Island ist nicht gerade bekannt für seine Spukfilme. Doch in einem Land, in dem es im Hochsommer selten über 13 Grad warm wird und in dem eine Bevölkerungsdichte von 3,3 Leuten pro Quadratkilometer auf viele verlassene Gegenden schließen lässt, haben die Menschen eben auch Zeit, sich düstere Gedanken zu machen, wenn sie nicht ohnehin schon vorhanden sind. Co-Autor und Regisseur Óskar Thór Axelsson kredenzt eine Mischung aus Krimi, Horror-Drama und Mystery und lässt sich dabei wahrlich viel Zeit.
Psychologe Freyr, dessen Sohn seit drei Jahren spurlos verschwunden ist, wird von der Polizistin Dagny zu einem Tatort gerufen. Eine alte Frau hat sich in einer Kirche erhängt, auf ihrem Rücken finden sich zahlreiche kreuzförmige Narben. Zur selben Zeit versucht ein Paar nebst Freundin einen einsam gelegenen, seit 60 Jahren unbewohnten Schuppen zu einem Hotel umzufunktionieren, in dem sich schon bald merkwürdige Vorkommnisse abzeichnen…
In einem US-Pendant wäre eine Kulisse ohne Handynetz das Klischee schlechthin, hier steht das renovierungsbedürftige Gebäude tatsächlich dermaßen einsam zwischen den kargen Hügellandschaften, dass die Begebenheit von vornherein glaubhaft erscheint.
Die zwei parallel erzählten Handlungsstränge haben auf den ersten Blick wenig miteinander gemein, außer dass die Figuren jeweils mit einem Schicksalsschlag hinsichtlich eines Kindes zu kämpfen haben, was speziell Freyr deutlich anzumerken ist. Aber auch beim Paar nebst Freundin scheint irgendetwas in der Vergangenheit vorgefallen zu sein.
Axelsson nimmt sich Zeit für die Figuren und ihre jeweilige Situation und dreht nur allzu gemächlich an der Spannungsschraube. Ein paar Jump Scares sind zwar im Verlauf auszumachen, doch trotz ordentlichen Timings kommt da nicht viel mehr als huschende Figuren, entstellte Fratzen oder undefinierbare Geräusche. Erst als sich zum ersten Mord ein weiterer gesellt und ein Zusammenhang zwischen beiden Opfern hergestellt wird, gerät die Chose ein wenig spannend.
Die kargen Landschaften schüren eine fast depressive Stimmung, aber auch das baufällige Gebäude trägt zur trostlosen Atmosphäre bei. Alles wirkt unterkühlt, beinahe ein wenig unnahbar, während die Figuren wie isoliert vom Rest der Welt erscheinen. Dass es innerhalb dieser Tristesse noch zu einem Twist kommt, überrascht umso mehr und rüttelt teilweise sogar ein wenig wach. Allerdings bleiben einige Fragen ungeklärt, während andere Aspekte gleich mehrfach in Bild und Ton unter die Nase gerieben werden.
Rein optisch ist „I Remember You“ weit von Pendants des US-Einheitsbreis entfernt, was den Streifen positiv abhebt, inhaltlich bietet er jedoch wenige Innovationen, was sich lediglich zum Schlussakt ein wenig ändert. Darstellerisch sind durchweg gute Leistungen auszumachen und auch der Score punktet mit Zurückhaltung, wenn nicht gerade dumpfe Bassteppiche ein wenig Grusel einläuten.
Geduld und ein wacher Gemütszustand sind bei diesem nicht uninteressanten Werk Grundvoraussetzungen, ansonsten droht nach einer halben Stunde ein kleines Nickerchen.
Knapp
6 von 10