Review

Rache ist ein Gericht, das am besten mit Bart serviert wird

Wie folgt man als Regisseurin einem unvergesslichen Werk wie "We Need To Talk About Kevin"? "You Were Never Really Here" (den neuen, generischen Titel mag ich nicht und vernachlässige ich) gibt die Antwort in herausragenden Ansätzen. Leider kommt der nihilistische Thriller über diese in meinem Herzen, zumindest beim ersten Sehen, nicht hinaus. Doch er ist voller Kraft und Sog, verleitet wie kaum ein zweiter Film diesen Winter zu einem zweiten Durchlauf. Die Geschichte ist intim, einfühlsam und extra hart. Es geht um einen Killer, der sich scheinbar selbst nicht mal im Spiegel ansehen kann und der plötzlich gegen einen hochrangigen Kinderschänderring, bewaffnet mit einem Hammer, in den Krieg zieht...

Vergleiche mit Klassikern und zu hohe Erwartungen helfen einem neuen Film nur äußerst selten. Doch da Ramsays Kopfstoß von Actiondrama sichtlich viel von großen Filmen aus der Vergangenheit in sich vereint, lässt sich das kaum vermeiden. Von "A History of Violence" bis "Oldboy" gehen da schnell die Lichter an. Doch ganz an deren Exzellenz kommt der unnachahmliche Joaquin Phoenix und sein hammerharter Feldzug nicht heran. Dafür habe ich zwei zu deftige Probleme mit diesem düsteren Brummer - seine generische Story und seinen Umgang mit Gewalt. Über Ersteres könnte ich hinwegsehen, da ein Rachethriller gut mit wenig auskommen kann und einige Motive kaum altern. Doch die Gewalt, on screen wohlgemerkt, fehlt mir. Die Atmosphäre ist ohne Frage bitterböse, die Themen heftig, die Folgen der Gewalt bohren sich tief - doch dass so gut wie alles Explizite im Off passiert, damit habe ich nicht gerechnet und muss ich mich noch anfreunden. Das scheint in Ramsays filmischer DNA zu liegen. Damit muss man wohl leben. Kann man, wenn ein Phoenix waldbrandartig wütet und ein Soundtrack pulsiert wie Berlin in der Nacht. Nur ich vermisse es in diesem Fall.

Fazit: minimalistisch, ruhig, effektiv - ich hatte mir bei den Vorschusslorbeeren zwar etwas mehr erhofft, ein neuer "Drive" oder gar "Taxi Driver" ist er nicht, doch die Geschichte um den lebensmüden Auftragskiller besitzt durchaus eine einnehmende innere (Un)Ruhe, eine pulsierende Finalität. Der dunkle Bruder von "Leon der Profi" vielleicht. Obwohl solche Vergleiche selten gut tun.

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