Manchmal überholen außerfilmische Ereignisse ein Werk und dann hat man nur noch den Film zum Skandal, so etwa bei Ridley Scotts „Alles Geld der Welt“. Alles potentieller Oscar-Kandidat mit allen nötigen Zutaten aufgestellt, kam ihm der Skandal um die Anschuldigungen bezüglich sexueller Belästigungen durch Kevin Spacey in die Quere – Scott hielt am Releasedatum fest, drehte neu und ersetzte Spacey durch Christopher Plummer.
Dabei gehört der Film immer noch zu jener Sorte von gut abgehangenem Oscarstoff, der mit Big-Name-Regisseur, Starcast und genügend Aufwand auf Basis realer Ereignisse umgesetzt wird, damit es Nominierungen und Statuen gibt (in diesem Fall blieb es bei einer Nominierung, ausgerechnet für Christopher Plummer). Im Zentrum steht die Entführung von John Paul Getty III (Charlie Plummer) im Jahre 1973, Enkel des reichsten Menschen der Welt, J. Paul Getty (Christopher Plummer). Der jüngere der beiden führt als Off-Erzähler durch den Film und weist von Anfang auf die Schwierigkeit des Getty-Seins hin: Jeder hält einen für superreich, während der knauserige Großpapa hohe Erwartungen an seine Nachkommen stellt.
Jene Erwartungen erfüllt sein Sohn John Paul Getty II (Andrew Buchan), ein glücksarmer Säufer, eher semigut, doch auf Drängen seiner Frau Gail Harris (Michelle Williams) nimmt er einen Job bei seinem alten Herrn an, der ihn unterstützt. Jahre später ist aufgrund seiner Exzesse jedoch nur noch die Scheidung drin, bei der Gail das Sorgerecht durch Verzicht auf finanzielle Ansprüche erstreitet. Mit Sohnemann Paul lebt sie in Rom, wo ein paar Gangster den vermeintlich millionenschweren Enkel in der Auftaktszene kidnappen, ehe Rückblenden die Vorgeschichte ausbuchstabieren.
Gefordert werden 17 Millionen Dollar Lösegeld – die der Öl-Tycoon Getty aber nicht zahlen will. Schließlich habe er 14 Enkelkinder und nach Zahlung der Knete dann wahrscheinlich 14 entführte Enkelkinder. Auch Gail kann ihn nicht erweichen, aber er stellt ihr den Ex-Agenten Fletcher Chase (Mark Wahlberg) als Unterhändler an die Seite…
„Alles Geld der Welt“ ist wieder einer jener Filme, der von dem Missverständnis ausgeht, dass das Leben nun einmal die spannendsten Geschichten schreibt, und gleich als Gegenbeweis dieser These gelten kann. Denn trotz künstlerischer Freiheit folgen Ridley Scott und sein Drehbuchautor David Scarpa über weite Strecken sehr genau der realen Geschichte: Entführung Pauls, Zahlungsunwilligkeit Gettys, zähe Verhandlungen, als Beschleunigung ein abgeschnittenes Ohr, schließlich die Freilassung Pauls, nachdem Getty das Lösegeld zumindest in der Höhe aufgebracht hat, die er steuerlich absetzen kann. Dementsprechend ist mancher Spannungsmoment arg gekünstelt, etwa wenn nach einem Leichenfund gemutmaßt wird, dass der Tote Paul sein könnte, zumal man den halben Film noch vor sich hat. Zudem scheinen Scott und Scarpa ihrem eigenen Stoff dann auch nicht hundertprozentig zu trauen, wie man an diversen, mehr oder weniger gelungenen, Hinzudichtungen erkennen kann.
So sind viele der neu erfundenen Stellen deshalb drin, damit man etwas mehr Schauwerte in den opulent ausgestatteten, aber dialoglastigen Film bekommt. Etwa wenn ‘Ndrangheta nach Pauls Freilassung noch auf ihn Jagd macht, damit der Höhepunkt in einer kleinen Verfolgungsjagd und Last-Minute-Rescue bündet. Oder wenn der Film den Tod des ältesten Gettys drei Jahre vorverlegt, damit er parallel zur finalen Hatz ins Gras beißt, was Scott mit viel Pomp, dick aufgetragenem Soundtrack und pathetischen Worten bei der Betrachtung eines raren Gemäldes von Maria mit Kind dermaßen überinszeniert, dass es schon wieder in unfreiwilliger Komik endet. Andere Szenen hingegen funktionieren überraschend gut, etwa ein Polizeieinsatz in der Filmmitte: Nicht nur ist der Sturm auf das Versteck einiger Gangster spannend in Szene gesetzt, das ruppig-gnadenlose Vorgehen der Polizei spiegelt auch den Geist jener gewalttätigen, politisch heiklen Ära in Italien wieder.
