Mit dem Netflix-Original "Gerald's Game" ist "Occulus"-Regisseur Mike Flanagan etwas gelungen, das bisher kaum jemand geschafft hat: Aus einem eher schwächeren Roman Stephen Kings, der in seiner recht flachen Schaffensphase zu Beginn der 1990er Jahre entstanden ist, eine der gelungensten Verfilmungen zu machen!
Es beginnt schon bei der Auswahl der Darsteller - zwar würde man bei großen Namen für eine King-Verfilmung nicht gerade an Carla Gugino oder Bruce Greenwood denken, doch sind die beiden Hauptdarsteller, die weite Teile der Handlung ganz alleine tragen müssen, geradezu perfekt in Ihren Rollen.
Gugino bringt sowohl die naiv-unbedarfte Seite der unglückseligen Jessie gekonnt rüber als auch die selbstbewusste, toughe Überlebenskünstlerin, als welche sie sich entpuppt (oder entpuppen muss).
Bruce Grenwood, sonst eher als Sympathieträger besetzt (siehe "Star Trek" oder "Thirteen Days"), gibt hier den karrieregeilen, dominanten Alpha-Mann gekonnt selbstherrlich.
Da beide Darsteller weit weg vom wunderschönen Model-änlichen Typecast entfernt sind, wirkt dazu auch ihre körperliche Präsenz sehr beeindruckend (ob Personal-Trainer oder nicht, mittelalte Hollywood-Schauspieler haben körperlich nie besser ausgesehen) - immerhin müssen beide den Großteil des Filmes mit sehr wenig Kleidung verbringen).
Auch in den Nebenrollen ist es schauspielerisch eher glänzend als matt:
Henry Thomas als Jesses tragischer Vater mit einem stets schmuddeligen Charme und Carel Struyken als gruseliger Mörder, der alleine durch seine Präsenz beeindruckt.
Die einsame Atmosphäre, die Jesse in ihrem Dilemma unterstützt, wird gekonnt eingefangen durch Licht und Schatten und die wirklich paradiesische Location des Hauses am See.
Dem inneren und äußeren Überlebenskampf der an sich selbst zweifelnden Frau gibt das sehr viel Wasser auf die Mühlen und so hat der Zuschauer trotz der eher sparsam gewählten Handlungsorte und der geringen Anzahl an Darstellern knapp 103 spannende Minuten vor sich, die als Gesamtwerk sowohl gruselig als auch dramatisch sind.
Man wird hier an die aussichtslose Atmosphäre von Rob Reiners "Misery" erinnert, der in ähnlichen Bahnen sehr gut funktionierte.
Speziell die Farb-Dramaturgie beeindruckt und unterstützt das Gesamtwerk enorm und obwohl das Übernatürliche sowohl im Roman als auch im Film kaum vorkommt, ist "Gerald's Game" eine der gruseligsten King-Verfilmungen geworden, die ich kenne.
Ein echter Überraschungserfolg in der Geschichte der Netflix-Eigenproduktionen und wird dem Meister King eher gerecht als der zwar ziemlich erfolgreiche aber leider ziemlich seelenlose Sommerhit "Es".