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40 Jahre in der Zukunft ist Berlin Mitte der 2050er Jahre ein brodelnder Schmelztiegel geworden, in dem Immigranten aus aller Welt, darunter auch  viele aus dem immer noch umkämpften Afghanistan zurückkehrende GIs, sich ein Stelldichein geben. Irgendwo in diesem Moloch arbeitet der stumme Leo Beiler (Alexander Skarsgård) als Barkeeper. Durch einen Badeunfall in der Kindheit am Kehlkopf verletzt, dessen Behandlung die technikfeindliche, einer religiösen Sekte angehörige Mutter seinerzeit abgelehnt hatte, wuchs Leo ohne eigene Stimme auf. Jetzt ist der zurückhaltende Riese Anfang 40 und führt ein bescheidenes Leben, in dem er gerne zeichnet und drechselt. Kürzlich hat er sich unsterblich in seine Kollegin Naadirah (Seyneb Saleh) verliebt, die leicht geschürzt mit blauen Haaren in demselben Club als Kellnerin arbeitet.
Naadirah fühlt sich durch die höflichen Avancen ihres Kollegen geschmeichelt und ist einer Beziehung auch nicht abgeneigt, doch gibt es einige Dinge in ihrem Leben, die Leo wissen sollte - doch findet sie nicht den rechten Moment, mit ihm darüber zu sprechen. Als ein arroganter Gast sie betatscht, erliegt der stumme Barkeeper seinen Beschützerinstinkten und zettelt beinahe eine Schlägerei an, was ihm einen Verweis seines Chefs einbringt. Als kurz darauf derselbe Gast Leo direkt provoziert, kann dieser sich erneut nicht beherrschen - und diesmal fliegt er raus. Doch das stört den ansonsten ruhigen Leo nicht, viel schlimmer für ihn ist der Umstand, daß Naadirah plötzlich spurlos verschwunden ist.
Nur mit einem Foto ausgestattet sowie ein paar Zetteln, auf die er kurze Sätze schreibt, macht sich der Verliebte auf den Weg, seine Angebetete wiederzufinden. Dabei muß er sich mit Zuhältern, Drogendealern, Prostituierten beiderlei Geschlechts und weiteren Gestalten des Berliner Nachtlebens auseinandersetzen, unter anderem auch den beiden fahnenflüchtigen US-Militärchirurgen Cactus Bill (Paul Rudd) und Duck (Justin Theroux), die sich bei einem russischen Mafioso verdingt haben. Von den meisten nur als Spinner bezeichnet, sammelt Leo akribisch Hinweise und Indizien zum Verbleib von Naadirah, die ihn zwar in manche Sackgasse führen, am Ende aber tatsächlich auf die Spur der Verschwundenen bringen...

Nach dem Überraschungserfolg seines 2009er Erstlingswerks Moon – Die dunkle Seite des Mondes lag die Messlatte für Regisseur Duncan Jones nächsten, als zweiten Film einer Trilogie geplanten Streifen Mute daher entsprechend hoch - doch das ausdrücklich nicht als Fortsetzung von Moon deklarierte Herzensprojekt des Regisseurs, das aus finanziellen Gründen erst 2016 abgedreht und 2018 bei Netflix veröffentlicht wurde, fiel bei Kritik und Publikum größtenteils durch. Zu Unrecht, wie ich meine, denn Mute bietet neben der freilich nicht sonderlich innovativen Geschichte einer verschwundenen Geliebten, die gesucht wird, vor allem höchst interessante Psychogramme äußerst seltsamer Gestalten, deren teils detailliert beschriebenes Handeln und Denken bis hin zu deren schrulligen Marotten für ein höchst unterhaltsames Sehvergnügen sorgen.