Dieser Epoche zollt „Alles Geld der Welt“ auch formal Tribut. Nicht nur, dass Kostüme, (Original-)Locations und Ausstattung den Zuschauer in die 1970er transportieren, auch der körnige, mit wenig kräftigen Farben arbeitende Look bringt das Publikum zurück in jene Ära. Inszenatorisch erinnert „Alles Geld der Welt“ tatsächlich an Politthriller und Crime-Stoffe jener Zeit, obwohl Scotts Film natürlich deutlich höher budgetiert ist und Edelkamermann Dariusz Wolski für vergleichsweise opulente, akribisch durchgeplante Kamerafahrten und -winkel sorgt. Die Figur des Kidnappers Cinquanta (Romain Duris) lässt optisch Assoziationen zu Tomas Milian aufkommen, nur dass Cinquanta kein greller Schurke ist, wie Milian ihn öfter bei Umberto Lenzi spielte, sondern ein regelrecht verständnisvoller Kidnapper. In dieser Nebenhandlung liegt auch eine der großen Stärken von „Alles Geld der Welt“: Der Film zeigt wie sich eine Art Freundschaft zwischen Cinquanta und Paul entwickelt, wie der Kidnapper für das Leben und die Gesundheit des Entführten streitet, nachdem die anderen Gangster sich seiner schon längst entledigen wollen. Und damit zieht er eine Parallele zu Gail: Beide kämpfen mit übergeordneten Mächten, auf der einen Seite die fordernden Kidnapper, auf der anderen der zahlungsunwillige Getty.
Der alte Geizhals mit ganz eigenem Wertkodex ist nicht die Hauptfigur, doch sein Schatten liegt über allem. Sein Reichtum, quasi alles Geld der Welt, treibt diverse Figuren auf die eine oder andere Weise an, während Scott und Scarpa Einblicke in seine verschrobene Weltsicht bieten. Für Getty ist alles Business, sogar die Unterwäsche im Hotel wäscht er selbst um sich die Knete für den Zimmerservice zu zahlen. Jede Investition wird abgewogen, aus jeder Situation wird (finanzieller) Nutzen gezogen. Und dies obwohl das Wohlergehen des Enkels dem Tycoon durchaus am Herzen liegt. Es ist eine fordernde Rolle, die Christopher Plummer mit Bravour bewältigt, gerade in Anbetracht der knappen Vorbereitungszeit. Altersmäßig passt er eh besser in die Rolle als Spacey, dessen Beteiligung das Ganze (zumindest dem Trailer nach zu urteilen) mehr in Richtung Make-Up-Kirmes verschoben hätte. Dafür ist an manchen Stellen nun deutlich zu erkennen, dass Plummer digital in den Film hinein retuschiert wurde – vielleicht auch deshalb, weil die wenigen CGI-Effekte des Films (siehe das Auslaufen des Supertankers) im Vergleich zum Restfilm gnadenlos unterfinanziert wirken.
Neben Plummer glänzt vor allem Romain Duris in diesem Film, da die moralisch ambivalente Rolle, die das Drehbuch ihm gibt, auch eine gute Vorlage liefert: Ähnlich wie Plummer nimmt er die Zwischentöne der Figur dankbar an und liefert ein facettenreiches Portrait ab. Auch Charlie Plummer schlägt sich mehr als wacker, ebenso Michelle Williams, deren Powerfrau-Performance aber weniger herausfordernd ist. Noch stärker merkt man diesem beim sichtlich engagierten Mark Wahlberg, der sein Möglichstes tut um zu verdecken, dass Fletcher Chase in erster Linie ein cooler, mit allen Wassern gewaschener Typ ist, über den man kaum etwas erfährt und der kaum eine Entwicklung durchmacht. Für eine Nebenrolle als Anwalt hat man den solide spielenden Timothy Hutton ausgegraben, während Andrew Buchan der darstellerische Schwachpunkt des Films ist, aber glücklicherweise nur wenige Szenen hat.
Doch das fast durchweg tolle Ensemble, die faszinierenden Figuren Cinquantas und Gettys sowie die gelungene Inszenierung können aber kaum verdecken, dass der Verhandlungsplot überlang ist und sich zieht, dass das Tempo immer dann raus ist, wenn der Film bei Gail und Fletcher bleibt. Denn die beiden sind statische Figuren, ihre Reibereien bleiben ohne Pepp und ohne Nachhall. Auch das zermürbende Verhandeln, welches das Lösegeld schlussendlich auf vier Millionen Dollar heruntertreibt, geht in dem Zuviel an Details, dem Zuviel an Einzelszenen und dem Zuviel an Subplots (also außer jenen um Getty und Cinquanta) unter. Wäre „Alles Geld der Welt“ hier konzentrierter und fokussiert, es würde dem Thrill zugutekommen.
So bleiben dann der Mainplot sowie die Figuren Gail und Fletcher eher blass und uninteressant, während die Nebencharaktere J. Paul Getty und Cinquanta regelmäßig den Film klauen, da das Drehbuch ihnen viel interessantere Handlungsstränge gibt. Mit seinen Anleihen beim italienischen Thrillerkino der 1970er ist „Alles Geld der Welt“ formal interessant, außerdem fast durchweg toll gespielt, doch die Spannung bleibt etwas auf der Strecke. Vielleicht deshalb, weil manche dramaturgische Freiheit nur oberflächlich und vergeblich für Dramatik sorgen will, mit Ausnahme des schweißtreibenden Polizeieinsatzes in der Filmmitte.