Hochsicherheitsgefängnis von Alcatraz: Frank Morris (Clint Eastwood) hat - über Monate hinweg - mit primitivstem Werkzeug ein Loch durch den bröckelig-weichen Putz in seiner Zelle gekratzt; gerade groß genug ist es nun, dass er sich hindurchzwängen könnte. Während er die patrouillierende Wache mit einem speziell präparierten, in seinem Bett liegenden Kopf verlädt, tut er dies eines Nachts auch - will herausfinden, ob für ihn eine Möglichkeit der Flucht besteht.
Hin- und herpendelnd zwischen den zwei Perspektiven sieht man einerseits Morris dabei zu, wie er das Gefängnis erkundet, andererseits auch dem argwöhnischen Gefängnispersonal, wie es Verdacht zu schöpfen beginnt. Die unterschwellige Gefahr sowie das Publikum immer wieder im Dunkeln tappen zu lassen, sind hier die zentralen und gekonnt angewandten Mittel zum Spannungsaufbau - wie in dieser Szene sehr schön, exemplarisch vorgeführt: Unerwartet bleibt der Aufseher plötzlich vor Morris‘ Zelle stehen, tätschelt ruppig mit dem Schlagstock seinen Kopf und - wider Erwarten - rührt sich dieser, denn nur Publikum wurde verschwiegen, dass Morris längst wieder in seinem Bett liegt: ein meisterlich evozierter Überraschungsmoment.
„Flucht von Alcatraz" ist primär darauf bedacht, den titelgebenden Ausbruch so riskant, zupackend und schweißtreibend wie eben möglich in Szene zu setzen. Deswegen werden indes die Bemühungen, in die Tiefe zu gehen, auf ein Minimum hinuntergefahren und sich statt um eine differenzierte Charakterzeichnung, vielmehr um eine lineare, gradlinige Storyline bemüht. So erfährt man zum Beispiel selbst von den wichtigsten Figuren bis zuletzt kaum etwas; nicht einmal über den von Clint Eastwood tadellos verkörperten Frank Morris weiß man - abgesehen davon, dass dies nicht seine erste Flucht ist - gänzlich wenig. Lediglich der Freundschaft zwischen ihm und English, die für Siegel aber auch als eine Art dramaturgische Klammer der Geschehnisse fungiert, ist etwas mehr Spielraum vergönnt.
Im Sinne einer ganz und gar auf Effizienz getrimmten Narration arbeitet beinahe jede Szene, jede Bewegung und jede Einstellung auf die nächste Zuspitzung der Geschichte hin; selbst zu Beginn, als Morris gerade erst nach Alcatraz verlegt wurde, hat Siegel die Flucht schon fest im Visier: So sind die sparsam eingestreuten und nur allzu knappen Dialoge der Suggestion der Gefahr von Morris‘ Unterfangen dienlich und stecken vor allem den Bereich ab, in dem sich die Handlung im weiteren Verlauf bewegen wird.
Über die minimalistische Konzipierung hinaus beweist Siegel außerdem eine sichere Hand und ein gutes Gespür, lässt keinerlei Zweifel an seiner Fähigkeit als Regisseur aufkommen: Beispielsweise wenn er auf ausschweifende Charakterzeichnungen verzichtet und stattdessen alle Last auf Eastwoods charismatisches Spiel verlagert - das macht sich bezahlt. Oder wenn er jegliche Art von Effekthascherei negiert und sich im Gegenzug ganz auf die karge und nüchterne, ja fast dokumentarisch anmutende Inszenierung konzentriert und seinem Film so einen authentischen Anstrich verleiht - auch dies korrespondiert sehr schön mit Skript.
All das fügt sich schlussendlich zu einem vollends stimmigen, kurzweiligen Thriller zusammen, dem im Grunde aber eine inhärente Schwäche innewohnt: Der Wille zur Gradlinigkeit geht bisweilen mit einer sich einschleichenden Berechenbarkeit und Wendungsarmut einher; der Klassiker-Status sowie die Eignung fürs mehrmalige Sehen sei „Flucht von Alcatraz" also nicht zwingend attestiert.
Diese Bildfolge endet dann, wie es sich für einen guten Film gehört: sehr offen. Es bleibt unserer Phantasie überlassen, ob Morris und die anderen beiden Ausbrecher es fertig bringen, das Land lebendig zu erreichen.