Als es nach Jahrzehnten des Wartens soweit war, dass mit „The Force Awakens“ endlich wieder ein neuer „Star Wars“ bewertet und kulturell eingeordnet werden konnte, war das eine vergleichsweise einfache Aufgabe, die kaum Mühe erforderte. Weil Abrams' Nummer-Sicher-Inszenierung einen Wohlfühl-Klon für Nostalgiker hervorbrachte, konnte Episode VII nicht viel falsch, aber eben auch nicht viel richtig machen; sein Ertrag bestand ausschließlich in der Revitalisierung längst verblichener Kinobilder. Dann folgte „Rogue One“ - nur eine autarke Geschichte im Star-Wars-Universum, die erst recht nicht an den heiligen Schriften der Jedi-Religion würde rütteln können. Man wähnte den cineastischen Wert der modernen Fortführung der populären Space Opera bereits nach zwei Neueinträgen völlig ausgeschöpft und wartete nur darauf, dass der kommerzielle Wert diesen Status ebenfalls möglichst bald erlangen würde und Disney die schwarzen Opferschalen auf dem Kopf erst einmal wieder einfahren ließe.
Doch als mit allen Wassern gewaschenes Kommerz-Schwergewicht kümmert sich die Maus frühzeitig darum, dass das Interesse am frisch erworbenen Prestigeobjekt nicht bereits nach den ersten Funken wieder erstickt. Um das zu gewährleisten, benötigt man mittelfristig eine Abkehr vom Konsens. Da man gewissermaßen eine Religion eingekauft hat, muss man einfach nur leicht die Dogmen verschieben, Dinge umsetzen, die man von einem „Star Wars“ so nicht unbedingt erwartet hätte. Als Konsequenz winken 5-Reasons-Why-I-Hated-The-New-Star-Wars-Videos, Verschwörungen von Logiktüftlern und eine allgemeine Comicbuchverkäufer-Entrüstung, die bei Abrams' Auftakt noch völlig von der reinen Erleichterung über die Rückkehr Hans, Leias und Lukes begraben war – eine seinerzeit geradewegs unheimliche Stimmung des Konsens und der Duldung. Dabei löst der nun wieder raunende Worst-Movie-Ever-Ismus unabsichtlich bereits Kinotickets für Episode IX, bevor überhaupt die nächste Solo-Story angelaufen ist.
Es ist außerdem so, dass „The Last Jedi“ gegenüber „The Force Awakens“ vielerlei Hinsicht auch der interessantere Film ist und die Vorfreude auf den neunten Teil auch mit qualitativen Argumenten rechtfertigt. Resümiert man die zweieinhalb Stunden Weltraumabenteuer, so hat man einen temporeichen, bunten Ablauf voller willkommener Abwechslung vor Augen, dessen teils umwerfende visuelle Ideen es sind, die man in 20 Jahren noch sehen wird; nicht den Verrat an der Urtrilogie. Es ist die Abkehr von klassischen Heldenmustern und somit von bekannten Drehbuchabläufen, die man bewundert – nicht eine möglichst konforme Haltung gegenüber etablierten Erzählmechanismen, die in der trockenen ersten Hälfte von „Rogue One“ im letzten Jahr ehrlich gesagt ziemlich gelangweilt haben.
Doch es geht gar nicht mal so gut los. Was Domhnall Gleeson als General Hux abliefert, ist eine grauenvolle Slapstick-Parodie auf den Faschismus, eher eine „Spaceballs“-Angelegenheit als der Real Deal. Wo sich Marvel dank Comic-Background solche Holzschnitte manchmal noch erlauben kann, wirkt das innerhalb des naiven, aber grundsätzlich ernst gemeinten Sternenkriege-Universums wie ein Fehlgriff. Überhaupt gibt Marvel einmal mehr etwas zu offensichtlich den Dirigenten für zeitgenössisches Blockbuster-Entertainment; findet der typisch infantile oder auch unschuldige Lucas-Humor eher in den Randbereichen statt (ein dummer Austausch von Blicken zwischen zwei Aliens kurz vor einer Wischblende beispielsweise, oder das unsinnige Gebrabbel der Androiden und der Kuscheltierfraktion), so bestimmen Comedy-Elemente doch diesmal sehr prägnant den gesamten Rhythmus in wohlbekannter Manier.