Obgleich Skarsgård als ziemlich geradliniger Typ die Hauptrolle innehat, vermag ihm das aus zwei höchst unterschiedlichen Charaktären bestehende Ärzteteam Cactus und Duck alsbald die Show zu stehlen - lose angelehnt an zwei Darsteller des 1970er Kultstreifens M*A*S*H agieren der aufbrausende, extrovertierte Cactus, ein eiskalter Berufssadist und Zyniker mit riesiger schwarzer Rotzbremse und sein Partner, der zunächst distinguiert und eher kalmierend auftretende Duck (mit kurzen blonden Haaren und selbsttönender runder Sonnenbrille) als geradezu kongeniales Pärchen, dem man trotz ihres höchst kriminellen Treibens einfach gerne zusieht.

Auch die Nebenfiguren sind interessant genug gestaltet, den zwischenzeitlich im Hintergrund verschwindenden Plot um die mühsame Suche vergessen zu machen: Clubbesitzer Maksim (Gilbert Owuor), stets mit Kopfhörern unterwegs, ist trotz des russischen Namens ein Afroamerikaner mit einer geradezu soften Attitüde bezüglich seiner Umgangsformen. In krassem Gegensatz dazu ist die Figur eines seiner Enforcer, des einzigen Deutschen im Film, Gunther (Ulf Nadrowski) konzipiert, dem als älterem Kraftlackel mit dicker Brille das Gehirn förmlich in den Bizeps gerutscht zu sein scheint.
Last not least natürlich das Love Interest von Leo, die geheimnisvolle Naadirah, eine grell geschminkte Afghanin, die dem stummen Barkeeper mit der paschtunischen Redewendung da stargo tora (wörtlich: das Schwarze meiner Augen) ihre Liebe eingesteht und diesen damit völlig verzaubert. Ihre Nebentätigkeit als Prostituierte ignoriert Leo dabei genauso wie jedweden Zweifel an seiner weltfremden edler Ritter rettet Burgfräulein-Vorstellung.

Kritikpunkte an Mute waren u.a. die unzureichend dargestellten Sci-Fi-Aspekte des zukünftigen Berlins: das riesige nächtliche Lichtermeer besteht aus vielen Neon-Reklametafeln und erinnert damit unweigerlich an den 1982er Blade Runner, ohne jedoch dessen augenfällige technische Innovationen darzustellen: zwar gibt es riesige TV-artige Tablets, auf denen sich bequem kommunizieren läßt, fliegende Taxis, Hologramme und dergleichen sucht man in Mute jedoch vergebens. Androiden (in ein, zwei kurzen Szenen als Animierdamen bzw. Schlägertrupps) scheint es zu geben, auch kann man geräuschlos angerufen werden (Cactus empfängt ab und zu solche telepathischen Anrufe), doch spielen diese technischen Gadgets eine völlig untergeordnete Rolle. Leo selbst fährt ein im Film als altertümliche Schrottkarre bezeichnetes Mercedes-Coupé aus den 1970ern, Cactus´ modernes Fahrzeug dagegen ist ein kantig designter Offroader. Dieser Mischmasch aus 1970er/1980er-Jahren mit angedachten Zukunftsentwicklungen Mitte der 2050er Jahre ist natürlich als solcher nicht sonderlich überzeugend, will sich aber auch überhaupt nicht mit technisch versierten Dystopien vergleichen, sondern dient lediglich als Hintergrund für die von den Hauptcharaktären gesetzten Aktionen.

Mute, dessen Handlungen in ihrer bösartigen, oft gewalttätigen Absurdität manchmal an Pulp Fiction erinnern, schafft es dabei, am Ende alle Fäden seiner nicht immer sofort ergründbaren, manchmal scheinbar ziellos ablaufenden Nebenhandlungen zusammenzuführen und den mit 126 Minuten überlangen Streifen dann sogar mit einem logischen Schluß enden zu lassen.
Fazit: ein genauso eigenständiger wie eigenwilliger Film, dessen ausgesucht fiese Charaktäre sich für eine Zweitsichtung empfehlen. 8 Punkte.

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