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Und er tanzt den Baby-Boogie. Im Hintergrund wird gerade ein intergalaktischer Kraken auf einer Hi-Tech-Plattform bekämpft, die aus einem futuristischen Jump'n'Run-Computerspiel stammen könnte, doch all das tangiert ihn nicht. Seine ganze Welt ist in diesem Moment ein ausrangierter Walkman, aus dessen Kopfhörern altmodische Erdenmusik ertönt. Zum Helfen ist er ohnehin zu klein, warum also nicht tanzen? Tentakel klatschen Zentimenter von ihm entfernt auf den Glasboden, tief im hinteren Teil des Bildes, außerhalb des Kamerafokus, wölbt sich unscharf ein wütender rosa Klumpen, während die Guardians ihn wie lästige Fliegen mit Jetpacks umkreisen und mit albernen Laserstrahlen beschießen. Hin und wieder übertritt einer seiner Freunde die Grenzen in seine Mikro-Welt; meist durch Hineinschleudern. Elterliche Fürsorge spricht aus ihrem Blick, als sie sich wieder aufrappeln und ihr Blick auf den Schützling fällt, ein wenig Strenge auch. Baby Groot ist sich seines achtlosen Verhaltens bewusst, erstarrt in der Pose wie jemand, der auf frischer Tat ertappt wurde. Doch sobald der Kraken die Erwachsenen wieder in die Konversation einbezieht, darf der Tanz weitergehen.

Wer aufgrund dieser Eröffnungssequenz in erster Linie böseste kommerzielle Absichten des Marvel-Konzerns sieht („kauft den tanzenden Baby Groot!“), mag damit zwar Recht haben; ihm entgeht aber zugleich das beste erzählerische Stilmittel, das James Gunn aufzufahren weiß. Rückblickend war es eine herausragende Entscheidung, Groot für das Finale des ersten Teils zu opfern und ihn als zartes Pflänzchen im Aufbau wiederkehren zu lassen, denn es hilft im Sequel-Prozess bei der Verhinderung von Statik, es schafft eine spür- und vor allem sichtbare Weiterentwicklung – und wie eine der insgesamt vier (!) Hidden Scenes verrät, auch über den zweiten Teil hinaus. Man sollte nun meinen, als kleiner Setzling kann Groot wenig bis nichts zur Mission der Guardians aktiv beitragen, was von einigen Ausnahmen abgesehen auch der Wahrheit entspricht. Doch Gunn macht etwas viel Wertvolleres mit ihm: Er schafft eine First-Class-Beobachterperspektive, die es dem Publikum einerseits möglich macht, das knallbunte Weltraumspektakel samt seiner lustvoll berstenden Sammlung aus Raumschiffen, leuchtenden Kulissen, Planeten und anderen Energiegebilden aus der allerbesten Perspektive zu genießen; andererseits schafft es eine angenehme Distanz zum Geschehen, die es möglich macht, dieses „Vol. 2“ nicht allzu unmittelbar goutieren müssen und darüber die Orientierung zu verlieren (wie es manchem vielleicht mit dem ähnlich bunten „Doctor Strange“ ergangen sein könnte), sondern sich der Story wie über die Brücke eines charismatischen Mediums hinweg zu nähern; als würde man sie in einem Groschenroman nachlesen und dabei die Druckerfarbe der Seiten riechen.

Neben der visuellen Komponente hat der Soundtrack für den Erfolg des Vorgängers eine große Rolle gespielt, er war vielleicht sogar entscheidend für die Wahrnehmung, „Guardians of the Galaxy“ sei der „etwas andere Marvel-Film“. Er brach die Gleichförmigkeit mit geballter Blue-Swede-Power auf und bediente gleichzeitig die hohe Nachfrage nach Vintage und Retro. Erfreulicherweise wird „Hooked On A Feeling“ nicht mehr wiederverwertet (abgesehen von einigen Einsätzen in Teasern). Das mag zwar bedeuten, dass die Jukebox trotz großer Namen wie Cat Stevens, Fleetwood Mac, Electric Light Orchestra oder George Harrison nicht mehr den selben Knalleffekt erzeugt wie vor zwei Jahren, aber immerhin gibt es keinen Stillstand und der Faktor Postmoderne schlägt nicht ganz so penetrant zu wie man das hätte erwarten können.