Möchte man nun etwas mehr in die Tiefe gehen (was bei „The Force Awakens“ in der Form noch nicht möglich war), so kann man Rian Johnson vielleicht noch vorwerfen, dass er die Demontage eines Status Quo, der immerhin seit 40 Jahren gilt, vielleicht etwas zu konsequent verfolgt. Als er mit dem ewigen Kampf von Gut und Böse fertig ist, hat er praktisch sämtliche Pfade in die Vergangenheit verwischt, ohne bereits eine echte Alternative für die Zukunft anzubieten: Wird es je etwas Gleichberechtigtes neben Darth Vader und dem Todesstern geben können? Adam Driver etwa wächst nach seiner überaus blassen Darbietung in Episode VII spürbar an seiner Rolle und beginnt, Ausstrahlung zu entwickeln; trotzdem wird er wohl immer den Makel an sich tragen, ein Epigon eines viel größeren Schattens zu sein. Johnson kann den Weg zur Antwort auf diese Frage also noch nicht vollständig bauen. Obgleich der Handlungsverlauf Spekulationsgrundlage für weitere Verstrickungen im Abschluss der dritten Trilogie bietet, ist das Gefühl im Abspann ein wenig leer. Wenn die alten Helden wie Sternschnuppen ausgebrannt sind und die neuen Helden auf falschen Fährten wandeln, weil sie dem Abbild der Alten nachempfunden sind: Was genau deutet eigentlich auf große Geschichten für die Zukunft hin?
Andererseits ist es eben auch gerade das Scheitern des Beständigen, mit dem untermauert wird, dass es noch andere Dinge geben kann. Ausgerechnet der Mittelteil einer Trilogie fühlt sich normalerweise zu beiden Seiten hin verpflichtet, gewisse Dinge einzuhalten; dieser jedoch zeigt sich unerwartet frei in seiner Richtungswahl. Gleich mehrfach unterwandert er die Erwartungen an Charaktere wie Poe Dameron oder Finn, die von Episode VII als Einzelfiguren wie als Duo noch so mühsam aufgebaut wurden, hier aber zu Fettnäpfchentretern degradiert werden. Mark Hamill gab in Interviews zum Film sogar überraschend offen kund, dies sei nicht sein Luke Skywalker – eine sympathische, weil ehrliche und auch nachvollziehbare Position. Und dennoch ist dieser gealterte Einsiedler aufgrund vieler feiner Gesten, die man ihm zum Vor- oder Nachteil auslegen kann, ein faszinierender (wenn nicht sogar schweinecooler) Charakter, der aufzeigt, wie die Zeit alles bis ins Unkenntliche verzerren kann, der aber auch dazu in der Lage ist, einfach mal effizient aufzuräumen.
Das mag Missfallen erzeugen, zugleich erzeugt es aber Alternativen abseits der Trampelpfade, die man als regelmäßiger Verkoster von großen Eventfilmen nur allzu selten verlassen darf. „The Last Jedi“ vereint viele Lesarten in sich, die schon bei der Frage nach Singular oder Plural im Originaltitel beginnen und sich über breit gemischte Felder verteilen, transportiert von den Figuren, deren Funktionalität und deren Bündnisse im Guten wie im Bösen. Mancher Rezensent sieht in der Summe einen „feministischen Film“ (Süddeutsche), weil die Kampfrecken nach Han-Solo-Bauart ihren Abgesang bekommen und weibliche Figuren auf dem Schlachtfeld wie in der Direktive das Ruder übernehmen, mancher eine Abrechnung mit überholten familiären Werten durch den Triumph der Symbiose Gleichgesinnter (FAZ), weil der Widerstand seine Kraft schöpft aus einer geteilten Idee, was familiären Verzweigungen die Bedeutung nimmt – und somit auch einem der größten Oneliner der Filmgeschichte, Darth Vaders „I Am Your Father“. Mit dem Einbau von Benicio Del Toros opportunistischem „DJ“, auf den sich viele Beobachter wegen seines sporadischen, lose in die Handlung eingebundenen Auftretens keinen Reim machen konnten, kann man sogar soweit gehen zu behaupten, das Konzept der hellen und dunklen Mächte verliere an Relevanz, ein Konzept, auf dem die gesamte Saga fußt. Er bildet einen Metakommentar, der aufgrund seiner vermeintlichen Bedeutungslosigkeit und der gleichmäßigen Verteilung seines Eingreifens keinen größeren Impact auf den Ausgang der Geschichte hat, mit seiner Werteneutralität womöglich aber den bemerkenswertesten Kommentar liefert.
Es ist erlaubt, eine Franchise derart einschneidend zu verändern, wenn es gute Gründe für diese Veränderungen gibt. Und die liefert Johnson durchaus, auch wenn „The Last Jedi“ von gewissen Problemherden befallen ist. Aber wo „The Force Awakens“ inzwischen nur noch ein Museumsgang mit Szenerien wie „Tiefighter im Sandstrudel“ oder „Lichtschwertkampf im Schneesturm“ ist, da bietet „The Last Jedi“ eine unberechenbare Achterbahnfahrt quer durch die Galaxis.