„But I‘ve never been to me“
Ein Einzelgänger mit mysteriöser Backstory, der ein Kind aus einem Mädchenhändlerring befreit und sich dadurch unfreiwillig mit mächtigen Kreisen anlegt – es ist nicht die Geschichte, die hier fesselt, es ist ihre Erzählstimme. Wie Lynne Ramsay aus genrebekannten stereotypen Grundmotiven einen jederzeit sehenswerten Film gemacht hat, das brachte ihr im letzten Jahr den Drehbuchpreis von Cannes ein, auch wenn ein Regiepreis vielleicht sogar angemessener gewesen wäre.
In ökonomischer Erzählweise, mit viel Empathie für ihre Figuren (allen voran Joaquin Phoenix massigen Rächer, einem TAXI DRIVER im Mietwagen – Darstellerpreis in Cannes) und begleitet von einem hervorragenden elektronischen Soundtrack (von Radioheads Jonny Greenwood) erschafft sie neue Perspektiven auf ein eigentlich auserzähltes Genre, ähnlich wie dies zuletzt GOOD TIME gelang.
Die größte Stärke des Films ist vielleicht seine Verweigerung von Eindeutigkeit. So wird die genretypische Hintergrundgeschichte der Hauptfigur hier lediglich angedeutet und nie klar aufgelöst, die Gewalt bleibt ebenfalls zumeist offscreen, ohne dabei jedoch an Härte einzubüßen und eine absurd-rührende Sterbeszene lässt den Zuschauer ebenso irritiert wie verzückt zurück – das ist Kino zum Nachdenken und Miterleben.