Review

Risikofrei nach dem höchsten Stand der Animationskunst angefertigt und auf die Tradition der hauseigenen Errungenschaften vertrauend, ist „Coco“ schon dem Selbstverständnis nach ein klassisches „Disney-Meisterwerk“. Die liebevolle Aufbereitung der mexikanischen Kultur hat weniger mit einem liberalen Statement in einem protektionistischen Amerika der Gegenwart zu tun, sondern vielmehr mit dem Bestehen auf moralische Werte, die für Disneys Kindererzählungen schon immer galten.

Es fällt somit schwer, in echte Stürme der Begeisterung zu verfallen, denn Euphorie wird vor allem durch Neuartiges ausgelöst. Nachdem in den letzten 20 Jahren bereits einige Naturvölker im Zentrum der Disney-Erzählungen standen („Pocahontas“, „Bärenbrüder“, „Lilo & Stitch“, „Merida“, „Vaiana“), ist die Beschäftigung mit dem „Día de los Muertos“ keine große Überraschung, zumal sich der Computeranimationsfilm „The Book Of Life“ aus dem Hause 20th Century Fox bereits im Jahr 2014 mit dem Stoff beschäftigte, so wie der mexikanische Feiertag überhaupt wieder stark vertreten ist in der Popkultur – etwa durch den 24. James-Bond-Einsatz „Spectre“.

Und doch war der Wert einer sorgfältig gemachten, fein ausgearbeiteten Disney-Pixar-Produktion lange nicht mehr so hoch wie heute. Der Animationsfilm-Hype ist längst wieder abgeflacht. Mittelmäßigkeit wird als solche wieder entlarvt, gute Wertungen entstehen nicht mehr durch die bloße Vergabe des „Neu“-Siegels. Zudem sehnt sich das Publikum in unsicheren politischen Zeiten vielleicht wieder nach Zuverlässigkeit und alten Werten. Beste Karten für „Coco“, der sich jeden Kommentar zur Gegenwart spart. Keine Gags über Smartphones, soziale Netzwerke oder das digitale Zeitalter im Allgemeinen, kein verkrampfter Versuch, die Tradition mit dem Fortschritt zu verknüpfen, obwohl der Plot dies ermöglichte. Aber anstatt die noch jungen Eltern der 12-jährigen Hauptfigur zu einem Teil der modernen Gesellschaft zu machen, erhalten sie die lange Familientradition der Schuhmacher am Leben – ein Handwerk, das man in einem Disney-Film der 40er Jahre eher erwarten würde als heute.

So etabliert Regisseur Lee Unkrich („Toy Story 3“) sein exotisches Setting schnell in einer einladenden Weise, die selbst den Besuch auf einem Friedhof romantisch erscheinen lässt. Noch bevor die Geschichte ihre Links auf die Fantasy-Ebene aktiviert, hat man sich längst mit den liebenswerten Figuren und ihrer Umgebung angefreundet. Die klassischen Slapstick- und Sidekick-Elemente bleiben zwar erhalten (der Straßenhund als treuer Gefährte der Hauptfigur, aber auch als Bewahrer der alten Ahnenreihe von Tieren in Disney-Filmen und ihrer Funktion als Maßstab für den sozialen Stand: Von „Oliver & Co.“ über „Susi & Strolch“ bis „Aristocats“), doch über die Comichaftigkeit der Konkurrenz ist dieser Film weit erhaben. „Eine Gesellschaft erkennt man daran, wie sie ihre Ältesten behandelt“ - wenn dieser Satz stimmt, hat sich dieses Werk einen besonderen Respekt verdient, denn so einfach, wie die zerfurchte Urgroßmutter zum Running Gag hätte reduziert werden können, versieht der nicht umsonst nach ihr benannte Film sie mit viel Komplexität und behandelt sie mit Würde.

In der actionreichen zweiten Hälfte offenbart sich zwar ein sehr konventionell geratener Story Arc mit klassischem Bösewicht und wenig einfallsreichen Wendungen, doch alleine die Animation macht das alles wett. Laternen leuchten bunt, die Kostüme der Mariachi strahlen weiß im Mondlicht und der Übergang in die Totenwelt ist mit grenzenloser Fantasie gesegnet. Vom Videospiel „Grim Fandango“ bis hin zu Burtons Grusicals lassen sich viele Einflüsse erahnen, aber auch wenn die letzte Kreativität aus eigener Quelle vielleicht fehlt, so taucht man doch nur allzu gerne ein in die Zwischenwelt, die Lebende und Tote miteinander vereint. Und am Ende ist „Coco“, so konservativ er auch geraten sein mag, der beste Computeranimationsfilm seit vielen, vielen Jahren.
(8.5/10)

Details