Chen Kaige's Gelbe Erde war 1984 der Startschuss der Fünften Generation gewesen, jener Bewegung junger Absolventen der Pekinger Filmhochschule, die dem chinesischen Film erstmals seit der Kulturrevolution und in einem nie da gewesenen Ausmaß zu internationaler Reputation verholfen. Eine neue Bildsprache war ihr Ziel gewesen, der sozialistische Realismus wurde abgelehnt, die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte jenseits der Parteidoktrin wurde eines ihrer Hauptthemen. Natürlich schaltete sich die Obrigkeit immer wieder ein, zensierte und verbot, wie es sich für einen totalitären Staat gehört. Einige Regisseure dieser Generation wählten dann auch den Weg ins Ausland.
Die zwei berühmtesten jedoch, besagter Chen Kaige, sowie sein ehemaliger Kameramann Zhang Yimou arbeiten noch heute unter diesen Bedingungen. Letzterer begann seine Regiekarriere mit Rotes Kornfeld 1987, spätestens seit Hero kann er sich zurecht als international erfolgreichster Regisseur des chinesischen Festlandes bezeichnen (und sicher hängt eine goldene Plakette mit dieser Aufschrift über seinem Bettchen).Chen Kaige erreichte bisher nie das Blockbusterniveau seines Kollegen, trotz thematischer Überschneidungen.
Der Kaiser und sein Attentäter ist ein hervorragendes Beispiel für die Unterschiede zwischen den beiden Regisseuren. Binnen drei Jahren nahmen sie sich des selben Themas an, DES chinesischen Themas schlechthin: Der erste Kaiser und seine Reichseinigung. Die Behandlung des Gründungsmythos der chinesischen Nation in einem Film ist sicher kein Pappenstiel. Zhang Yimou entschied sich in Hero für einen atemberaubenden Bilderrausch, verlegte die Geschichte ins wuxia-Genre und lieferte gleichzeitig eine Rechtfertigung autoritärer Gewalt für das große Ziel der Einigung ab. Chen wählte die Form eines 150minütigen Historienfilms, in Beige getaucht, mit vielen Dialogen, einer fast schon in Trance versetzten Kamera. Die Beantwortung der Frage, welcher der beiden Filme ein internationaler Hit wurde, ist sicher nicht allzu schwer.
Wie Hero auch, dreht sich der Kaiser und sein Attentäter (bei dem Titel, welch Überraschung!) um eine Attentäterlegende aus der Zeit der zehnjährigen Einigungskriege im 3. Jahrhundert v. Chr. Der König der Qin, Ying Zheng, strebt danach, alles unter dem Himmel zu vereinen, wie er es seinen Vorfahren geschworen hat. Dabei ist der Krieg gegen die anderen chinesischen Staaten sein Mittel. Da ein unbegründeter Angriffskrieg immer einen schlechten Eindruck im Lebenslauf erweckt (siehe Gleiwitz) schlägt seine Geliebte, Lady Zhao (Gong Li), ihm vor, sie könne doch ins nächste Angriffsziel, das Reich der Yan, reisen, um den dortigen Prinzen dazu zu bringen, einen Attentäter nach Qin zu schicken. Fliegt der (erwartete) Attentatsversuch auf, so hat Ying Zheng einen Vorwand Yan anzugreifen. Jing Ke wird ausgesucht, ein Auftragsmörder, der seinen Beruf an den Nagel gehängt hat. Die zunehmende Brutalität Ying Zhengs lässt jedoch Zweifel in Lady Zhao aufkommen, ob das Attentat wirklich scheitern müsse...
Chen entfaltet diesen Konflikt im Stile einer Shakespeare'schen Tragödie. Der Held, der König der Qin, tritt mit guten Motiven an, will Frieden im Reich der Mitte schaffen. Sein Machthunger, der Zwang, dem Wunsch seiner Ahnen nachzukommen, sowie Intrigen in seinem nächsten Umfeld, führen zu seinem moralischen Abstieg. Ying Zheng wird zum Tyrannen, der, à la MacBeth, auch über die Leichen von Kindern geht, denn bald verschwimmt die Grenze zwischen dem hehren Ziel der Reichseinigung und der blutigen Rache für erlittene Erniedrigungen in der Kindheit. Zunehmend verlieren wir die Sympathie für dieses Nervenbündel von einem Herrscher (beeindruckend gespielt von Xuejian Li) und wenden uns dem ruhigen, alles ertragenden Jing Ke (Fengyi Zhang) zu, uns danach sehnend, sein Auftrag möge doch erfolgreich sein, obwohl wir es besser wissen.
