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Als der Italowestern sich langsam in seine letzte Phase einklinkte und die Produktionen sich gegenseitig mit immer skurrileren Ideen übertrumpften oder sich, meist plump, selbst parodierten, trieb Tony Anthony, der mit seiner „Stranger“ – Trilogie von Luigi Vanzi sich in den Vorjahren schon einen Namen gemacht hatte, als Drehbuchautor, Produzent und Hauptdarsteller „Blindman, der Vollstrecker“ zu einem der innovationsreichsten Genrebeiträge.

Denn die Hauptfigur ist ein Blinder, der sich mit Gehör, Fingerspitzengefühl und seinem gelehrigen Zossen orientiert und der nur seine 50 Frauen haben will, um sie vertragsgemäß an heiratswillige, einsame Minenarbeiter zu übergeben. Doch sein Partner Skunk (Renato Romano) hat sie schon an den schmierigen, mexikanischen Desperado Domingo (Lloyd Battista, „In Hell“) und dessen liebeshungrigen Bruder Candy (Beatle Ringo Starr) weiterverschachert. Diesen Frevel quittiert der Blinde, übrigens namenlos, postwendend und konsequent mit einer großzügigen Ladung Dynamit, worauf Skunk, dem flugs das höhnische Lachen vergeht, nebst Puff in die Luft fliegt. Ein Auftakt nach Maß, der den Takt vorgibt.

Denn dem Blinden geht es weniger um den Vertrag, sondern eigentlich ums Prinzip. Er will seine Frauen und sonst nichts. Das betont er auch mehrmals. Aber da ihn niemand ernst nehmen will und der Blindman auch noch ein ausgeschlafener Zyniker mit nüchtern vorgetragenen Onelinern ist, kann man sich auf einige irrwitzige Situationen gefasst machen.
Die beginnen schon bei der Hauptfigur selbst, die sich per lederner Blindenkarte, einem Kompass und natürlich seinem Pferd, das Hinweise richtig deuten kann, die jeweiligen Lokalitäten abgaloppiert und als eine Art Blindenhund fungiert, quer durch die Wüste orientiert und immer am richtigen Ort rauskommt, wo sein Reittier ihn sogleich mit der näheren Umgebung vertraut macht. Das Gewehr fungiert schließlich gleichzeitig auch noch als Blindenstock.

Seine Behinderung macht der Blinde nicht nur mit seinem Gehör wieder wett. Er pumpt mit seinem Gewehr einfach so lange Blei in eine bestimmte Richtung, bis er sich gewiss ist, dass die Luft rein ist und der Gegner in überraschend harten, blutigen Shootouts sich auch tatsächlich nicht mehr regt, lässt sich vage anleiten, wo denn die Glocke der Ortskirche hängt, um sich mit Schüssen auf selbige anzukündigen oder greift einfach zum Dynamit um auf Nummer Sicher zugehen und grob die Richtung, aus der Gefahr droht, abzudecken.
Diebischen Spaß hat man ihm. Keck und ohne Furcht sprengt und schießt er sich durch diesen Film, ist immer schlauer als die ihn grundsätzlich unterschätzenden Opponenten, kann immer wieder improvisieren und stellt seine Forderungen ohne mit der Wimper zu zucken. Nie lächerlich oder witzig, sondern angenehm cool zieht er sein Ding durch. Egal, was kommen mag. Dass sie ihn alle wegen seiner Behinderung unterschätzen, gereicht ihm da natürlich nur zum Vorteil. Sein brachialer Zynismus veredelt jeweils natürlich die Szenen.

Der Plot verhält sich bewusst simpel, um seiner faszinierenden Hauptfigur, die so hartnäckig jeden Rückschlag hinnimmt und auch eifrig Prügel kassiert, eine möglichst große Bühne zu bieten, auf der sie sich austoben kann. Jeden misslungenen Versuch die 50 Frauen aus den Händen Domingos zu befreien, begegnet er mit einer lässigen Gleichgültigkeit, nur um Minuten später schon wieder am nächsten Plan zu basteln. Tony Anthony, dem diese souveränen Figuren sichtlich liegen, kann bestimmt wie geduldig und abgeklärt mal wieder flugs sämtliche Sympathien auf sich vereinen und sei es nur dadurch, dass er die brutale Schwester Domingos zu den 50 Frauen sperrt, damit die wie Furien über sie herfallen können.

Seine Gegenüber sind dann auch herrlich traditionelle Mexikaner, die ungehobelt und ohne Manieren stets eine dicke Lippe riskieren und einem General (Raf Baldassarre, „Mercenario - Der Gefürchtete“) nebst Gefolgschaft diese 50 Frauen gegen Bares in Aussicht gestellt haben, sie aber eigentlich nur in einem Massaker niederstrecken wollen und für den hochrangigen Militär noch Lösegeld erpressen. Dieser Subplot bleibt in seiner knackigen Kürze aber ein Nebenschauplatz.

