Vergewaltigung und Rache Filme, im Volksmund auch Rape & Revenge genannt, gehören zum Subgenre des Exploitationsfilms und erfreuten sich vor allem in den 1970er Jahren großer Beliebtheit. Das Schema ist eigentlich immer das Gleiche: Eine meist attraktive Weiblichkeit wird von triebgesteuerten Herren der Schöpfung gefoltert, vergewaltigt und zum Sterben zurück gelassen. Das Opfer kann dem Tod gerade noch so von der Schippe springen und rächt sich mindestens mit gleicher Vehemenz an Ihren Peinigern. Exemplarische Werke der damaligen Zeit sind "Wer Gewalt sät" (1971), "Eine Frau sieht rot" (1976) oder der Klassiker schlechthin "Ich spuck auf dein Grab" (1978). Das Thema wurde aber auch später immer wieder gerne filmisch aufgegriffen, beispielsweise in "Extremeties" (1986) oder in der Remake Trilogie "I spit on your Grave 1-3" (2010-2015). Ein bisschen frischen Wind ins teilweise recht ausgelutscht wirkende Genre bringt Coralie Fargeats 2017 erschienener Rache Thriller "Revenge", der das bekannte Auge um Auge, Zahn um Zahn Prinzip spannend, intelligent aber auch keines Falls offensichtlich mit Gegebenheiten der antiken Mythologie verknüpft.
Um zahlungswillige Geldgeber für ihr Projekt zu finden, gab die Autorin und spätere Regisseurin Coralie Fargeats an, sie habe sich von Werken wie "Wild at heart" (1990), "Drive" (2011) und "Under the Skin" (2013) inspirieren lassen. Inhaltlich erzählt der Film die Geschichte von der bildhübschen Jen (Matilda Lutz), die bei ihrem reichen verheirateten Lover Richard (Kevin Janssens) in dessen von Wüste umgebenen Ferienvilla ein erotisch vergnügliches Wochenende verbringt. Als Richards Geschäftspartner Stan (Vincent Colombe) und Dimitri (Guillaume Bouchéde) früher wie geplant zur jährlichen Jagdveranstaltung auftauchen, wird Jen nach einer feucht fröhlichen Party von Stan hinter Richards Rücken vergewaltigt. Jen vertraut sich ihrem Liebhaber an, aber dieser hält wiedererwartend zu seinen Freunden und stösst die bedauernswerte Schönheit eine Klippe meterweit hinunter in den vermeindlichen Tod. Beim Sturz von einem Baumstamm aufgespießt überlebt Jen wie durch ein Wunder schwerverletzt und kann sich nach schmerzhafter Selbstverarztung ganz ihrem gnadenlosen Rachefeldzug in den unendlichen Weiten der wüstlichen Einöde widmen...
Für wen sich das alles unglaubwürdig anhört, der darf gerne die Hand heben. Oberflächlich resümiert muss ich denjenigen sogar Recht geben, die uns bekannten Naturgesetze werden in Revenge mehr als nur einmal mit den Füßen getreten, was durchaus auch ein plausibler Kritikpunkt ist. Doch bei genauerer Betrachtung versteckt Coralie Fargeats hinter der scheinbaren Absurdität eines nicht überlebbaren Klippensturzes auf einen spitzen Baumstamm und dessen Folgen eine fast schon geniale Hommage an die "Phönix aus der Asche" Symbolik der Spätantike, welche ein Zeichen für Unsterblichkeit, Regeneration und Wiedergeburt darstellt. Der Phönix ist dem Mythos nach einem heiligen Vogel, der aus der eigenen Asche empor steigt um wieder geboren zu werden. Genau wie Jen, die gepfählt in kreuzartiger Jesus-Pose den Baumstamm in Flammen setzt, um sich zu befreien. Bei der Operation in Eigenregie trinkt sie Phönix Dosen Bier und brennt sich das Symbol des Phönix Vogel gut sichtbar auf die offene Wunde, um diese zu schließen. Von dortan hat sich die Protagonistin in die sagenhafte, eiskalte Rächerin verwandelt...
