Mit der Langsamkeit von “Bone Tomahawk” hat S. Craig Zahler Aufmerksamkeit erregt. Er wäre nicht der erste Regisseur, der sich daraufhin zu höherem Tempo genötigt fühlen würde, steigen doch mit jedem Erfolg die Erwartungen nach mehr. Und mehr, das geht eben nur, indem man schneller wird. Doch Zahler sieht es überhaupt nicht ein, auch nur einen einzigen Zahn zuzulegen. Lieber lässt er solche auf dem Gefängnisboden verteilen. Sorgfältig, kontrolliert, so wie man unter normalen Umständen seine Socken zusammenlegen würde.
Nachdem man in Zahlers Western zum stillen Mitläufer der Spurenleser gemacht wurde, darf man sich nun an die Fersen eines Automechanikers mit düsteren Zukunftsaussichten heften. Vince Vaughns kahl rasierter und tätowierter Hinterkopf führt wie ein Tourguide durch den deprimierenden Alltag seines wortkargen Besitzers, dem man kaum eine Regung am Gesicht ablesen kann. Die schlechten Nachrichten von seiner Arbeitsstelle nimmt er ruhig auf, aber nicht teilnahmslos. Die anschließende Fahrt nach Hause wird gezeigt; über die im Auto gespielte Musik wird der Mann ebenso charakterisiert wie über die Tatsache, dass er sie nach zwei Blocks ausschaltet. Als er heimkehrt und seine Frau ihm beichtet, dass sie ihn betrügt, beginnt er damit, das Auto zu zerlegen; nicht impulsiv, sondern eher effizient, mit gezielten Handgriffen. Dann folgt er ihr ins Haus und spricht mit ihr über die Beziehung.
Nach dieser ausladenden Exposition gönnt sich Zahler erstmals einen größeren Schnitt. Dass das Paar inzwischen in einer größeren Wohnung lebt und ein Kind erwartet, sagt erneut viel über den Charakter des Mannes aus. Und da nun endgültig genug Informationen gesammelt wurden, startet Zahler endlich die Eskalation.
“Brawl In Cell Block 99” mutiert in seinem Hauptteil zur modernen Interpretation von Dantes “Inferno”, wobei der initiale Gang ins Gefängnis (Standardverwahrung) lediglich den Eintritt in den ersten Höllenkreis markiert, dem noch weitere folgen werden. In der Zwischenzeit verwandelt sich die Umgebung sukzessive in ein Bild des Grauens: Aus der normalen Aufbewahrungszelle wird ein Drecksloch mit völlig versauter Toilette, aus der Toilette wird schließlich ein rohes Loch im Boden eines Kellerverlieses weit abseits des Tageslichts. Die sadistische Ader, die sich bei “Bone Tomahawk” vor allem im brutalen Schlussakt offenbarte, wird dem Antihelden diesmal früh als Motivationsspritze gesetzt; ein koreanischer Arzt und dessen Auftraggeber (Udo Kier) setzen über eine Drohung grauenvolles Kopfkino frei, das sich ein gesunder Geist in seinen kühnsten Träumen wohl kaum ausmalen könnte.
Inmitten dieses Horrors, der einen normalen Mann an den Rand der Verzweiflung bringen würde, inszeniert Zahler nun halb Comic-Exploitation, halb sprödes Charakterdrama. Mittendrin Vince Vaughn, der ja bei weitem nicht nur Clowns in flachen Komödien gespielt hat, aber wohl selten oder nie so etwas Hypnotisierendes zu bieten wusste wie diesen Bradley Thomas, der einfach tut, was er tun muss. Das ist reinster Minimalismus, der Gegenentwurf zum Method Acting sozusagen, basierend auf dem völligen Desinteresse am “Einfühlen” in die Rolle oder Situation… mit wahrlich beeindruckendem Ergebnis, bei dem man aber schon durch die Fassade der Ausdruckslosigkeit blicken muss, um sie zu erkennen. Unleugbar ist aber wohl zumindest seine physische Präsenz, die ihn im Rahmen seines rein auf Ursache und Wirkung basierenden Handelns wie eine Maschine wirken lässt, und zwar ohne dazu den übernatürlich gestählten Körper eines Actionhelden zur Schau stellen zu müssen.
Um Spannung ist es im Zuge dessen nicht allzu weit bestellt. Man kann sich schließlich ausmalen, dass eine solche Figur ziemlich sicher an ihr Ziel gelangen wird, so dass man jeden armen Boxsack bedauern muss, der sich ihm in den Weg stellt. Wo es an Spannung fehlt, da wird die Magengrube mit harten Gewaltspitzen malträtiert, die in absurdem Winkel aus dem emotional völlig ebenen Spiegelmeer des Geisteszustands der Hauptfigur herausragen. Realismus wird beim Brechen der Knochen zwar als Referenz beachtet, jedoch auch gerne verlassen; es scheinen manchmal gar keine menschlichen Körper mehr zu sein, die hier deformiert werden, sondern Knetfiguren, die ihre Gliedmaßen innerhalb von Sekunden in völlig entarteter Anordnung wiederfinden. Weil diese Brutalitäten zwar regelmäßig, aber nur spärlich vorkommen, betonen sie sogar noch die Ruhe des Ausführenden und wirken um so heftiger nach.
Die Ironie des Drehbuchs ist es vielleicht, dass nur Bradley Thomas und der Zuschauer wissen, was ihn zu seinem Handeln veranlasst. Herausforderer und Gegner gehen somit von unterschiedlichen Annahmen aus, man könnte sagen, von unterschiedlichen Genres. Knastprügler versus Familiendrama. Dass Zahler hinter dem Psychopathen im orangefarbenen Einteiler eine tiefe Charakterstudie verbirgt, sieht man vielleicht nicht als erstes, wenn man gerade damit beschäftigt ist, sein Gesicht vom Steinboden zu sammeln…
(7.5/10)