Staffel 1
Mit diversen Serien-Ablegern hat Marvel sich ein zweites Standbein zu seinem Cinematic-Universe aufgebaut. Im Gegensatz zu den DC-Serien sind Marvels Abenteuer für den kleinen Bildschirm aber mit den großen Brüdern von der Leinwand storymäßig verbunden und gehören somit dem selben Universum an. Blicken lassen sich die Kino-Helden Iron Man, Thor oder Captain America auf der unteren Ebene aber dennoch nicht. Lediglich Leute aus der zweiten Reihe wie Lady Sif in "Agents of S.H.I.E.L.D." geben sich hin und wieder mal die Ehre. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn Schützenhilfe von den großen Kalibern wird garnicht benötigt, da die Kreisliga-Helden auch gut für sich alleine stehen können. Zumal man sich im TV bzw. VoD mehr erlauben kann als im Kino, wo es eher um das große Geld an den Kinokassen geht. Deutlich wurde das vor allem in der "Daredevil"-Serie die sich an ein erwachseneres Publikum richtet als Iron Man & Co., denen es bis auf wenige Ausnahme wie den Captain America-Filmen in erster Linie um Familienbespaßung geht. In der zweiten "Daredevil"-Season hielt dann auch sogleich ein Charakter Einzug, mit dem Unterhaltung für die ganz kleinen Marvel-Fans schwerlich zu vereinbaren wäre: der Punisher! Frank Castle zählte eindeutig zu den Höhepunkten dieser Staffel, legte er doch eine harte Gangart an den Tag, die mehr als ungewohnt für das bisherige Marvel-Publikum war. Blutgeträngte Knastmassaker und bleihaltige Schießduelle waren mit dem Punisher fortan an der Tagesordnung. Das kam an. Grund genug für Marvel auf dem VoD-Dienst, wo bereits die Abenteuer von Daredevil und seinen Defenders-Kumpanen Jessica Jones, Luke Cage und Iron Fist zuhause waren, dem Selbstjustizler eine eigene Serie zu spendieren. Die war letztendlich auch dringend nötig, da insbesondere die ersten Staffeln von Luke Cage und Iron Fist enttäuschend waren. Während Cage vorwiegend nur langweilig war, war Iron Fist ein naiver Sonderling, dem man den harten Martial Arts-Kämpfer nicht wirklich abkaufen wollte. Daran ändern konnten auch das erste Zusammentreffen der Defenders, quasi die Mini-Avengers, nicht, denn weiterhin setzten überwiegend Daredevil und Jessica Jones die besten Akzente.
Nach den Ereignissen in der zweiten "Daredevil"-Staffel gilt Frank Castle (Jon Bernthal), der sogenannte Punisher, offiziell für tot. Da die Schlächter seine Familie vermeintlich gerichtet wurden Grund genug für Castle abzutauchen und sich mit einer neuen Existenz als Wändeklopfer sein täglich Brot zu verdienen. Doch da selbst um Bau krumme Dinge passieren bleibt Castle nicht lange unbeschäftigt. Durch die verdeckten Aktivitäten eines ominösen Hackers, der sich Micro (Ebon Moss-Bachrach) nennt, wird Castle alsbald klar, dass nicht alle Drahtzieher hinter dem Massaker an seiner Familie ihrer gerechten Strafe zugeführt wurden. Da Micro ein ähnliches Schicksal teilt verbündet sich Castle mit ihm. Es dauert nicht mehr lange bis ihm nicht nur Homeland Security-Agentin Dinah Madani (Amber Rose Revah) auf den Fersen ist, sondern auch die Leute hinter dem Attentat auf Castle und seine Familie...
Wie schon bei "Daredevil" erweist sich Jon Bernthal (Sicario) auch in seiner eigenen Serie als Idealbesetzung für den Punisher. Man nimmt ihm die Figur einfach ab. Während Rosario Dawson sich als eine Art Verbindungsstück bisher noch in allen Ablegern der Defenders die Ehre gab glänzt sie hier mit Abwesenheit. Lediglich Deborah Ann Woll (Catch .44) als Karen Page ist das einzige Überleibsel aus den vorherigen Serien. Der Rest besteht aus neuen Gesichtern. Der Löwenanteil kommt hier Ebon Moss-Bachrach (Stealth), Amber Rose Revah (From Paris with Love) und Ben Barnes (Seventh Son) zuteil. Die wahre Identität von Letzterem wird Unkundigen erst in der letzten Episode offenbart. Zumindest wer "Punisher: War Zone" kennt wird spätestens hier klar, um wenn es sich bei Billy Russo handelt. Schauspielerisch nehmen sich Barnes, Revah und Moss-Bachrach wenig, da sie ihre Rollen solide abwickeln können und keine formlosen Abziebilder bleiben. Angeführt wird die Schurken-Riege von Paul Schulze (John Rambo), der gegen Ende seines Daseins aber zunehmend albernem Overacting verfällt. Mit Tony Plana (Halbtot), Mary Elizabeht Mastrantonio (Scarface) und C. Thomas Howell (Hitcher) geben sich auch in der Nebenbesetzung bekannte Gesichter die Klinke in die Hand.
Dachte man, dass mit der zweiten "Daredevil"-Staffel die Origin-Story des Punishers bereits erzählt wäre, so wird man hier eines besseren belehrt. Das muss nicht schlecht sein und ist es auch nicht. Wer aber jetzt erwartet hat, dass der Punisher in jeder Folge Horden von Gegnern niedermetzelt, der wird schon eher enttäuscht werden. Eine enorme Härte und Brutalität ist zwar weiterhin vorhanden, doch kommt die nur ab und zu sowie insbesondere gegen Ende wirklich zum tragen. Erzählerisch bekommt man mehr einen Thriller serviert, der durchaus spannend gestaltet ist, auch wenn es mittendrin die für Marvel-Serien typischen Hänger gibt. Immerhin fallen die hier weit weniger ins Gewicht wie bei den voran gegangenen Serien. Etwas nervig habe ich bestensfalls den Nebenplot um den traumatisierten Soldaten, der zum Bomben-Attentäter mutiert, empfunden, wenngleich wenn er schließlich der Erweiterung des Haupthandlungsstranges dient. Überraschend fand ich hingegen das Überleben von Micro's Familie. Keine Ahnung, ob man mit dem Charakter weiter plant, aber wo ist da am Ende noch der Grund für ihn den Punisher weiter zu unterstützen? Sein persönliches Ziel hat er ja erreicht. Actionmäßig stapelt Castle sich einen Bodycount zurecht, der schnell alles in den Schatten stellt, was im MCU bisher insgesamt (zumindest optisch) verschlissen wurde. Hier steht man der Brutalität von Castles Taten in"Daredevil" in nichts nach und überbietet das sogar noch.
Alles in allem bekommt man zu großen Teilen das geboten, was man anfangs von der Serie erwartet hat und eine zweite Staffel darf gerne kommen, zumal nicht alles zuende erzählt wurde (Stichwort: Jigsaw). Ob der Punisher abseits davon erneut in weiteren Ablegern der Defenders auftreten wird bleibt hingegen abzuwarten. Zu Begrüßen wäre das, denn vor allem Luke Cage und Iron Fist könnten von der Anwesenheit des Punishers nur profitieren.