der Handlung unmotiviert und, naja, halt episodisch ab und enden stets mit vor Dankbarkeit hysterisch weinenden Asiaten. The emotion goes up to 11. Jede dieser Szenen ist ein Brüller. Jede. Da Seagal hier selbst am Drehbuch mitschrieb, kommt einem aber auch immer der sprichwörtliche Vergleich mit einem Autounfall, bei dem man nicht wegschauen kann, in den Sinn. Eine Achterbahn der Gefühle. Und bei zu viel Achterbahn wird ja auch gerne mal gekotzt.
Die Beziehung zwischen den beiden sich als Brüder bezeichnenden Figuren Axe und Chen Man schlägt auch jede Menge Sahne steif, haben wir es doch mit einem waschechten Gütigkeits-Walk-Off zweier Philanthropen zu tun, deren jeweilige Aktionen im weitesten, aber auch im engsten Sinne mit der eigentlichen Handlung gar nichts zu tun haben. 85 Minuten inklusive Abspann wollen ebenso gefüllt werden wie der Magen des Hauptdarstellers und da muss eben einfach mal improvisiert werden. Her mit dem KFC-Eimer! Her mit dem vollkommen unerklärten Selbstmörder!
Der Bruder-Darsteller Fan Siu-Wong sieht sich zudem durch Seagals Verweigerung jeder mimischen Regung anscheinend genötigt, kompensatorisch entgegenzuwirken und eben das Doppelte an Gesichtsgymnastik hinzulegen, wenn man gemeinsam vor der Kamera sitzt (Seagal läuft nicht gerne, aber auch das Stehen wird ihm offenbar schnell lästig). Als die beiden dann bei ihrem an Güte scheinbar nicht minder ausgestatteten Meister vorstellig werden, geht wirklich die Post ab und ich wünschte, man würde den Film zur endlosen Seifenoper umwidmen. What a feeling!
Ein Plot aus Hack
Der scheinbar ebenfalls rein der Figurenzeichnung geschuldete Prolog (Seagal kann Krieg, sucht aber den Frieden!) wird dann später relevant, wenn plötzlich die alte Crew zusammengewürfelt wird, um den eigentlichen Plot zu verfolgen: Ein übersinnliches Mädchen soll aus den bleichen Händen eines sonnenallergischen Unholds befreit werden, der seine Heilung und den Weg aus seinem Käfig in eben diesem Mädchen sieht. Die Jungfrau und der Drache - Ganz klassisch! Die Vorstellung der generischen Truppe verläuft dann abermals (Hallo „Submerged"!) in Clip-Optik mit Namenseinblendung, damit man ja auch jedes Los aus dem Topf gezogen hat. Leider gewonnen!
Das Ganze endet dann in einem von CGI-Blut geschwängerten Showdown, der Shootouts und Schwertkämpfe auffährt, die pflichtbewusst und schlecht getrickst den Film auf der Geraden ins Ziel fahren lassen. Und ich stellte fest, dass mich eben diese Szenen am wenigsten interessierten und ich eigentlich gerne mehr Mildtätigkeits-Episoden vom Mann mit der aufgemalten Graf-Zahl-Frisur gesehen hätte. Oder längere Sequenzen, wie er mit dem Strohhut (Schatz, ich mach mal was im Garten) durch den Wald läuft, denn da funktionierte der Film für mich überraschend gut, wenn es um den reinen Unterhaltungswert geht.
Apropos Unterhaltungswert: Den eigenen hat Seagal für sich beim Dreh erhöht, indem er kurzerhand eine Traumszene mit einer ebenso mystischen wie schönen und nackten Frau hinzuschrieb, die vollkommen überflüssig ist, wenn man von der ebenso mystischen wie schönen und nackten Frau absieht. Der alte Lustmolch. So empfiehlt er auch dem einzigen weiblichen Crewmitglied beim Pläneschmieden: „Du kannst dich gern sexy anziehen. Das liegt ganz bei dir", was allerdings für den Plan selbst vollkommen belanglos ist. Man muss dem Film also schon Aufmerksamkeit zollen, um diese beiläufigen aber wirkungsvollen Highlights mitzubekommen.
Fazit
„Attrition" ist ein in Sachen Optik bemühter, dabei aber sehr steriler B- bis C-Actioner, der ganz auf seinen selbstgefälligen Hauptdarsteller zugeschnitten ist. Dieser verweigert glatt, wann immer es geht, das Laufen und Stehen, beweist einmal mehr einen fragwürdigen Geschmack in modischen Belangen (Kleidung, Hut und ein scheinbar wachsender Fetisch für merkwürdige Brillen), sorgt aber gleichzeitig für debile Unterhaltung, die selten Langeweile aufkommen lässt. Das Drehbuch ist offensichtlich mit der Mad-Lips-Methode entstanden, dafür knallt man aber episodische Absurditäten auf den Bildschirm, dass es dem Frosch die Locken glattbügelt.
Was soll man dazu noch sagen? Nichts. Außer den womöglich besten Satz, den Seagal je in seinen Filmen sagen durfte:
„Bring mir den größten Sack, den du findest."
Steven geht es eben doch immer nur um Steven.