Review

Spoiler!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

Ich sah "Identity" auf dem Fantasy Film Fest in Köln dieses Jahr. Natürlich war ich gespannt, hatte ein halbes Jahr zuvor von diesem Film gelesen und war von den Setfotos gefesselt.
Die Motelatmosphäre, der Regen, die Story, das versprach schon viel, zumal ich auf mehr auf Gruselfilme als auf Splatterfilme stehe. Das schien so ein Film zu sein.
"Psycho" ist mein absoluter Lieblingsfilm, und da war ich von der Idee, dass der Film in einem Motel spielt, begeistert.
Und John Cusack und Ray Liotta sind zwei großartige Schauspieler, da kann was erwarten.
Ich dachte, es sei ein Slasherfilm, der wie üblich die Anzahl der Hauptfiguren reduziert und am Ende steht einer als Killer da....
Im Kino wurde ich eines besseren belehrt...

Story:
In einem Motel irgendwo im Nirgendwo finden sich durch mysteriöse Zufälle 10 Personen zusammen, deren Charaktere unterschiedlicher nicht sein können.
Alle sind irgendwie aneinander gebunden:
Der Chauffeur Ed (John Cusack) ist in einen Unfall verwickelt, Officer Rhodes (Ray Liotta) ist mit einem Gefangenen hier liegen geblieben. Durch die plötzlichen Morde ist die Zweckgemeinschaft gezwungen, zusammenzuhalten.
Doch Spuren gibt es keine, verdächtig sind irgendwie alle, und ein Motiv ist zuerst unerklärlich.
Und wo ist der Gefangene, der sich hat befreien können?
Die Suche nach dem Mörder führt die Personen auf eine Reise in die Abgründe der menschlichen Seele....
Gleichzeitig findet weit entfernt eine Anhörung des psychotischen Massenmörders Malcolm Rivers (Pruitt Taylor Vince) statt, der als Kind ein alptraumhaftes Erlebnis in einem abgelegenen Motel hatte....

Nun, ich bin begeistert von diesem Film.
Entgegen aller Unkenrufe diverser Filmzeitschriften finde ich, dass der Film einige Wendungen parat hat, und bis ganz zum Schluss ist die eigentliche Handlung nicht ganz durchsichtig.
Die ersten 45 Minuten ist "Identity" ein reines Slashererlebnis, gespickt mit den genretypischen Stilmitteln: Regen, dichte Atmosphäre, viele Opfer, und ein möglicher Killer. Doch irgendwie scheint die Suche nach dem Killer sehr aussichtslos, fast als ob gar keiner die Taten begangen hat. John Cusack als Fahrer Ed ist der Held der Geschichte, er geht immer als erster voran und ist der einzige, der sich überall hintraut. Ray Liotta ist da eher der Gegenpart, er wirkt als Cop doch undurchsichtig und verdächtig, und ist in seiner rauen und kompromisslosen Art eher ein Gesetzloser.
Außerdem wird die Zahl der Anwesenden drastisch reduziert, da bleiben als wahre Verdächtige nur Ed und Rhodes übrig. Doch die beiden scheinen genauso ahnungslos wie die anderen...

Der Zuschauer bekommt relativ früh den Gedanken, dass der Film nicht das ist, wonach er zunächst aussieht.
Merkwürdige Dinge passieren:
Zum Beispiel weiss Ed sofort, was zu tun ist, als der die klaffende Halswunde der Frau, die er umgefahren hat, sieht.
Als er sie fachmännisch mit Nähzeug zunäht, antwortet er auf die Frage, woher er das könne, nur:
"Ich habe mal `n paar Knöpfe angenäht!"

Sehr verwunderlich.
Und was hat die extrem blutende Schusswunde in Rhodes Rücken zu bedeuten? Sie ist kurz zu sehen, scheint ihn aber gar nicht zu stören, denn er kümmert sich nicht weiter drum.

Und wie der Schlüssel zu der Leiche des Familienvaters, den doch der Motelbesitzer umgefahren hat? Dieser jedoch kann nicht der Täter sein, denn er ist während einiger Morde hilflos an einen Stuhl gefesselt.
Sind es mehrere Täter?

Fragen über Fragen häufen sich sich an.
Und dann ist noch zu klären, inwiefern der Fall des Malcolm Rivers mit der ganzen Sache zusammenhängt.
Ein Bezug besteht, das ist klar, denn auch Rivers hat ein Trauma erlitten, ebenfalls in einem Motel.
Zu der Zeit war er noch ein kleiner Junge.