Überhaupt sind es in diesem Film die Verschwörer, deren Motivation für uns nachvollziehbar erscheint, denen wir unser Mitgefühl zollen. Jeder Schritt, den der König unternimmt, um seine Herrschaft zu sichern, entfernt uns weiter von ihm. Wo der König in Hero, was seine Coolness betrifft, den vier Attentätern in nichts nachsteht, zeigt Chen ihn als jämmerlichen, machtversessenen Schwächling, der sich vom kühnen Krieger in einer der ersten Sequenzen, zu einem paranoiden Tyrannen entwickelt, der sich hinter seiner Streitmacht versteckt.
Wo Hero auf Fantasyelemente setzt, die den dünnen Plot überstrahlen, ist Der Kaiser und sein Attentäter geprägt von einer detailgetreuen Darstellung der damaligen Gegebenheiten, von der kühlen, gefängnisartigen Atmosphäre des Palastes, dem dreckigen Leben in den Städten, der weiten, rauen chinesischen Landschaft, der Brutalität des Krieges. Er, der Krieg, ebenso wie der Kampf Mann gegen Mann, ist hier kein choreographierter, einem Ballet gleichender Schauwert, sondern walzt mit der Kraft einer Naturgewalt über die Menschen hinweg, so dass das Einzelschicksal an Bedeutung verliert. Der Kampf ist hier keine Sinnierung über das eigene Wesen, sondern ein rohes Mittel einer staatlichen Autorität, welche durch ihre eigene Rücksichtslosigkeit in Frage gestellt wird.
Der Kaiser und sein Attentäter ist keinesfalls ein Kriegsfilm, vielmehr dient die Schlacht der Charakterisierung des Königs in den verschiedenen Stadien seiner Herrschaft. Jing ke ci qin wang (so der Originaltitel) ist ein Charakterdrama, das belegen die vielen Großaufnahmen, also der Wert, der auf die schauspielerische Mimik gelegt wird und hier hat der Film wohl auch seinen größten Trumpf. Bis in die Nebenrollen ist er hervorragend besetzt, die bezaubernde Gong Li ist nur die Spitze des Eisbergs. Nie bestätigen die Figuren unseren ersten Eindruck. Jeder hält eine Facette seines Charakters verborgen, die er im entscheidenden, für uns überraschenden, Moment ausspielt. Innerhalb des historischen Kontextes dreht sich der Film um die Frage, was die Macht in einem Menschen anrichtet. Wann entwickelt sich die Verantwortung für das Volk zur Tyrannei. Kann ein Herrscher, der gefangen zu sein scheint in der, ihn antreibenden, Vorherbestimmung, sich noch an Grundsätzen der Moral orientieren? Rechtfertigt das Ziel die Mittel?
Spätestens an diesem Punkt wird sich der ein oder andere Zuschauer womöglich der Parallelen zur unmittelbaren Zeitgeschichte und Gegenwart bewusst werden. Stichworte, wie Taiwan oder Repression der politischen Opposition werden einem durch den Kopf schießen. Bedenkt man auch noch, dass der spätere Kaiser Bücher verbrennen ließ und politische Gegner verfolgte, dass seine "Dynastie" bald nach seinem Tod, nicht zuletzt aufgrund seiner paranoiden Tyrannei, unterging, so gewinnt der Film trotz seines zweitausend Jahre alten Themas an immenser Aktualität. Die berühmten Hinterlassenschaften des Kaisers, wie etwa die große Mauer, werden nur kurz, quasi als Vorausblick, erwähnt. Auch die wegweisenden Verwaltungsreformen werden nicht etwa vorweggenommen, wie es bei einer positiveren Darstellung Ying Zhengs wohl der Fall gewesen wäre. Die Taten und Pläne des Königs der Qin im Film sind zur Gänze von seinem Größenwahn geprägt.
Chen findet dafür ebenso beeindruckende, wie eigensinnige Bilder. Vielfach verwendet er Jump Cuts, eine schwebende Kamera inszeniert die symmetrisch durchkonstruierten Räume des Palastes, die von einer alles durchdringenden, geradezu erdrückenden Stille geprägt sind. Der Film ist dennoch mit einem main theme gesegnet, dass auch David Lean ein Lächeln abgerungen hätte.
Man darf hier keinen Gladiator erwarten, der Zuschauer muss Geduld mitbringen, die ein oder andere Länge überstehen, um am Ende belohnt zu werden. Was er dann gewinnt, mag vielleicht nicht so farbenfrohe Kost wie Hero sein, dafür aber ein vielschichtiger Historienfilm eines Regisseurs, der den letzten Schritt zur Anbiederung glücklicherweise noch nicht gegangen ist.