Gemäß der für Rachestreifen typischen Feindbildgenerierung werden auch in Revenge die Charaktere der Antagonisten so schwarz, so widerwärtig und so abscheulich gezeichnet, wie nur irgendwie möglich, so dass der Zuschauer gar keine andere Wahl hat, als einen emotionalen Pakt mit dem armen geschändeten Wesen zu schließen und deren Vergeltungsarie zu befürworten. Dabei hat Fargeats das Glück, fähig agierende Darsteller in den eigenen Reihen zu haben, die dieses Klischeebild für das Publikum evident visualisieren. Kevin Janssens überzeugt als gewissenloser Schönling Richard, der die zwiespältige Diabolik seiner Rolle mit aussagekräftigem Minenspiel unterstreicht. Nicht minder unsympathisch ist der notgeile Stan, dessen schmierig abstoßende Art von Vincent Colombe förmlich greifbar verkörpert wird und Guillaume Bouchéde gelingt es ebenso, seinem Filmcharakter, dem übergewichtigen Dimitri, eine gewisse Ekelhaftigkeit zu spendieren. Die erzeugten Empfindungen sind für den Betrachter jedoch nur halb so intensiv, wenn die Figur der tragischen Heldin nicht passend besetzt ist, aber auch hier kann ich Entwarnung geben, Matilda Lutz spielt den Wandel von der naiven gequälten Blondine zum gnadenlosen Racheengel absolut nachvollziehbar und setzt mit ihrer brillanten Performance nicht nur ein Ausrufezeichen.
Optisch arbeitet Fargeats primär mit kräftigen Farben und kontrastreichen Aufnahmen. Sie versteht es ausgezeichnet, Jens temporeiche Odyssee mit äquivalenten Kamerafahrten, Zeitlupen, sowie variabler In-Zooming Ästhetik gefällig zu inszenieren, dabei hat sie immer das richtige Händchen für das der Situation angemessenste Stilmittel. Blutig rot färbt sich der Bildschirm, wenn die Gewaltschraube angezogen wird und die Schergen ihre gerechte Strafe erhalten. Revenge schafft den schwierigen Balanceakt, einerseits voll drauf zu halten, anderseits nie übertrieben Selbstzweckhaft zu wirken und die kunstvoll bebilderte Szenerie wird durch den beklemmenden Score von Jack Nitzsche komplettiert. Dazu kann gar nicht oft genug erwähnt werden, dass alle Gore Effekte ausnahmslos mit altmodischer Maskenarbeit, mit Blutfontänen und ohne Rechenknecht Unterstützung realisiert wurden was meiner Meinung nach der eh schon deftigen Kost die sprichwörtliche Krone an Intensivität aufsetzt. Und was ist mit Langweile? Fehlanzeige! Trotz üppiger fast 2-stündiger Spielzeit weiß das Geschehen ausnahmslos zu fesseln und der konstant anhaltende Spannungsbogen findet seinen Höhepunkt im nervenzerreißenden Finale.
Der 2,9 Millionen Dollar "günstige" Revenge hatte seine Weltpremiere am 10. September 2017 auf dem Toronto International Film Festival und wurde in einigen Ländern, wie zum Beispiel Frankreich, United Kingdom oder Schweden in den einheimischen Kinos gezeigt. Die Kritiker nahmen den unterhaltsamen französischen Beitrag zur Rape & Revenge Sparte größtenteils positiv auf und auch der werte Autor dieser Zeilen kann seine Begeisterung nur schwer in Worte fassen. Revenge bietet hochspannendes Rachekino mit tollen Darstellern und blutigen Schauwerten, kontrovers diskutierbar ist jedoch das zweiseitige Schwert der Deutung von Realismus und Mythologie. Hat Coralie Fargeats wirklich alles dafür getan, dass ihr interessanter Kniff auch für jedermann identifizierbar ist? 9 von 10 Punkte