Review

Mit "ES" schuf Stephen King den wohl besten reinen Horrorroman aller Zeiten. Auf 1200 Seiten schaffte er ein Epos, in dessen Verlauf er so tief grub, dass er die bare, rohe, primitive Urangst des Menschen befreite und entfesselte.

"ES" ist kein Horrorclown, hat weder etwas mit einem biologisch existenten Wesen mit weißer Haut, roter Nase und spitzen Zähnen zu tun noch mit einem Serienkiller, der als Clown geschminkt sein Unwesen treibt. Stattdessen ist "ES" das Alpha und das Omega, ein Urgeschöpf, das noch Jahrmillionen vor den Dinosauriern die Erde betrat und in Wirklichkeit keine fassbare Gestalt hat. Der Auftritt als "Pennywise" ist nur die Basisgestalt, der Versuch, sich dem menschlichen Geist begreifbar zu machen, um ihn so vernichten zu können.

Stephen King erzählt die wohl älteste Geschichte der Welt, den Kampf zwischen Gut und Böse, bei dem die Welt die Waage ist. Bezeichnend ist die Tatsache, dass sich eine vermeintlich schwache Gruppe von bedeutungslosen Menschlein, der "Club der Verlierer", gegen die dimensional übergreifende Macht des Bösen stellt und ihr versucht, Einhalt zu gebieten. Nicht die Kraft oder die Intelligenz eines Menschen entscheiden über seinen Wert, sondern wahre Freundschaft ist das höchste Gut. Der Kampf mit dem Bösen führt nur über sie.

In Anbetracht der unglaublich essentiellen Dimension dieser elementaren Geschichte erscheint eine Verfilmung beinahe unmöglich. Klug war daher die Entscheidung, das Buch als TV-Zweiteiler zu verfilmen und auf eine Länge von immerhin drei Stunden zu strecken... und doch ist die größte Schwäche von Tommy Lee Wallace`s Film die Tatsache, dass immer noch zu viele entscheidende Sequenzen aus dem Buch nicht berücksichtigt werden konnten.

Nichtsdestotrotz gelang eine Adaption der besseren Sorte, die zumindest ihrem guten Willen nach der Buchvorlage gerecht wird. Zu erkennen ist auch, dass sämtliche Beteiligte erfasst haben, was den Roman ausmachte, trotz der fehlenden Storystränge. Denn neben der Geschichte macht gerade in einer King-Verfilmung die Atmosphäre unheimlich viel aus. Und an der gibt`s nichts zu meckern.

Wallace beginnt seinen Film aus dramaturgischer Sicht klug mit dem Schnitt auf eine Polizeiabsperrung bei Regen und dunklen Wolken. Wir sind in den Achtzigern, also in der zweiten Hälfte der Grundstory, die den Club der Verlierer einmal als Kinder der Fünfziger beobachtet und dann dreißig Jahre später als Mittvierziger.
Ein Blitz erhellt das Geschehen. Er stammt von einer Magnesiumleuchte, die ein Polizist unmittelbar vor der Kamera anzündet. Die Kamera folgt dem Polizisten und der Leuchte zum abgeriegelten Ort des Geschehens. Wir sehen Mike Hanlon, den einzigen, der nach den grausigen Ereignissen in den Fünfzigern in Derry geblieben ist. Sein Gesichtsausdruck verrät eine böse Vorahnung: "ES" ist wieder zurück. Der unaussprechliche Schwur erfordert es, den alten Club wieder zusammenzurufen. So ruft er einen nach dem anderen an. Bill, Ben, Stan, Eddie, Richie und Beverly... sie alle warteten seit jeher auf diesen Anruf... und nun war er da.

Lässt man die komprimierte Story mal aussen vor, gelingt Wallace das Hin- und Herblenden zwischen den 50ern und 80ern sehr gut. Ausgehend von der beschriebenen Situation von Mike Hanlon wird zunächst einmal jedes einzelne Mitglied des Clubs in seinem gegenwärtigen Leben gezeigt, das jeder mehr oder weniger erfolgreich lebt. Der einst für seine Dickheit gehänselte Ben Hanscom ist inzwischen ein erfolgreicher Architekt, der gerade betrunken sein Heim betritt, in der einen Hand eine Flasche Sekt, in der anderen ein Architektenpreis und eine Frau, als er den folgenreichen Anruf von Mike erhält. Bill Denbrough ist erfolgreicher Horrorromanautor (in jeder King-Story ein Kingsches Alter Ego), der zudem noch glücklich verheiratet ist. Richie, einst Brillenschlange und mieser Stimmenimitator mit nur einer Stimme, hat inzwischen eine erfolgreiche Show und ist ein gefragter Mann. Der jüdische Stan Uris führt ein geregeltes Leben und hat eine liebevolle Frau und ein hübsches Haus. Dem schmächtigen Eddie Kaspbrack geht es nicht ganz so gut. Immer noch schleppt er ständig seinen Inhalator samt Medizin mit sich und wird von seiner dominanten Mutter voll und ganz eingenommen. Und Beverly Marsh ist zwar beruflich erfolgreich, allerdings mit einem Mann zusammen, der sie schlägt und mißhandelt.

Die sehr verschiedenen Schicksale zeigen effektiv, wie der Club auseinandergegangen ist und jeder einen anderen Weg eingeschlagen hat. Jeder ist so sehr in seinen Alltag verwickelt, dass der Anruf von Mike wie ein Erwachen aus einem Traum wirkt. Mit einem Mal kommen alle Erinnerungen wieder hoch.

