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"In einer anderen Zeit, die das 15.Jahrhundert, wohl aber auch das beginnende 20. Jahrhundert sein könnte, lebt die kleine Albrun mit ihrer Mutter irgendwo in den Bergen. Die Mutter stirbt an der Pest, und aus der kleinen Albrun wird die erwachsene Albrun, die mit ihrer kleinen Tochter das gleiche Problem hat wie ihre eigene Mutter: Beide Frauen werden von den nahewohnenden Dörflern als Hexen angesehen, und beide können sich ihres Lebens nie wirklich sicher sein. Eine vorsichtige Freundschaft zu Swinda beginnt, welche die erste aus dem Dorf ist die ihr nicht feindlich gegenübersteht, und Albrun beginnt durch diese Nähe zu einem anderen Menschen richtiggehend aufzuleben. Aber Swinda ist eine Lügnerin und Betrügerin: Sie überredet einen Mann, Albrun zu vergewaltigen, und sie selber hält Albrun dabei auch noch fest. Und nicht nur das: Als Albrun nach Hause kommt, findet sie dort den Kadaver ihrer geliebten Ziege aufgehängt. Ihre Rache ist furchtbar: Sie legt eine tote Ratte in die Wasserversorgung des Dorfes und pinkelt zusätzlich noch darauf. Das Ergebnis ist schnell zu sehen – Die Pest kommt wieder ins Dorf, und Albrun lächelt sich heimlich eins.

Seit einigen Jahren stelle ich zunehmend fest, dass ich mit sogenannten Style over Substance-Filmen immer weniger anfangen kann. Die letzten Filme Nicolas Winding Refns, ONLY GOD FORGIVRS und THE NEON DEMON, stehen symptomatisch für diese Haltung, dass allein beeindruckende Bilder mir wenig geben können, wenn sie nicht von einer guten Story unterfüttert werden, wobei mir das aber bemerkenswerterweise auch bei Filmen Mario Bavas häufiger auffällt. Trotzdem versuche ich immer wieder, Filme wie eben HAGAZUSSA zu verstehen, in sie hineinzufallen, und mich einem, von anderen Besprechungen testierten, Rausch hinzugeben. Allein: Ich finde da nichts …

Ich sehe, dass HAGAZUSSA eine, bei aller Einfachheit, tiefe und dunkle Geschichte erzählt. Ich sehe die Abgründe in Albrun, und wie das Zusammentreffen einer sensiblen Einzelgängerin mit den dumpfen Dorfbewohnern zur Korruption einer empfindsamen Seele führt, aber die Kombination aus extrem langgezogenen Einstellungen und schönen Naturaufnahmen weckt in mir einfach nicht die Emotionen, welche der Regisseur vermutlich wecken möchte.

Stattdessen beginne ich mich irgendwann zu langweilen ob der immergleichen Einstellungen der verschneiten Berge, frage mich wo der Film gedreht sein mag, und staune (ernst gemeint) über das unglaubliche und intensive Schauspiel von Aleksandra Cwen. Was Cwen schon nur allein mit ihren Augen auszudrücken vermag, das können andere mit noch so exaltierter Mimik und Gestik nicht. Die Vergewaltigung Albruns findet aus Sicht des Zuschauers allein in den Augen von Albrun statt –Ihr Grauen, ihre Angst, ihr Schmerz, das alles spiegelt sich im Gesicht und in diesen tiefen und schönen Augen. Der vergewaltigende Mann selber ist dabei nicht einmal zu sehen - Große Regiekunst fürwahr, aber eine Schauspielkunst in der Tradition und der Klasse eines Conrad Veidt …

Entsprechend ist es auch immer wieder Aleksandra Cwen die mich zum Weitersehen gezwungen hat. Die mit ihrer Präsenz dem unentschlossenen Drehbuch Kraft gibt und den Film vorantreibt. Der Vergleich zum erst kürzlich gesehenen THE VVITCH drängt sich auf, und dieser Vergleich ist bemerkenswert, gibt Robert Eggers seinem New-England-Folktale doch an genau den richtigen Stellen die Spannungsspitzen, um das Interesse des Zuschauers nicht abflauen zu lassen. Die Vvitch Anya Taylor-Joy ist stark und geht in ihrer Figur restlos auf, was dazu führt, dass THE VVITCH den Rezipienten tatsächlich mitzieht in ein Reich aus Schuld und Tod. Aleksandra Cwen ist mindestens genauso stark wie Taylor-Joy, vielleicht sogar stärker, aber sie kann die Schwächen der Regie und vor allem des Drehbuchs leider nicht völlig ausbügeln – Der Geschichte an sich mangelt es an genau diesen Spannungsspitzen, und es stellt sich schnell eine gewisse Müdigkeit und die erwähnte Langeweile ein. Die Gedanken schweifen ab und führen zu den ganz alltäglichen Problemchen, derweil das, was auf dem Bildschirm da so passiert, immer nebensächlicher wird.

Wahrscheinlich müsste man HAGAZUSSA auf der großen, der ganz großen Leinwand sehen, um sich diesen Bildern tatsächlich hinzugeben. In die dunklen Wälder genauso hineinzufallen wie in die verschneiten Berge oder den grün-gelben Sumpf, der soviel Bosheit ausstrahlt. Ein passendes Beispiel, dieser Sumpf: Albrun läuft in das brackige Wasser hinein, die Kamera bleibt am Ufer und filmt von hinten und mit einigem Abstand, was da jetzt an Unheiligem passiert. Es passiert auch vieles, was durch den Standort der Kamera allein im Kopf des Zuschauers Gestalt annimmt, aber die Szene ist einfach zu lang ausgedehnt. Das Timing passt nicht, und genau das ist eben der Unterschied zu THE VVITCH: Dieser ist genauso langsam erzählt, geht auf ähnliche seelische Abgründe ein und immanentisiert das Grauen in der den Menschen umgebenden Natur auf gleiche Weise. Aber dort stimmt das Timing, sind die Ausschläge auf der Aufmerksamkeitsskala gleichmäßig verteilt, wird der Zuschauer tatsächlich zum Hinschauen gezwungen. Die Anwesenheit des Zuschauers driftet nicht wie bei HAGAZUSSA ab, sondern bleibt bei den Figuren und begleitet sie hautnah in ihre eigene Hölle.

Und so bleibt HAGAZUSSA beim Versuch, Horror und Arthouse miteinander zu verbinden, leider auf dreivierteltem Wege stehen und dreht und wendet sich verzweifelt im Kreis - Im Teufelskreis aus einem Drehbuch, das nicht überzeugend geskriptet wurde, und einer Regie, welche die Schwächen des Drehbuchs nicht auszugleichen vermag, weil sie sich weitgehend auf die Optik konzentriert. HAGAZUSSA imponiert zwar mit überragenden Bildern und hochgradig eindrucksvollen Schauspielern, aber der Rest, der ja schließlich auch noch zu dem Gesamtkunstwerk Film gehört, der imponiert kein bisschen.

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