Ebenso schräg wie die Figuren sich geben, inszeniert Ferdinando Baldi („Django, der Rächer“, „Django und die Bande der Gehenkten“), der zur Abwechslung wieder eine seiner besseren Regiearbeiten abliefert, überzogen. Die Frauenschar serviert er in ihrer ersten Szene komplett nackt beim Banden, der Blindman als Mysterium, lugt aus gutem Grund nie unter seiner tief sitzenden Krempe hervor und parodiert dabei geschickt ein gängiges Genreklischee, das einst Leute wie Clint Eastwood erfanden. Spritzig, lebendig, ohne Auszeit und trotzdem mit einer für Italowestern verhältnismäßig langen Laufzeit von etwa 100 Minuten, kann er visuelle Schmankerl mit inszenatorischen Geschick in Einklang bringen. Mir ist es wirklich ein Rätsel, warum der Filmemacher auf der einen Seite, wie hier, wirklich gute Ideen, vor allem bezüglich Blindmans Stilisierung, hat, auf der anderen Seite aber auch ganz andere schnodderige Italowestern ohne Akzente inszeniert hat.


Das Drehbuch lässt während dessen keine Möglichkeit aus, dem Blinden Einfallsreichtum zuzuschustern, das ihm stets zum Vorteil gereicht. Da bindet er seinen Gefangenen an eine Glocke, um fortwährend ihren Standort auszumachen oder kommt auf die unmöglichsten Ideen, um nach einer ordentlichen Tracht den schwanzgesteuerten Candy in einer Mine den Garaus zu machen.

So humorig das Szenario auf den ersten Blick scheint und so augenzwinkernd auch die Kommentare sind, bisweilen wird es dabei schon ziemlich herb, wenn die Banditen die flüchtenden Frauen mitten in der Wüste durch die Dünen jagen und ihnen die Kleider vom Leib reißen oder dem Blinde eine Zündschnur um den Körper gewickelt wird, die dann abgebrannt wird und ihn versengt. Gestorben wird grundsätzlich blutig wie brutal und davor ist niemand gefeit. Sogar geblendet wird hier und der Bodycount erreicht dank Gatling-Massaker und regelmäßigen Abtritten diverser Handlanger ungeahnte Höhen.

Irgendwie passt diese Melange aus den gegensätzlichsten Bestandteilen dennoch zusammen. Der Score Stelvio Cipranis („Man nennt mich Halleluja“, „Der Polyp“) begleitet eher ironisch als reißerisch oder gar treibend. Was an Bösewichten aufgefahren wird, ist gar nicht wirklich böse sondern meist ziemlich debil anstatt gerissen und das Finale auf dem Friedhof, nun einmal der perfekte Schauplatz für einen letzten Showdown in jedem Italowestern, verkommt zu einer augenzwinkernden Farce, weil der Held sich weder aufopfert noch selbst reinen Tisch macht.

Zunehmend steigert sich der Film dann im letzten Drittel in einen wahren Rausch absurdester Ideen, wenn Domingo unbedingt seinen Bruder noch posthum verheiraten will und einen irren Mix aus Begräbnis- und Hochzeitszeremonie organisiert, der Blindman sich mit dessen Schwester einen beinharten Kampf auf Leben und Tod liefert, die Chose in einem tödlichen Orkan endet und das Militär sich final noch rotzfrech selbst bedient.

Ein Mangel an Ideen kann man „Blindman, der Vollstrecker“ sicher nicht vorwerfen. Aber seine Abgefahrenheit wird nicht jeden schmecken – vor allem den Traditionalisten nicht. Dafür ist der Film vordergründig zu sehr darauf ausgelegt den Zuschauer mit ausgefallenen Ideen zu bombardieren. Die klassischen Motive werden dafür dann auch auf ein Minimum beschränkt. Deswegen rückt der Film auch bewusst vom gängigen Prinzip ab: Um Rache geht es nicht und Gier auch nur höchstens sekundär.


Fazit:
Mit „Blindman, der Vollstrecker“ erlebt der Zuschauer einen sehr kuriosen Euro-Western, der brutal wie fies, aber auch gleichzeitig witzig wie zynisch, daherkommt und mit dieser explosiven Mischung bis zum Schluss volle Pulle durchstartet.
Den Film nicht zu mögen, dürfte schwer fallen, denn die unverbrauchte Heldenfigur ist ein Genrehighlight, die Inszenierung kompetent, ja bisweilen erlesen und das vor den wildesten Ideen übersprudelnde Drehbuch eine Fundgrube für den Irrwitz. Die Story bleibt simpel, die Figuren überschaubar, der Ton humorig und die Bilder hart. Merkwürdigerweise harmonieren die Gegensätze und cooler wie auch zynischer kann ein Blinder definitiv nicht sein.
Zu mäkeln habe ich letztlich an Baldis Film, der eigentlich Tony Anthony gehört, nichts, denn so kurzweilig, innovativ und unterhaltsam sind leider nur wenige Western. In meinen Augen also Pflichtprogramm für jeden Genreinteressierten.

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