iHaveCNit: Stronger (2018)
Amerikaner lieben Heldengeschichten und lieben es auch, sich selbst Helden zu suchen und hochzustilisieren. Vor allem, wenn das eigene Land oder die eigene Stadt Opfer eines Terroranschlags ist und es Überlebende oder bürgerliche Helfer gab, die eine Rolle eingenommen haben, so unwichtig sie auch sein mag. Am 15.4.2013 hat zum Beispiel ein Terroranschlag beim jährlichen „Boston Marathon“ die gleichnamige Stadt ins Mark getroffen. Hier hat Peter Berg bereits im letzten Jahr mit „Patriots Day“ bzw. „Boston“ einen semidokumentarischen Actionthriller geschaffen, der skizziert hat, wie eine ganze Stadt zusammengehalten hat, um die Hintermänner des Anschlags zu suchen. „Stronger“ ist ein Film, den ich schon sehr lange erwartet habe und nun endlich sehen konnte. Er beschäftigt sich zwar auch mit dem Anschlag auf den „Boston Marathon“, findet aber einen weitaus eindringlicheren und intimeren Blick auf die Ereignisse, weil er sich auf ein Einzelschicksal fokussiert. Und „Stronger“ ist richtig „Strong“ geworden.
Jeff Bauman ist ein relativ verantwortungs- und zielloser unzuverlässiger Typ, der Erin Hurley über alles liebt, auch wenn sie sich schon oft getrennt haben, was häufig mit ihm zu tun hatte. Er trifft dann aber zum 15.4.2013 die Entscheidung, für sie ein Schild zu basteln und am Zieleinlauf des Boston Marathons auf sie zu warten. Es kommt zum Anschlag, bei dem Jeff beide Beine verliert. Da er Hinweise zum Täter geben kann und überlebt hat, wird er sehr schnell als Symbol für „Boston Strong“ missbraucht. Doch er kann damit nicht umgehen, hat er doch sein eigenes Schicksal zu verarbeiten und die Beziehung zu Erin sowie seiner Mutter wird durch seine Persönlichkeit und den Kampf wieder auf die Beine zu kommen, auf eine extreme Herausforderung gestellt.
Ich liebe Jake Gyllenhaal und seine Rollenauswahl. Er hat sich in den letzten Jahren zu einem meiner Lieblingsdarsteller entwickelt und dies noch weiter mit „Stronger“ untermauert. Doch „Stronger“ ist nicht nur allein wegen Jake Gyllenhaals Performance stark, es gehört auch noch ein gehöriger Dank von mir an Tatiana Maslany, die zusammen mit Gyllenhaal super funktioniert und eine extrem intime und vielschichtige Beziehung und Charakterzeichnung erschafft. Aber nicht nur die intimen Momente sind extrem gut, der Film hält sich von genretypischen Montagen in der Rehabilition fern und erzählt den Kampf wie ein klassisches Biopic, dass hin und wieder nicht klar einen roten Faden liefert und leicht chaotisch wirkt, aber gerade wenn es um historische Biopics mit einem gebrochenen Menschen und dem Kampf zurück ins Leben geht, hat er mir wesentlich besser gefallen als der derzeit auch gestartete „Solange ich atme“ von Andy Serkis. Man spürt die Herausforderungen, die innere Zerrissenheit der Hauptcharaktere und die Konflikte. Der Film liefert das ungeschönt und mit einer tollen Intensität. Aber auch im Vergleich zu einem anderen Filmstart aus dieser Woche, den ich vermutlich im Heimkino nachholen werde - „The 15:17 to Paris“ von Clint Eastwood – sorgt er für einen sehr kritischen und vielschichtigen Blick auf den amerikanischen Heldenpathos im postheroischen Zeitalter. Sprich, er geht kritisch damit um, dass Jeff Bauman als Held hochstilisiert wird, was sich oft auch in seinem Bekanntenkreis zu einer realitätsnahen und leicht überzeichneten Darstellung niederschlägt – doch wenn sich Teile der Bostoner Bevölkerung an Jeff wendet und ihm darlegt, welche Inspiration er für sie war, sorgt das für einen unglaublich guten und eindringlichen Filmmoment. Und eindringliche Filmmomente hat der Film sehr viele.
„Stronger“ - My First Look – 9/10 Punkte.