Schlagzeile Baukastenprinzip
Modulares Arbeiten ist bei Spielfilmen natürlich ein weit verbreitetes Phänomen. Vor allem im Genrekino gehört das Baukastenprinzip gewissermaßen zur Grundausstattung. Man nehme eine Handvoll standardisierter Bausteine, füge sie auf möglichst pfiffige Art zusammen und fertig ist das brandneue Fließbandprodukt. Gesellschfatskritische Politthriller standen bisher nicht unter Generalverdacht, sich hier einzureihen. Regieschwergewicht Steven Spielberg belehrt uns da aktuell allerdings gerade eines Besseren, was irgendwie auch wieder stimmig ist, schließlich hat er sich seit seiner Erwachsenwerdung mit „Schindlers Liste" mehr und mehr der Anklage und Offenlegung und immer weniger der schnöden Überwältigung und Unterhaltung verschrieben. Mit „The Post" (hierzulande unter „Die Verlegerin" in den Kinos) hält er uns Freunden des gepflegten Politainment forsch den Spiegel vor und entlarvt eine unserer liebsten Filmgattungen als Leuchtturm des Baukastensystem: den Presse-Thriller, auch bekannt als das celluloide Hohelied des investigativen Journalismus.
Da werden weiße Hemdsärmel hoch gekrempelt, hitzige Meetings abgehalten, Telefonscheiben heiß gewählt, ganze Zigarettenstangen verqualmt, geheime Quellen in schäbigen Motels getroffen, auf den allerletzten Drücker die Druckerpressen angeworfen und in den frühen Morgenstunden die frischen Zeitungsbündel aus fahrenden Trucks auf die menschenleeren, regennassen Straßen geschmissen. Die Mienen sind ernst, die Witze sarkastisch, die Informanten verängstigt und die Politiker schmierig. Der Kampf um die Pressefreiheit bekommt apokalyptische Dimensionen, das politische Establishment gleicht dem Fegefeuer. Hier Ehrlichkeit, Aufrichtkeit und selbstloser Einsatz bis hin zur totalen Opferbereitshaft. Dort Verlogenheit, Niedertracht und eiskalter Karrierismus. Am Ende obsiegt das Gute, aber es war hauchdünn und stetige Wachsamkeit bleibt oberstes Gebot.
Spielberg spielt mit all diesen Komponenten und ein Profi wie er verhebt sich auch nicht an ihnen. Dennoch ächzt sein souverän erbautes Gebäude unter der schieren Menge an verbautem Material, zumal es durch die zahllosen standardisierten Elemente nicht gerade modern und schon gar nicht progressiv wirkt. „The Post" ist wie das Musterhaus einer auf Altbewährtes setzenden Reihenhaussiedlung. Solide, kompetent, aber ohne eigene Note, ohne Vision und ohne Raffinesse. Ständig wartet man auf Robert Redford und Dustin Hoffmann („Die Unbestechlichen") und auch „Die drei Tage des Condor", „Die Akte", „Zodiac", „State of Play" sowie „Spotlight" scheinen leuchtende Vorbilder gewesen zu sein. Dabei böte die gewählte Thematik eine Reihe interessanter Möglichkeiten der Sezierung, Vertiefung und Kommentierung.
Narratives Herzstück ist die Veröffentlichung der streng geheimen „Pentagon Papers" - eine Regierungsstudie zu den Hintergünden und politischen Erkenntnissen bezüglich Sinn und Zweck des Vietnam-Krieges - mit denen die Washington Post anno 1971 nicht nur die eigene Reputation enorm aufwertete, sondern auch ganz allgemein einen gloriosen Sieg für den Wert eines unabhängigen Journalismus feierte. Vor dem Hintergrund aktueller Debatten über Fake News, Lügenpresse und Staatsmedien ein brisantes Eisen, das Spielberg aber bestenfalls zum Glimmen bringt. Der spezielle Zeitgeist der beginnenden 1970er Jahre wird durch eine besonders akkurate Ausstattung und eine Handvoll als Hippies verkleideter Statisten lediglich visualisiert, Denken, Fühlen und Handeln der Protagonisten könnten dagegen auch genauso 2018 ablaufen.
Ein viel zu langer Epilog, der das Führungspersonal der Washington Post arg behäbig vorstellt und ihre eher glückliche Hauptrolle im Kampf gegen die vertuschungswütige Nixon-Administration (die New York Times war schneller gewesen, aber wurde gerichtlich zunächst ausgebremst) mit erstaunlicher Spannungsarmut erzählt, gefolgt von einem zu gestrafft wirkendem Hauptteil erzeugt über weite Strecken ein Gefühl der dramaturgischen Leere. Der Film plätschert über weite Strecken höhepunktlos vor sich hin und lebt lediglich von der Präsenz einer Vielzahl hochkarätiger Mimen. Mery Streep als langsam an Profil gewinnende Verlegerin der Post (Katharine „Kay" Graham), Tom Hanks als ihr ehrgeiziger Chefredakteur Ben Bradlee und Bob Odenkirk („Better Call Saul") als investigativer Journalist bilden ein starkes Trio, das von so mancher erzählerischer Flaute ablenkt. Rein menschlich bleiben aber auch sie recht blass und funktionieren mehr als Chiffren ihrer Berufsfelder. Dass Meryl Streep für diesen Standartauftriit zum 21. Mal für den Oscar nominiert wurde, verblüfft dann doch einigermaßen und ist wohl eher der Tatsache geschuldet, dass sie hier ein frühes Vorbild für Frauen in Führungspositionen verkörpert (für das Spielberg auch noch mit plattester Holzhammersymbolik arbeitet).
Schade auch, dass Spielberg sich so zentral der Reporterseite widmet und die Gegenseite lediglich durch ein paar Kurzauftritte Robert McNamaras (Politiker-Profi Bruce Greenwood famos wie eh und je) und eines als diabolische Silhouette inszenierten Richard Nixon abgespeist wird. Schade, weil Spielberg kaum etwas mit den Journalisten anzufangen weiß und schade, weil er das spannungsfördernde Potential ihrer Gegner verpuffen lässt. Der historische Thriller, der der Streit um die Veröfffentlichung vermeintlicher Staatsgeheimnisse und politischer Lügen hinsichtlich des Vietnam-Krieges damals definitiv war, verkommt dabei zum betulichen Sofa-Krimi mit bekanntem Happy End.
Wie man Männer in Anzügen, die im Prinzip den ganzen Film über nichts anderes tun als um moralische und die Bevölkerung betreffende Grundsatzfragen zu streiten, so inszeniert, dass dabei ein packendes Drama entsteht, hat Roger Donaldson mit seinem Kubakrise-Thriller „Thirteen Days" gezeigt. Spielberg dagegen ordnet alles dem Prinzip der Modularität unter und liefert folgerichtig nur Konfektionsware. Man darf getrost annehmen, dass es Spielberg mit „The Post" absolut ernst war, Ironie war ja noch nie so recht seine Sache gewesen. Die Ironie wiederum ist allerdings, dass „The Post" als süffisanter Beitrag zur Formelhaftigkeit des Journalismus-Thrillers weitaus besser funktioniert, wie als das offenkundig anvisierte historische Spannungskino.