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Detroit im heißen Sommer 1967: Nach einer Razzia gegen einen Club ohne Alkohollizenz entzünden sich im Ghetto Unruhen, die schnell zu offenen Aufständen und kriegsähnlichen Zuständen werden. Polizei, Nationalgarde und Armee liefern sich Gefechte mit Ghettobewohnern, die sich der Benachteiligung ob ihrer Hautfarbe mit allen Mitteln wehren. Alle Mittel, das bedeutet in erster Linie Brandstiftungen und Plünderungen. Da kommt die Tat des jungen Officers Krauss, einem flüchtenden Plünderer zweimal in den Rücken zu schießen (weil er sich bedroht fühlte!) erst recht nicht gut. Inmitten des Chaos und der Gewalt wollen die Sänger der “Dramatics“ ein Konzert geben, bei dem sogar jemand von der Plattenfirma Motown anwesend sein soll. Aber das Konzert wird wegen der Kämpfe abgesagt, und zwei der Dramatics, der Leadsänger Larry und sein jüngerer Bruder Fred, finden sich auf der Flucht durch die Nacht im Algiers Motel wieder. Dort wird gefeiert und getanzt, zwei junge weiße Mädchen aus Ohio nehmen einen ersten vorsichtigen Schluck von Love & Peace, und alles klingt nach einer groovigen Nacht mit Musik und Mädchen. Bis in einem Nebenzimmer vermeintlich geschossen wird. Sofort stürmt die Polizei das Gebäude, tötet den vermutlichen Schützen, und beginnt mit einem “Verhör“: Es wird gefoltert, es wird erniedrigt, und der leitende Officer kann seine kleine Existenz endlich einmal ganz groß machen: Krauss zeigt sich als wahrer Abkömmling der Herrenrasse, und kann den Niggern endlich mal zeigen wer in “seiner Stadt“ das Sagen hat. Und seine Kollegen machen munter mit, während die State Police mit Rassisten nichts zu tun haben möchte und wieder fortgeht …

Den Begriff “Fetzendamaturgie“ habe ich erst vor Kurzem gelernt: Wenn eine Geschichte nicht aus logischen Abfolgen besteht, also etwas passiert aufgrund einer vorhergehenden Szene, sondern wenn einzelne Episoden gezeigt werden, und der Zuschauer die Zusammenhänge selber entdecken muss. Das erste Drittel von DETROIT hat eine Fetzendramaturgie: Kathryn Bigelow montiert Spielfilm- und Dokumentarszenen zu einem Molotowcocktail an Stimmung und Emotion zusammen. Bildschnipsel rasen vorbei, verfolgen und überlagern sich, während die Stimmen aus dem Off immer schneller und hektischer werden. Es gibt keine Protagonisten, nur Chaos und Gewalt. Wie aus einem kleinen Anlass, nämlich einer Razzia, durch Hochschaukeln lange unterdrückte Gefühle nach oben kommen und irgendwann wie ein Vulkan ausbrechen, das sollte in Polizeischulen als exemplarisches Negativbeispiel gezeigt werden. Und auf Filmhochschulen als Exempel, wie man wertungsfrei schwierige Historie spannend erzählen kann.
Sobald die Dramatics ins Bild kommen verlässt DETROIT diese Mockumentary-Ebene und wird zum Spielfilm, ohne aber die Intensität zu verlieren. Im engen Algiers Motel konzentrieren sich die Gefühle des Jahres 1967: Soulmusik und Lust auf Leben und Freiheit auf der einen Seite, blindwütiger Hass, der schnell in Herrenmenschentum ausartet, auf der anderen Seite. In den engen Gängen und Zimmern des Hotels und der schwülen Atmosphäre der Sommernacht ist es unmöglich klare Gedanken zu fassen, jede Aktion ist aus der Hitze und der Lust auf Gewalt geboren, und jeder Schlag (und es gibt derer verdammt viele) ist ein klares Bekenntnis zur Vorherrschaft des weißen Mannes. Beobachter wie die Leute der State Police, die abrücken weil sie keinen Skandal brauchen, oder der schwarze Security-Mann Dismukes, der in seiner Machtlosigkeit verzweifelt versucht Menschenleben zu retten, diese Beobachter sind fassungslos angesichts der Vorgänge, und greifen doch nicht ein. Zu mächtig scheinen die weißen Männer, zu gewalttätig scheint ihr Vorgehen, dass ein Einschreiten zwangsläufig nur den eigenen Tod zur Folge hätte. Und weil Krauss und seine Kollegen unbedingt einen Täter für ihr eigenes Opfer benötigen, werden sie auch immer nervöser und unberechenbarer.

Nach den Ereignissen der Nacht kehrt langsam wieder Ruhe ein. Die Emotionen gehen wieder ein wenig zurück, die Polizei beginnt zu ermitteln (wenngleich teilweise auch in die falsche Richtung, immerhin sind einige der Beteiligten Schwarz – die müssen folglich schuldig sein), und es kommt zu einem Prozess. Leider wird hier die dichte Spannung der ersten zwei Drittel fallengelassen zugunsten eines zumindest interessanten Gerichtsdramas mit vorhersehbarem Ausgang, und die weitere Geschichte um den Sänger der Dramatics, Larry Reed, ist dann nicht mehr wirklich aufregend und hat einen Sozialtouch, der nur bedingt in den Kontext des Films passt. So interessant es sein mag das weitere Schicksal eines(!) Protagonisten von vielen zu verfolgen, aber der Druck wird aus der Geschichte herausgenommen ohne dass dies tatsächlich sinnvoll erscheint. Mit diesem Druck aus der Story (also dem Film) entlassen zu werden, das wäre ein intensives Erlebnis geworden und hätte das Denken des Zuschauers wesentlich angeregt. So aber muss sich Bigelow vorwerfen lassen, den Zuschauer beruhigen zu wollen. Möglicherweise um ihn nicht auf falsche Gedanken zu bringen, oder ihn davon abzubringen sich gar eigene Gedanken zu machen.
Trotzdem: Die ersten zwei Drittel, mein lieber Herr Gesangsverein, die haben es wirklich in sich. Die sind ungeheuer atemberaubend, und der Zuschauer wird durch eine sich zuspitzende (und wahre) Geschichte gejagt dass ihm Hören und Sehen vergeht. Wenn modernes Kino so geht, dann bitte mehr davon!

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