Der Zwang einer jeden Fortsetzung, das Original überbieten zu müssen, macht sich natürlich trotzdem bemerkbar. Alles muss noch bunter, größer, spektakulärer und witziger sein, was sich nicht zuletzt an der aufgeblähten Laufzeit ablesen lässt, die regelrecht vollgestopft ist mit irrwitziger SciFi-Opera-Action, gegen die Disneys neue Star-Wars-Filme mit ihren kargen Wüsten fast schon anmuten wie ein Remake von Gus Van Sants „Gerry“. Speziell in Sachen Humor wird noch einmal mächtig auf die Tube gedrückt und der Bogen je nach Geschmack vielleicht auch mal überspannt. So absolviert Stan Lee seinen bisher verrücktesten Cameo, über David Hasselhoff könnte man das Gleiche behaupten, intergalaktische Waffen, so lehrt uns Rocket, haben das Potenzial zur intergalaktischen Belustigung und ein Warp-Sprung endet in einem deutlichen Zugeständnis an die Comic-Herkunft der Serie (und vielleicht auch einer kleinen Hommage an „Total Recall“). Darüber hinaus: Dave Bautistas offenes, herzhaftes Lachen in Verbindung mit seiner hünenhaften Statur ist im ersten Teil sehr gut angekommen, also hat man die entsprechenden Szenen für die Fortsetzung deutlich ausgebaut und auch im Trailer schon zelebriert. Bautista ist es zu verdanken, dass sie trotz ihrer Überbetonung fast immer funktionieren. Wenn er den Mund aufmacht und bellende, laute Geräusche daraus entweichen, während er sich in fast schon stummfilmartig klassischer Geste die Hände auf den Magen hält, hat das einfach nur eine ansteckende Wirkung. Abgesehen von ihm und Groot hat außerdem Rocket wieder diverse Momente zynischer Frische mit gefühlvollem Abgang. Auch hier wird eine Masche im Grunde wieder tot geritten, doch an dieser mimisch komplexen Rechnerfigur und ihren bedeutungsvollen Gesichtsverrenkungen, die elegant zwischen tierischer und menschlicher Emotion wechseln, mag man sich einfach nicht satt sehen. Ein wenig aus dem Rampenlicht wird hingegen Chris Pratt als Peter Quill gedrängt, gerade in Bezug auf seine Beziehung zu Gamora, welche zwar mit Blick auf die Regeln einer Franchise lustvoll analysiert wird, die aber (noch) keine höheren Wellen schlägt. Die Hauptrolle hat er dennoch weiterhin inne, da sich der Plot von „Vol. 2“ intensiv mit seinen irdischen und kosmischen Ursprüngen auseinandersetzt. Das mündet in einen konventionellen Plot um ein gottähnliches Wesen mit all seinen typischen Weltzerstörungsbedürfnissen, typisches Marvel-Zeugs eben, dessen Simplizität und Durchschaubarkeit vermutlich zu den schwächsten Elementen dieser Fortsetzung gehört. Kurt Russell bringt als Neuzugang eben die gewohnte Portion Russell mit ein (was absolut angemessen ist, da er einen Charakter namens „Ego“ spielt) und Michael Rooker, der schon im Original ein Highlight war, sieht man einfach unheimlich gerne dabei zu, wie er zwischen den Seiten pendelt – denn die Grau- (oder in diesem Fall Blau-) Zonen sind doch letztlich immer die interessantesten.

Sogar den Abspann muss man noch einmal herausheben, da er nicht nur endlos viele After-Credits-Szenen in sich birgt*, sondern mit vielen kleinen Details fast genauso prächtig unterhält wie der Hauptfilm - zumal man die vielen Gags darin nicht auf dem Silbertablett serviert bekommt, sondern sie sich selbst durch erhöhte Aufmerksamkeit erschließen muss.

Das Auge erlebt letztlich eine totale Reizüberflutung, die man als solche aber gar nicht wahrnimmt – es ist die größte Leistung dieses Films, dass er so nachvollziehbar, flüssig und emotional erzählt, obwohl ständig irgendwo etwas leuchtet oder kollidiert. Optisch wird ein Konglomerat jedweder Art von Science Fiction und Fantasy geboten, die in den letzten Jahren Rang und Namen hatte – von „Star Wars“ zu „Star Trek“, vom „Hobbit“ zu „World of Warcraft“, von „Marvel“ zu „DC“. Aber die „Guardians“ haben es irgendwie raus, sich so selbstbewusst durch den Effekte-Overkill zu bewegen, dass die Charaktere in der Erinnerung als Hauptbezug zurückbleiben. Sicher kann man nun mäkeln, dass dies oder jenes viel erzwungener wirkt als im ersten Teil, aber um mal etwas weniger kleinlich zu sein: „Vol. 2“ ist ein verdammter Riesenspaß.
(7.5/10)

*(welch anmutiges Schauspiel, wie der prall gefüllte Kinosaal zunächst domestiziert durch viele andere Marvel-Filme sitzen bleibt und nach der ersten Szene doch langsam beginnt, sich aufzulösen, um dann irritierend festzustellen, dass noch eine Szene folgt... und noch eine... und noch eine)

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