Review

Klappe zu, Gesellschaft lebendig 

Nach "Der Staat gegen Fritz Bauer" rollt Lars Kraume diesmal ein interessantes Kapitel DDR-Geschichte auf und übertrifft sich dabei selbst. "Das schweigende Klassenzimmer" ist jetzt schon sicher einer der wichtigsten und feinsten deutschen Kinobeiträge des Jahres. Erzählt wird die Geschichte einer Schulklasse kurz vor dem Abitur im Ost-Berlin der 50er, die auf Grund von Unruhen und Toten in Ungarn zwei Minuten zu Beginn des Unterrichts schweigt. Aus Trauer, Mitgefühl und scheinbar auch etwas Langeweile. Schnell wird der halbpolitische Spaß allerdings ernst und schlägt große Wellen... denn der Kommunismus mag Freidenker und Unangepasste gar nicht.

Manchmal fliegen der Zeigefinger, der Pathos und die Moralkeule etwas höher, als sie gebraucht hätten. Von der packenden Wirkung, der schicken Inszenierung und den tollen Darstellern nimmt das allerdings kaum etwas. Es sei denn, man seziert das Werk politisch strenger und genauer wie es die staatlichen Genossen  im Film mit der Klasse machen. Und das muss hier, trotz des Themas, nicht sein. Zu stark ist die Wucht, zu laut der stumme Schrei, zu wichtig und klar und aktuell die Aussagen. Keineswegs wird nur gesagt, dass man sich der Masse anschließen und das eigene Denken einstellen soll. Ganz im Gegenteil. Obwohl die Jungs und Mädels dieser speziellen Oberstufe gar nicht recht wissen, wo sie da reingeraten sind, dienen sie perfekt als Vorbilder und Kämpfer für die Freiheit. Vor allem im pulsierend-guten Finale zahlte sich in meinem Bauch, in meinem Kopf, in meinem Herzen absolut alles aus.

Die jungen Darsteller spielen meist sehr natürlich und Kraumes Führung und Inszenierung steht dem in Nichts nach. Einige Bilder sind klassisches Kino vom Feinsten und poetisch schön. Hierzulande mit Seltenheitswert. Zudem sind die DDR-Staatsfunktionäre mehr als formidable und beängstigende Gegenspieler. Eine Dame erinnerte mich sogar an Schwester Ratchet aus "Einer flog übers Kuckucksnest", was für sich sprechen sollte. "Das schweigende Klassenzimmer" wird das Publikum alles andere als sprachlos zurücklassen und er läutet Themen an, die leider nie und unter keiner Staatsform alt werden. Zivilcourage. Mut. Wahrheit. Erwachsenwerden. Und die Last der Väter. "Große Sachen", würde dazu eine der Hauptfiguren im Film sicher sagen, die zu schlucken sich jedoch mehr als lohnt und Gedanken anstößt.

Fazit: aufwühlend, emotional und mitreißend - vorbildliches deutsches Geschichtskino, wie es sein muss aber man selten sieht. Getragen von frischen Jungdarstellern und einer klaren Linie Richtung Freiheit. Der Sprache und des Schweigens. Ein deutsches Kinoerlebnis, das ungewöhnlich lange nachwirkt und im Raum steht. Bemerkenswert!

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