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Bevor sein furioses Kampfkunst-Epos „Tiger & Dragon“ 2001 auf der Oscarverleihung abräumte, drehte Regisseur Ang Lee hauptsächlich im asiatischen Raum. Mit wenigen Ausnahmen – so auch „Der Eissturm“. Basierend auf der Romanvorlage von Rick Moody drehte Ang Lee diese Parabel auf ein während der Watergate-Affäre verunsichertes und scheinheiliges Amerika. Weitgehend nüchtern und tief schürfend verknüpft er die Themen sexuelles Erwachen während der Pubertät, Fremdgehen und Familie als „Antimaterie von einem selbst“ und „das Nichts, aus dem du kommst und der Ort, an den du zurückkehrst, wenn du stirbst“ (O-Ton aus der Intro).

Die Story dreht sich um Familie Hood, deren Tochter Wendy mit Nachbarssohn Mike Carver erste sexuelle Erfahrungen sammelt. Ben Hood – ihr Vater - hat ein Verhältnis mit Janey Carver – Mikes Mutter. Wendys Bruder Paul ist 16, geht auf ein Internat und hofft auf eine Nacht mit Libbels – einer reichen Göre aus New York. Das Konfliktpotenzial entlädt sich in einer Nacht, in der ein Eissturm tobt. Hinterher wird nichts mehr so sein wie vorher…

Das Stilmittel des Naturereignisses als reinigende und schicksalsträchtige Kraft ist mittlerweile etwas ausgelutscht (siehe u.a. „American Beauty“), doch hier versinnbildlicht der Eissturm perfekt die Gefühlskälte und Katerstimmung der Protagonisten. Die Analyse der auseinander brechenden Strukturen von Familie und Ehe schildert Ang Lee analytisch in kalten aber schönen Bildern – in dieser Hinsicht macht er „Eyes Wide Shut“ Konkurrenz. Dabei vermag er allerdings ungleich zu Kubricks Werk durchgehend zu unterhalten. Sowohl kleine Diebstähle, Fremdgehen als auch erste ungestüme sexuelle Erlebnisse werden schmerzlich intensiv vorgetragen und zeigen das Spiegelbild einer moralisch verfallenen, verunsicherten amerikanischen Gesellschaft in einer Zeit politischer Skandale. Auch glänzt „Der Eissturm“ mit heute futuristisch anmutendem 70er Jahre-Kolorit und einer grandiosen Ensemble-Leistung. Kevin Kline als fremd gehender Ehemann, Joan Allen als betrogene Ehefrau, Christina Ricci als ausgebufftes und dennoch liebebedürftig-kindliches Gör, Tobey Maguire als verliebter Biedermann und Elijah Wood als ungestümer und verunsicherter Schuljunge spielen sich allesamt die Seele aus dem Leib. Einzig Sigorney Weaver als gefühlskalte Fremdgeh-Mutter und Katie Holmes als reiche Tussi bleiben etwas blass.

Fazit: Eine hochanspruchsvolle und nüchtern-intensive Analyse der amerikanischen Gesellschaft mitte der 70er Jahre mit grandiosen Darstellern. Ein schmerzender aber beglückender Film, in dem das Fallen der Masken äußerst trist aber lebensklug vorgetragen wird. Das interpretationswürdige Finale ist an Bitterkeit kaum zu überbieten – Tristesse und etwas dröge wirkende Emotionslosigkeit sind das Einzige, was man dieser düster-kompromisslosen Filmperle vorwerfen könnte.

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