Die Lösung des Ganzen haut den Zuschauer vom Hocker.
Sobald man die letzte Sekunde des Films gesehen hat, wird alles klar, und man möchte den Film noch mal sehen, um auf alles genau zu achten.
Daher erinnert er sehr an die Lösung von "The Sixth Sense" oder "The Others". Alles was so klar war, verwirft der Film in der nächsten Sekunde wieder.
Die Verdächtigungen die "Identity" selbst aufbringt, werden sofort wieder verwaschen, dadurch, dass alles so unerklärlich ist, fast jeder mal in den Mittelpunkt der Verdächtigungen gerät, dadurch beginnt der Zuschauer schnell zu rekapitulieren und lässt sich von dem Film führen, er wird passiv. Und genau das macht der Film hervorragend. Er leitet den Zuschauer durch die Wirrungen des eigenen Denkens, genauso wie Malcolm Rivers durch die verschiedenen Persönlichkeiten wandert. Das Denken von Malcolm Rivers und das des Zuschauers parallelisieren sich, man empfindet die Gedanken des Killers hautnah.
Man kann selbst auf die Lösung kommen, Hinweise gibt es genug. Doch die sind so subtil eingefügt, wenn man sich gehen lässt und einfach zuschaut, führt einen der Film direkt an den offensichtlichsten Dingen geradewegs vorbei

Hitchcock hätte seine Freude gehabt. James Mangold kontrolliert und manipuliert die Gedanken des Zuschauers wie der Meister persönlich.
"Identity" hätte, wenn er noch leben würde, auch ein Film von Alfred Hitchcock sein können. Die Kraft der Manipulation, die hier sich vollzieht, ist großartig stark und macht den Film zu etwas Besonderem in der öden Kinolandschaft.
Das 08/15 Slashererlebnis vollzieht sich plötzlich auf einer anderen Ebene, und ist von allen filmischen Standpunkten her gesehen gelungen.
Doch zuviel möchte ich nicht verraten, denn die Spannung des Films geht völlig verloren, wenn man ungefähr weiß, worum es geht.
Ich sage nur soviel:
Man sollte sich mal mit dem Titel und der Person Malcolm Rivers vertraut machen, und nachdenken, was "Identity" noch bedeuten könnte...
Und man sollte sich von der Idee, die man von diesem Film gehabt hat, vollständig lösen.

Die Schauspieler sind gut.
Leider stechen Cusack und Liotta darstellerisch zu weit hervor, als dass noch jemand anderes die Chance hätte, etwas zu zeigen. Sie sind den anderen überlegen.
Ray Liotta zeigt nach sich nach" Narc" wieder als entnervter Cop, der keine Kompromisse eingeht. Er schafft es auch, die nötige Zwielichtigkeit des Cops Rhodes zu zeigen. Schließlich soll auch er als Täter in Frage kommen. John Cusack wirkt da eher ruhig und ernst, außerdem lässt man von der Idee ab, dass er der Killer sein könnte.
Er wirkt unschuldig und als einziger auch bemüht darum, die Sache aufzudecken.
Cusack und Liotta sind als Pro und Antagonist fantastisch und harmonieren perfekt zusammen.
Amanda Peet ist der Blickfang des Films, doch nimmt man ihr die verlotterte Hure nicht ab, sie wirkt zu sauber.
Der Rest des Casts ist solide, aber nicht unbedingt nennenswert.

Der Film ist in Maßen brutal. Viel Blut ist nicht zu sehen, ein abgetrennter Kopf, die Wunde der Frau, ..., das war es auch schon.
Es ist sehr erfrischend, dass der Film nicht mit unnötigen Splattereffekten aufwartet, dass würde ihm einiges an Klasse nehmen. Schließlich geht es hier nicht um die Morde...

Ich sah diesen Film auch im Kino nach dem Start, und muss sagen, dass die Synchro von John Cusack nicht gelungen ist. Ihm die Stimme von Ed Norton zu verpassen, halte ich für unangebracht, da Edward Norton und John Cusack jeder für sich eine schauspielerische Marke sind, und da sollte man jedem seine eigene Synchro zusprechen.

Fazit von mir:
ein Film, der in Erinnerung bleibt, handwerklich sehr gut gemacht, sehr spannend, sehr empfehlenswert.
9/10 Punkten.

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