Diesen Effekt nutzt Wallace für Rückblenden in die Kindheit der Akteure, in denen erstens erzählt wird, wie die sieben Außenseiter Freunde wurden, damit verbunden zweitens, wie sie vom fiesen Schläger Henry und seinen Kumpanen bedroht wurden und drittens, wie jeder für sich allein die ersten Erfahrungen mit dem bösartigen Clown Pennywise machten.

Dies ist ein wichtiges Element im Film. Die Einzelbeobachtung der Freunde steht im Gegensatz zur Freundschaft, in deren Kreis jeder sicherer ist. Indem "ES" aber jeden Einzelnen aus dem Kreis zerrt, kann er die gesamte Gruppe schwächen. Es ergeben sich dadurch Möglichkeiten, sich auf die Ängste jedes Individuums zu konzentrieren. So erscheint "ES" z.B. Richie als Werwolf, Ben als sein toter Vater und Bill als sein Bruder, der das erste Opfer des Clowns wurde.

Zum vorläufigen Finale hin schließt sich der Club wieder zusammen, um in der Kanalisation Pennywise aufzuspüren und einen ersten Teilerfolg zu erringen.

Diese erste Filmhälfte ist definitiv die bessere, was vor allem den tollen Jungdarstellern zu verdanken ist. Seth Green ist in einer seiner ersten Rollen zu sehen, und Jonathan Brandis spielt den stotternden und durch den grausamen Tod seines kleinen Bruders verstörten Bill sehr überzeugend. Auch der Darsteller von Ben Hanscom, den man ebenfalls noch in anderen Rollen sehen sollte, kann glänzen.
Jedoch verblassen selbst diese vielversprechenden Jungtalente im Vergleich mit der Performance von Tim Curry, der Pennywise mit der perfekten Balance von Humor und Horror spielt. Natürlich wird dies auch durch die tollen MakeUp-Effekte unterstützt, so dass die Figur am Ende genauso rüberkommt, wie man sie beim Lesen des Buches vor Augen hatte.

Weiter geht`s mit der zweiten Filmhälfte, die sich auf die Gegenwart bezieht und den Kampf der Erwachsenen bis hin zum endgültigen Finale beleuchtet. Am Interessantesten dürfte es hier sein, zu sehen, wie sich die einzelnen Charaktere entwickelt haben. Sie alle reisen alleine an und werden bei ihrer Ankunft vor dem ersten Treffen mit dem Club erneut von Pennywise heimgesucht mit dem Hinweis, dass sie alle zu alt seien, um ein zweites Mal den Sieg zu erringen. Die erinnerungswürdigste Szene hat sicherlich Beverly Marsh bei dem Besuch ihres alten Heims, in dem nun die freundliche alte Dame Mrs. Kersh wohnt. Übrigens gibt es hier noch eine kleine Abänderung gegenüber dem Buch (die aber verständlich ist): das Zeug in der Tasse war im Roman jedenfalls kein Blut.
Anonsten macht noch Bill Bekanntschaft mit dem Clown; einmal am Grabe seines Bruders, einmal in der Bibliothek. Zu gerne hätte ich allerdings den im Buch beschriebenen Vampir gesehen, der leider im Film eingespart wurde. Na ja.

Zum Finale hin schmerzen die Sparmaßnahmen gegenüber dem Buch ganz besonders. Zunächst einmal wird die Rolle Henrys sehr kurz gefasst, was theoretisch durchaus zu verschmerzen wäre. Dass er aber nur noch mit einem kleinen Ausbruch aus der Anstalt und einem Attentat bedacht wurde, ist schon etwas traurig. Noch viel schlimmer allerdings ist folgendes: bei allen atmosphärischen Feinheiten und durchaus ausführlichem Eingang auf alle Charaktere wurde das nicht berücksichtigt, was die zentrale Essenz des Romans ausmacht: die anfangs angesprochene Universalität, das Gewaltige, die Urkraft von Gut und Böse. So fehlt etwa die für mich unglaublich bedeutsame Szene, in der der Club der Verlierer im unterirdischen Versteck im Dunst von Weihrauch eine Vision erlebt, in der erstmals wirklich klar wird, was "ES" ist. Auch wurde die komplette "All-Szene" gestrichen, in der "ES" in einem unendlichen Strom von Licht und Zeit an der Ur-Mutter des Universums (eine Schildkröte) vorbeirauscht und seine eigene Endlichkeit begreift. Aber für solche Szenen fehlten scheinbar die Geldmittel.
Ganz auf große Effekte wollte man dann aber doch nicht verzichten - leider. So wird die über die gesamte Laufzeit so wundervoll aufgebaute Atmosphäre durch eine gigantische Gummispinne vollends zunichte gemacht. Das große Finale ist leider der Tiefpunkt des Filmes. Zwar kann auch unfreiwillige Komik seinen Zweck erfüllen, doch ist sie hier vollkommen fehl am Platze.

Dennoch: Wallace hat das Beste aus der Vorlage gemacht. Denn ähnlich wie Tolkiens "Herr der Ringe" ist Stephen Kings Horrormeilenstein ein Roman, der kaum in Bilder zu packen ist. Dass es den Umständen entsprechend dennoch so gut gelungen ist, liegt an der intelligenten Erzählweise, den meist guten Schauspielern, tollen Locations und dem überragenden Tim Curry.
Ein Kinofilmzweiteiler, bei dem jeder Film eine Lauflänge von mehr als 200 Minuten hätte und die Filme mit einem großen Budget gesegnet wären, wobei der Regisseur das Wallacesche Feingespür für die Geschichte hätte, könnte durchaus ein Meisterwerk werden. So viel gibt die Geschichte her. Und der TV-Zweiteiler von 1990 vermittelt zumindest gelungene Ansätze dafür; das ist sein Verdienst.
8/10

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