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Sobald Guillermo del Toro den Märchenonkel spielt, wird er von Feuilleton, Awards-Jurys usw. immer in den höchsten Tönen gelobt, während auf seine eindeutiger dem Genre verhafteten Filme gerne mehr eingedroschen wird (man denke an „Pacific Rim“ oder „Crimson Peak“). Das soll die Freude über seinen gelungenen „Shape of Water“ nicht mindern, zeigt aber eine überkommen Unterscheidung von „gehobenem“ Kino und dem „niederem“ Genrefilm zieht, noch während del Toro und ähnlich gesinnte Filmemacher sich dagegen sperren.
Denn „Shape of Water“ ist ein Liebeserklärung an klassische Genrefilme, an groß budgetierte Hollywood-Musicals ebenso wie an Creature Features der B-Klasse, die unheimlich verspielt mit einem Hauch von Jean-Pierre Jeunet daherkommt („Shape of Water“ wurde nicht umsonst oft mit „Die fabelhafte Welt der Amelie“ verglichen). Schon die musikalische Untermalung des charmanten Auftakts lässt diese Erinnerungen aufkommen, wenn eine Kamerafahrt durch ein Unterwasserreich in einer Wohnung endet, aus der schlussendlich das Wasser entweicht und man der Protagonistin Elisa Esposito (Sally Hawkins) beim Aufstehen zusieht.
Die stumme Elisa folgt strengen Routinen, vom morgendlichen Kochen eines Eis bis hin zur Masturbation in der Badewanne. Doch dieses Gefangensein im Immergleichen gilt auch für ihre Außenseiterfreunde: Ihr schwuler Nachbar Giles (Richard Jenkins), ein erfolgloser Graphiker, versucht immer wieder seine Arbeit an den Mann zu bringen, während er täglich aufs Neue versucht mit der Thekenkraft eines Diners ins Gespräch kommt und dabei stets den gleichen ungenießbaren Limonenkuchen kauft. Elisas Kollegin Zelda Fuller (Octavia Spencer) hält ihr jeden Tag den Platz in der Schlange vor der Stechuhr frei und erzählt immer wieder ähnliche Geschichten von ihrer Ehe, die eher auf Gewöhnung als großer Zuneigung zu basieren scheint. Auch alles andere scheint nach Routinen zu funktionieren, auch wenn man es weniger deutlich sieht: Der Tagesablauf im Labor, in dem Elisa und Zelda wischen, das Familienleben des Sicherheitschefs Richard Strickland (Michael Shannon), selbst die Treffen eines eingeschleusten russischen Spions mit seinen Hintermännern scheinen eingeübte Rituale zu sein, über die keiner mehr nachdenkt.

Für einen Bruch mit dem Gewohnten, zumindest für Elisa, sorgt die Ankunft eines Amphibienmannes (Doug Jones), den die Wissenschaftler im Labor untersuchen wollen, da sie sich Vorteile für den Raumfahrtwettlauf mit den Russen erhoffen. Elisa näher sich der Kreatur jedoch heimlich an, bringt ihr Eier mit, lehrt sie Zeichensprache und formt eine emotionale Bindung…
Für del Toro ist „Shape of Water“ in mehrerlei Hinsicht ein Triumphzug. Zum einen natürlich der Siegeszug bei Kritikern, Publikum und Award-Jurys, zum anderen, dass er mal wieder dafür geehrt wird einen eigensinnigen, verspielten Film gedreht zu haben, der sich Konventionen verweigert und dem Kino in allen seinen Formen huldigt. Hinzu kommt die Tatsache, dass „Shape of Water“ mit wesentlich weniger Budget auskommen musste als der leider gefloppte „Crimson Peak“, was man Fantasy-Märchen aber kaum ansieht. Die durchkomponierten Einstellungen erwecken den Geist des oft knallbunten Hollywoodkinos der 1960er wieder – nicht umsonst laufen hier im TV Musicals und im Kino unter den Wohnungen von Elisa und Giles großformatige Historienfilme. Gleichzeitig ist „Shape of Water“ ein eher kleiner, intimer Film, der vor allem in geschlossenen, liebevoll ausgestatteten Innenräumen spielt. Zudem gönnt sich del Toro in einer Traumsequenz sogar mal einen Ausflug ins Musical – etwas, das man ihm vermutlich sonst nicht finanzieren würde, gilt er doch als Fantasy- und Horrorfilmer.
Auch der Schauspielstil orientiert sich an jener Ära, in der die Gesten oft noch etwas grandioser und überbetonter als heutzutage waren, wo vor allem Zurückgenommenheit als Naturalismus wahrgenommen wird. Dieses etwas expressivere Schauspiel kommt vor allem Sally Hawkins zugute, die nicht nur Mut in der Darstellung ihrer Figur beweist (Nacktheit, Masturbationsszenen), sondern dadurch sein eindringlich spielen kann, selbst wenn sie das schauspielerische Mittel der Stimme nicht nutzen kann. Sie dominiert den Film mit ihrer fantastischen Leistung, auch wenn Richard Jenkins und Michael Stuhlbarg sich ebenfalls hervorragend schlagen. Auch Octavia Spencer überzeugt, obwohl ihre Rolle manchmal ins Klischee der resoluten schwarzen Quasselstrippe abzurutschen droht, während in einer kleineren Rollen vor allem noch Nick Searchy als arroganter General punktet. Derjenige, der aber noch am ehesten an Sally Hawkins herankommt, ist Michael Shannon als bewusst überzeichneter, sadistischer Schurke, der eigentlich ein eitler Geck ist.

