Offengestanden waren mir die spanischen Horror-B-Movies mit Paul Naschy vorher kein wirklicher Begriff. Sicher, Titel wie "Blutmesse für den Teufel" oder "Panic Beats" fliegen einem schon mal zu, aber abgesehen von dem sehr mäßigen "School Killer" (2001) hatte ich noch keinen Film von oder mit Paul Naschy alias Jacinto Molina gesehen. Das wird sich ab jetzt ändern, denn "Die Stunde der grausamen Leichen" wie der reißerisch-trashige (und vor allem völlig unpassende) deutsche Titel eines seiner bekanntesten Filme, der durch eine wunderschöne DVD-Veröffentlichung des Liebhaber-Labels Anolis jetzt wieder der breiten Masse an Genre-Freunden zugänglich gemacht worden ist, hat mich vollauf begeistert.
Dem durch einen Buckel verunstalteten Gotho (Naschy) wird das Leben in jeder nur erdenklichen Weise zur Hölle gemacht. Sowohl die gehässigen Kinderfratzen, die Erwachsenen, ja selbst die Ärzte des kleinen idyllischen Städtchens Feldkirch ziehen über ihn her und verspotten ihn obwohl jeder, der ihn näher kennt weiß, das er ein durchaus liebenswerter und friedlicher Mensch ist, wenn auch etwas zurückgeblieben. Als einer der Spötter in volltrunkenem Zustand ein Foto seiner Verlobten Ilsa verliert verliebt sich Gotho augenblicklich in das zarte Geschöpf und nach dem plötzlichen Tod des Säufers (der nicht wirklich erklärt wird, aber sei’s drum) sucht er seine Angebetete täglich an ihrem Krankenbett auf und weilt bei ihr voller Demut und liebevoller Sorge. Der plötzliche Tod der Geliebten, die für ihn zum ersten Mal echtes Glück bedeutete und ihm Zuneigung entgegenbrachte bringt den sensiblen Gotho fast um den Verstand. Als einzige Hoffnung erscheinen die Experimente des skrupellosen Dr. Orla, welcher fest davon überzeugt ist, künstliches Leben erschaffen zu können. Und natürlich verspricht dieser Gotho eine "neue Ilsa". Doch einiges läuft schief und infolge des Vertrauensbruchs und dem Verlust von Ilsas Leiche verliert Gotho seine Beherrschung...
Zweifellos, der Film ist grenzenlos naiv. Doch er ist das mit einer solchen Beharrlichkeit und solchem Ehrgeiz, das man einfach nicht anders kann als den Geschehnissen hingerissen zu folgen. Hier gibt es einfach alles: Eine große, romantische Liebe, modrige Gewölbe mit quiekenden Ratten, einen verrückten Frankenstein-Verschnitt mit einem lustig blubbernden, lebenden Glupsch im Glas, der später schreit wie ein Affe und mit Jungfrauen gefüttert werden will, tolle Kulissen, die primitiven Dörfler mit Maßkrug und prolligem Gehabe die auch schon mal ein Wetttrinken veranstalten und- das wichtigste in diesem Fall- einen tragischen Antihelden. Auch wenn "Die Stunde grausamen Leichen" noch so kitschig und trashig sein mag, die rührenden Liebesszenen zwischen dem in völliger Anbetung zerfließenden Gotho und der sterbenskranken und matt lächelnden Ilsa sind ein Genuss und trotzdem kommt eine stimmungsvolle Gothic-Horror-Atmosphäre auf (auch wenn der Film offenbar in der Gegenwart spielt) und es gibt alles, was man als Fan an solchen Filmen schätzt, ja sogar einige für einen Streifen dieses Kalibers recht saftige Splatterszenen.
Auf jeden Fall wirft das Drehbuch (ebenfalls von Naschy) fröhlich mit Klischees um sich und trotzdem oder vielleicht gerade wegen dieser Unbekümmertheit, mit der dies geschieht ist das Ganze einfach nur ein Riesenspaß.
Besonders herausstechend ist neben den ganzen tollen Einfällen und Kulissen sowie der knalligen deutschen Synchro (damals waren die Übersetzer noch richtig erfinderisch!) vor allem aber die unvergleichliche Darstellung des Gotho durch Paul Naschy. Das er für diese Rolle sogar mit Preisen ausgezeichnet wurde, verwundert nicht im Geringsten. Alleine schon seine Körpersprache, die von Anfang an das rechte Bild des ungelenken und plumpen aber doch auch gutherzigen Buckligen vermittelt ist Gold wert doch erst in den Liebeszenen und in den temperamentvollen Auseinandersetzungen läuft er zu Hochform auf. Ergreifend und absolut hinreißend ist er in den romantischen und tragischen Momenten wie ein bemitleidenswertes Kind, das sich verlaufen hat (und bei der blonden Krankenschwester natürlich sofort Muttergefühle weckt), wutschnaubend und bestialisch rasend in den Kämpfen mit den tumben Helfern Dr. Orlas, die die Leiche seiner geliebte Ilsa in einem Säurebad entsorgt haben. Soviel Hin- und Aufgabe in einer Hauptrolle ist man von diesem Genre nicht gewohnt und meiner Meinung nach reiht sich Naschy schon alleine durch diesen Film in die Garde der ganz großen Genre-Akteure zusammen mit Vincent Price, Peter Cushing und Christopher Lee ein. Alleine schon wegen Naschy ist der Film äußerst sehenswert. Und deswegen werde ich mir die "Stunde" sicherlich auch noch einmal auf spanisch ansehen, um in den vollen Genuss von Naschy‘s Können zu kommen.
Auch die teilweise amüsante, aber auch oft sehr passende Musik (das melancholisch-romantische Hauptmotiv ist einfach perfekt), die Kamera und die übrigen Darsteller kann man nur loben und am Schluss des Filmes gehen Aguirre dann noch mal richtig die Gäule durch (Ich sag nur: Das "Geleé-Monster"!!!) und in diesem Sinne kann man getrost schließen:
"Die Stunde der grausamen Leichen" ist ein Meisterwerk. Naiv und unlogisch bis zum Abwinken aber trotzdem so hinreißend knallig, so ergreifend tragisch und romantisch, teilweise so zum Schreien komisch aber auch so stimmungsvoll und aufregend das man sich dieses herrliche Spektakel auf keinen Fall entgehen lassen sollte. Und man muss es einfach gesehen haben um es zu glauben, ein erhabenes Stück Gruselkino und ein liebenswert schundiger Schenkelklopfer. Den von mir immer mit Verwunderung beobachteten Kult um Paul Naschy kann ich jetzt bestens nachvollziehen. Lang lebe dieser Mann und lang leben die Leute von Anolis für ihre dem Film mehr als angemessene DVD!