Die dem Cineasten angeborene Furcht vor der Schändung eines Klassikers durch eine inadäquate Fortsetzung war diesmal relativ gering, das Vertrauen in Denis Villeneuve nämlich ausgesprochen hoch. Das Können des kanadischen Regisseurs hatte sich spätestens nach „Arrival“ herumgesprochen. Und auch angewendet auf einen nicht-originären, in die Filmkultur bereits eingebetteten Stoff erweist es sich als so groß, dass ihm ein selten gewagter Spagat in der Königsdisziplin des Filmemachens gelingt: Er gewinnt vom anspruchslosen Gelegenheitskonsumenten bis zum kritischen Kulturbeobachter und -Schützer einen wohlwollenden Konsens und qualifiziert sich somit als Mainstream-Regisseur, und dennoch bebildert er das Original nicht einfach mit modernen Mitteln neu, sondern fügt ihm weitere philosophische Fragestellungen hinzu. Man könnte sogar sagen: Es gräbt tiefer als Ridley Scotts Blaupause, was zu dem oftmals vernommenen Urteil führt, „Blade Runner 2049“ sei glatt der bessere Film.
Das ist so pauschal natürlich nicht zu bestimmen, schon weil in einer Zeitspanne von 35 Jahren nicht die gleichen Maßstäbe zur Bildung von Werturteilen zur Anwendung kommen können. Was man jedoch sagen kann, ist, dass unter all den jüngsten Reanimationen von 80er-Jahre-Filmklassikern diese nun der ursprünglichen Idee einer Fortsetzung als inhaltliche Erweiterung am nächsten kommt. Das „Warum“ ist einfach: Im Gegensatz zu fast jeder vergleichbaren (Re)Produktion der letzten Jahre begegnet sie dem ihm zugrunde liegenden Original nicht einfach mit Ehrfurcht und kritikloser Ehrdarbietung. Es ist ein weit verbreiteter Trugschluss, dass Unterwürfigkeit zu den höchsten Pflichten eines Sequels gehört, insbesondere, wenn so viele Jahre vergangen sind und Qualität zum Klassiker, oder noch fataler, zum Kult reifen konnte. Stattdessen betreibt Villeneuve Dialektik mit Scotts Vorlage. Es greift seine Thesen auf, hinterfragt sie und eröffnet auf der Grundlage neu gewonnener Erkenntnisse neue Diskurse. Dort beginnt dann das komplexe, regelrecht magische, nicht so einfach rekonstruierbare „Wie“ - ja, wie Villeneuve das macht, liegt in der Kunstfertigkeit seiner Methodik begründet und macht einen Teil der speziellen Faszination für seine Arbeiten aus.
Denn durchaus funktioniert „Blade Runner 2049“ auch als einfache Neo-Noir-Kriminalgeschichte im Science-Fiction-Gewand. Man kann sich von Hollywood-Star Ryan Gosling an die Hand nehmen und die Welt erklären lassen, die er bereist, man kann sich an Roger Deakins' phänomenalen Bildern delektieren, auch ohne zu realisieren, wie prall sie mit Symbolik gefüllt sind. Man kann die Frage nach dem Menschsein für sich selbst einfach mit dem Bauchgefühl begründen, ohne sich dabei auf die wichtigsten Philosophen und Mathematiker zu berufen, die sich mit der Trennbarkeit von Mensch, Maschine, Seele und Geist beschäftigt haben; obwohl Villeneuve beides erlaubt. Was die von Ana de Armas gespielte digitale Projektion einer liebevollen Frau für die Hauptfigur bedeutet, ist intuitiv verständlich, doch Dialoge, in denen ein Vergleich zwischen der aus vier Nukleotiden bestehenden DNA und der binären Zusammensetzung von Digitalität angeregt wird, erlauben auch eine weiterführende Erörterung von Geist und Maschine.
Das bedeutet nicht, dass Villeneuve völlig befreit vom zeitgenössischen Diktat operieren kann, auch wenn er sich bereits weitestmöglich von ihm distanziert. Der insgesamt düstere, pessimistische Grundton weist auf modernes Filmemachen hin. Obwohl der Smog im Original nicht weniger blickdicht war, der Regen nicht weniger präsent und die Kontraste von Neonreklame und schwarzem Asphalt nicht geringer, schließt sich „Blade Runner 2049“ der Düsternis mit mehr Konsequenz an, scheint das gesamte Sujet noch ernster zu nehmen. Selbst Harrison Ford, auch wenn er lange nicht mehr mit so viel Inspiration bei der Sache war wie in diesem zweiten Auftritt als Deckard, steht Verbitterung in die Gesichtszüge geschrieben. Hans Zimmer und Benjamin Wallfisch setzen den Original-Score von Vangelis passend dazu in einen von Gott und der Welt verlassenen Drone-Kontext, der einem den letzten Hauch Lebensfreude aus Mark und Bein schüttelt. Auch Gosling ist als eher maskenhafter Darsteller bekannt, der sein Emotionsbild stets hinter zugekniffenen Augen und einem Strichmund verbirgt. Das unterstützt die Noir-Bezüge ebenso wie die Uneindeutigkeit bei der zentralen Fragestellung nach den haarfeinen Unterschieden zwischen Mensch und Replikant; es schmiegt sich allerdings auch stromlinienförmig in die Vorstellung von einem Kino ein, wie es von den dominanten Filmstudios vorgegeben wird – daran ändern weder die Actionarmut etwas noch die massive Überlänge oder die mäßigen Kino-Besucherzahlen.
Extravagantes, mutiges Filmemachen oder „Cinema-In-Opposition“ steckt also nicht in dieser Fortsetzung. Setzt man Qualität mit der Distanz zum Etablissement gleich, wird man in „Blade Runner 2049“ kaum Besonderheiten finden, trotz seiner herausragenden Cinematographie, die aus jeder Einstellung ein Kunstwerk macht. Villeneuve brilliert eher darin, langsames Erzählen als Unterhaltungskunst zu präsentieren und mit hohem Anspruch zu verbinden. Er lehrt sein Publikum, dass es nicht alle zehn Minuten eine Explosion benötigt, um bei der Sache zu bleiben und dass es zahlreiche Alternativen gibt, um Bildfülle anderweitig zu erzeugen. In „Arrival“ hat sich das schon angedeutet, jetzt hat er es perfektioniert.