Was für ein Drama...
AMERICAN BEAUTY ist etwas mehr als nur ein "guter", "hervorragender" oder "genialer" Film. Er ist auch nicht "nur" ein Meisterwerk. Er ist vielmehr ein beispielloses Kunstwerk, weil er gleich mehrere Tabu-Themen gepaart mit selten hohem Unterhaltungswert in einem Mainstream-Soap-Opera-Umhang mit Substanz erfolgreich zu Markte getragen hat.
Seelenverwandt mit *Magnolia* von Paul Thomas Anderson, der auf den Tag genau 3 Monate später uraufgeführt wurde.
Auf Handlung, Darsteller und sonstigen filmischen Qualitäten wird an anderer Stelle ausreichend hingewiesen.
Beschäftigen wir uns einfach mal nur mit dem Titel:
AMERICAN BEAUTY - amerikanische Schönheit
"...sehen Sie genau hin!"
>>> Achtung: SPOILER <<<
Bei einer oberflächlichen Betrachtung bezieht sich dieser Titel auf das Begehren von Lester nach dem blutjungen, blonden Mädchen namens Angela; der Cheerleaderin im knappen Rock, der Schulfreundin seiner Tochter. Doch dient dieses Begierde nicht nur als fadenscheinig implizierter Beweggrund, um aus diesem Gefängnis von Pflichtbewusstsein und Heuchelei herauszutreten. - Nein?
Vielleicht nicht ganz. Der Lolita-Faktor ist in der Tat der Auslöser für die verheerenden Veränderungen in einem relativ begrenzten Umkreis (Nachbarschaft) verantwortlich, aber die Bedeutung dieses Elements an sich ist relativ gering; gleichzeitig aber doch nicht ganz unwichtig. Es gibt eine Beziehung zu - Rot.
Rot? - Ja, Rot! -- Lassen wir das einfach mal so stehen.
An dieser Stelle sollte man vielleicht schon mal auf den kleinen, aber feinen Untertitel auf dem Cover von AMERICAN BEAUTY hinweisen: "...sehen Sie genau hin!" steht dort in zarten Lettern geschrieben.
Man kann es lesen, wenn sich der Blick von dem abgebildeten Bauchnabel entreißen lässt.
Etwas tiefgründiger betrachtet, und das zeigt der Film auch sehr deutlich, könnte sich der Titel AMERICAN BEAUTY auf die gesellschaftlichen Prioritäten beziehen; hier natürlich primär auf die amerikanische Gesellschaft zugeschnitten.
Er lässt sich auf die materiellen und scheinbaren Dinge projizieren, wie z.B. auf gepflegte weißumzäunte Vorgärten mit sattgrünem Rasen und blühenden Zierpflanzen, mahagonifarbene Ziermöbel im Old-English-Style, Sofas bezogen mit italienischer Seide sowie auf moderne silberfarbene SuV's europäischer Herkunft (vorzugsweise "Möhrsiedess-Benns").
Status-Symbole, die dem Nachbarn zeigen sollen:
"Wir sind wer! - Wir haben Erfolg! - Wir haben es geschafft!"
Symbolisch verdeutlicht wird dies auch in der Anfangsszene, als die Kamera aus der Luft die geordnete Geometrie eines typischen amerikanischen Wohnviertels zeigt, mit schnurgeraden Straßen und quadratisch angeordneten Straßenblocks, auf denen ordentlich herausgeputzt bildhübsche "Holzbaracken" im Kolonialstil stehen.
AMERICAN BEAUTY - amerikanische Schönheit. - Aber eben auch alles nur Fassade.
Typisch (für) Amerika.
"...sehen Sie genau hin!"
Ebenso spiegelt es sich an besagtem Mobiliar wieder, z.B. das klinisch weiße Zimmer von Ricky mit seiner symmetrisch sortierten Videosammlung. Oder als er Jane mit zu sich nach Hause bringt und seine stets wie eine lebende Marionette wirkende Mutter erwähnt "wie unaufgeräumt es doch ist". Woraufhin die Kamera durch einen nüchtern eingerichteten Raum mit akkurat aufgeräumten Politur-Möbeln streift.
Oder der schlichte weiße Teller, auf dessen Rückseite ein ebenso schlichtes Hitler-Kreuz den wahren "Wert" demonstriert; eine Trophäe von Ricky's Vater, verschlossen in einer Vitrine. Das Berühren wird mit Prügel bestraft.
Es geht also vorrangig um Prestige, welches eben besonders (nicht überall!) in Amerika stark begründet ist:
The AMERICAN BEAUTY - die amerikanische Schön-heit -- bzw.: Anmut.
Oder freier übersetzt: Schönwetter-Lifestyle - Eitel Sonnenschein - Verblendung - Show.
The American Way of Life.
All' dies sind die kleinen Elemente, auf die man achten muss, um den Titel des Films zu verstehen.
Oder besser gesagt: wie man ihn verstehen könnte.
Kommen wir zu Rot.
Objektiv betrachtet ist AMERICAN BEAUTY höchstselbst die heimliche Hauptdarstellerin in diesem Film: nämlich die rote Rose. Nicht mehr, aber beileibe auch nicht weniger. Denn genau genommen hört diese Rose auf den Namen AMERICAN BEAUTY (bei uns bekannt als "Madame Ferdinand Jamin") und ist zugleich eine Metapher für den thematischen Inhalt des Films.
Nicht nur zufällig ziehen sich die roten Rosen wie ein "roter Faden" durch die gesamte Handlung.
Aber sie symbolisieren nicht nur banale Eleganz.
Floristisch gesehen ist die AMERICAN BEAUTY eine so genannte "Remontant"-Rosensorte. Und genau an diesem Punkt wird es interessant: "Remontant" ist die französische Bezeichnung für "später in der Saison noch einmal blühend" und bezieht sich damit wohl sehr bewusst auf das Verhalten von Lester sowie dessen Frau Carolyn.
Weiter heißt es: "Remontant-Rosen sind das Bindeglied zwischen den alten und modernen Rosen, [...]" und ist demnach in Bezug auf das Verhältnis zwischen Lester und Angela anwendbar.
Zufall? - "...sehen Sie genau hin!" > Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/American_Beauty_(Rose)
Überall sind diese Rosen vorder-, oft aber auch hintergründig präsent: natürlich im Vorgarten und in Lester's Visionen; des weiteren aber auch in Vasen, auf Bildern und sogar auf dem Strickpullover von Jane.
Die Rose an sich hat noch weitere Bedeutungen als nur das Symbol der Liebe, Freude und Jugendfrische zu sein. In der germanischen Antike wurde die Rose auch mit Schmerzen ("Keine Rose ohne Dornen") sowie mit Vergänglichkeit und Tod verbunden; wie es im Film ebenfalls thematisiert wird.
Zufall? - "...sehen Sie genau hin!" > http://de.wikipedia.org/wiki/Rosen unter "Mythologie und Symbolik"
Mitunter zeigt sich die AMERICAN BEAUTY auch nur als Farbton. Ob nun als rotlackierte Haustür der Burnham's, der rotlackierte Pontiac Firebird von Lester... oder das Blut.
Für diejenigen, die jetzt noch immer nicht "Rot sehen":
Etymologie:
Die Farbe Rot erhielt in der Entwicklung der meisten Sprachen sehr früh ein eigenes Wort, gleich nach der sprachlichen Unterscheidung von „Hell" und „Dunkel".