Gerade dadurch zeichnet sich der Antagonist des Films aus: Strickland ist ein selbstherrlicher Großkotz, der erwartet, dass die Welt ihm Untertan ist. Das kann ein Autoverkäufer gewinnbringend nutzen, wenn er ihm einen Cadillac als Statussymbol andreht, während jene darunter leiden, die gesellschaftliche Außenseiter sind: Die Untergebenen werden angeherrscht, Elisa sexuell belästigt, die Kreatur gleich mit dem Elektroschocker bearbeitet. Doch die ironische Note, die in dieser geckenhaften Darstellung mitschwingt, führt dazu, dass Strickland kein Wiedergänger von Captain Vidal aus dem artverwandten „Pans Labyrinth“ wird, sondern als eigenständige Figur erscheint. Der Humor schafft auch eine Brücke zwischen dem märchenhaften Ton des Films und seiner gesellschaftskritischen Botschaft.
Sicher ist es nichts Neues, dass es Schwarze, Schwule und Frauen zu Beginn der 1960er nicht leicht hatten, doch es lassen sich bei genauerem Hinsehen Brücken zu heutigen, immer noch nicht überwundenen Problemen schlagen. Dass weiße Männer wie Strickland sich immer noch selbstverständlich als Herren der Welt begreifen, dass man dem Andersartigen mit regelrechter Abscheu begegnet, nur weil man es nicht versteht. Dass sich Menschen in lieblosen Ehen wiederfinden, diese aber dennoch am Laufen halten, da es zum einen von ihnen erwartet wird, man sich zum anderen zu sehr daran gewöhnt hat. Am wichtigsten ist aber wohl die Aussage, dass Unrecht (wie das Quälen der Kreatur) erst dann verhindert werden kann, wenn mehrere Personen sich entscheiden nicht mehr wegzusehen und aktiv etwas dagegen zu tun (und tatsächlich habe manche der Retter in spe erst Skrupel einzugreifen). Das ist alles nichts Weltbewegendes, wird aber auch erfreulich nebenbei in dieser Außenseiterromanze gefeiert.
Wobei genau diese Außenseiterromanze einer der erzählerisch schwachen Punkte von „Shape of Water“ ist, beginnt sie doch zu schnell und zu einfach. Kaum haben sich Elisa und die Kreatur angenähert, soll das schon die große Liebe sein? Da hätte del Toro gern noch ein paar Szenen mehr drauf verwenden können, da es so ein wenig wie ein Konvention des verständnisvollen Monsterfilms ist (etabliert durch Werke wie das Vorbild „Creature from the Black Lagoon“, der das Design des Amphibienmannes hier und in del Toros „Hellboy“-Filmen inspiriert). Zudem ist leider manche Szene etwas plump. *SPOILER* Etwa wenn Giles sich erst weigert bei der Befreiung mitzuhelfen, aber just an dem Tag erst seinen Vertrag verliert, danach noch eine Abfuhr von der Bedienung bekommt, die er so anhimmelt. Dies wird sogar noch plumper dadurch verstärkt, dass der Verkäufer nicht nur von Giles‘ Annäherungsversuch angeekelt ist, sondern direkt darauf auch noch ein hereinkommendes, schwarzes Paar rundmachen muss, damit auch jeder im Publikum kapiert, dass das ein schlechter Typ ist. Dass dies dann seinen Sinneswandel in Sachen Hilfe bewerkstelligt, wirkt etwas sehr übers Knie gebrochen. *SPOILER ENDE*

Aber trotz dieser kleinen Detailfehler und der eher einfachen, manchmal etwas vorhersehbaren Geschichte ist „Shape of Water“ ein bezaubernder, toll ausgestatteter und detailreich inszenierter Märchenfilm der etwas anderen Art zum Drinversinken. Famos gespielt, vor allem von Sally Hawkins, mit einem Augenzwinkern und einer nicht zu aufdringlichen Botschaft zitiert sich „Shape of Water“ freudig durch die Filmgeschichte, egal ob Musical oder B-Movie. Ein echter del Toro eben. 7,5 Punkte.

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