„Da haben wir wieder etwas über unser Gehirn gelernt!“
1990 erschien der Dokumentarfilm „Leben – BRD“ des Regisseurs Harun Farocki, der 32 Sequenzen unkommentiert aneinanderreihte, in denen etwas simuliert wurde: Auszüge aus Übungen, Proben und Rollenspielen. Eine Art Fortsetzung folgte im Jahre 2016 mit dem Kompilationsfilm „Leben – Gebrauchsanleitung“, gefilmt und zusammengestellt von Debütant Ralf Buecheler („Elternschule“) und dem erfahreneren Jörg Adolph („On/Off the record“), koproduziert von der megaherz GmbH, dem SWR und dem BR.
„Ja, man muss auch ein bisschen an sich arbeiten im Leben!“
Buecheler und Adolph klapperten gleich 62 Stationen innerhalb Deutschlands ab, in denen ausgebildet, trainiert, vorbereitet, erlernt, geübt, fortgebildet, selbstoptimiert, getestet, therapiert, gespielt und geschult wird. Allen gemein ist, dass das reale Leben, insbesondere mit seinen Unwägbarkeiten und vom durchschnittlichen Standard abweichenden Situationen, simuliert wird – sei es beim Geburtsvorbereitungskurs, mit dem der Film beginnt, bei der Ausbildung zur Hebamme, bei der Bundeswehr oder beim Probeliegen im Sarg, womit der Film endet. Dies soll jetzt aber keine Anspielung auf die mit militärischen Einsätzen einhergehende Gefahr für Leib und Leben sein, denn dazwischen liegen noch Kindergarten und Schule, diverse Therapien und der Rollator-Tanzkurs.
„Du hast jetzt Werkzeuge, mit denen Du arbeiten kannst.“
Buecheler und Adolph scheinen chronologisch montiert damit das ganze Leben abzudecken, das, so könnte man anhand dieser Bilderflut meinen, nicht mehr ist als eine permanentes Übung fürs und Vorbereitung aufs Leben. Es geht um Partnerschaft, um Gesundheit, um Arbeit und nicht zuletzt um sich selbst, das eigene Ego, auf der Suche nach einem Platz im Leben – oder dessen Trockenübungen. Ehrlich gesagt immer habe ich nicht immer sofort begriffen, worum es gerade überhaupt geht, schon gar nicht bei irgendwelchen Selbstfindungsseminaren oder „Business Coachings“. Manch Rollenspiel, das auf besonders herausfordernde Situationen in bestimmten Berufen vorbereiten soll, war allerdings derart gut gespielt, dass ich zumindest anfänglich irritiert war und mich fragte, wie das nun in den Film passt.
Diese Verwirrung resultiert auch aus der Motivwahl, denn fröhlich montiert „Leben – Gebrauchsanleitung“ fragwürdige Selbstoptimierungskurse an unbedingt sinnvolle berufliche Lehrgänge oder für die geistige Gesundheit wertvolle Therapien, unterbrochen von eingestreuten Bildern (nicht minder sinnvoller) maschineller Materialbelastungstests, die – ungewollt? – Assoziationen zum Maschinenmenschen wecken. Buechelers und Adolphs Intention wird es nicht gewesen sein, all das in seiner vermeintlichen Absurdität vorzuführen, wenngleich möglicherweise die Gefahr besteht, dass es von Teilen des Publikums so aufgefasst wird. Dies lässt mich diese Mischung etwas kritisch sehen, denn lebenslanges Lernen ist grundsätzlich zu begrüßen und hat nicht zwingend etwas mit krampfhaft ehrgeiziger Selbstoptimierung zur Steigerung des eigenen Marktwerts innerhalb einer kapitalistischen Ordnung zu tun, an der diese Gesellschaft in vielen Bereichen krankt. Und Kurse oder Therapien, die helfen, im Elternhaus, Freundes-/Bekanntenkreis oder Beruf falsch antrainierte, ungesunde Verhaltensmuster abzulegen, mögen für Außenstehende mitunter unfreiwillig komisch erscheinen, dürften sich jedoch positiv auf besagte Gesellschaft auswirken.
Vielleicht hilft dieser Film aber, darüber zu sinnieren, wo die Übergänge fließend sind. Welcher Kurs wäre bei etwas Eigeninitiative verzichtbar, wann sollte man besser seinen eigenen Verstand trainieren respektive nutzen oder selbstbewusst eigenen Gefühlen vertrauen? Die Antworten muss jeder für sich selbst finden, denn „Leben – Gebrauchsanleitung“ ist konsequent eine Dokumentation der reinen Lehre und verzichtet auf jegliche Hilfestellung. Zugleich ist er eine Hommage an Farockis „Leben – BRD“, was u.a. daran deutlich wird, dass seine Macher die gleiche Neuköllner Hebammenausbildung aufsuchen und einen Scenotest aufgreifen. Von wo genau die einzelnen Sequenzen stammen, verrät erst der Abspann. Als bunte Collage funktioniert „Leben – Gebrauchsanleitung“ auf seine eigene, voyeuristische Weise und trägt dazu bei, sich bewusst zu machen, welchen Anteil das Gezeigte und Artverwandtes eigentlich an unserem Leben haben. „Fehlen ja nur noch Menstruationsgruppe und Selbstbefriedigungskurs!“, mag ein Sarkast anmerken.