Im Berlin der späten Achtziger Jahre kurz vor dem Mauerfall spielt der Agententhriller Atomic Blonde, dessen namensgebende Hauptdarstellerin Charlize Theron eine Art weiblichen Jason Bourne darstellt, der zwischen die undurchsichtigen Fronten der Geheimdienste gerät.
Gedreht nach einer Graphic Novel kann Atomic Blonde seine Herkunft und damit seinen dünnen bzw. ganz fehlenden Plot jedoch zu keiner Zeit verbergen - mir kam das Ganze wie ein müder Aufguß von Sin City vor, ohne dabei dessen Radikalität oder stellenweise Ikonenhaftigkeit auch nur im Entferntesten zu erreichen.
Was mit einem stylisch inszenierten Mord bei leichtem Schneefall beginnt, setzt sich zur Einführung der von Theron gespielten britischen Top-Agentin Lorraine Broughton mit ebenso eindrucksvoll blau- und grünstichigen Bildern aus deren Badewanne fort, um schließlich in die farblich hervorgehobenen Start-Credits des Films überzugehen. Keine Frage, optisch macht Atomic Blonde druchaus etwas her, innovativ ist das allerdings nicht. Der Soundtrack mit reichlich angespielten Achtziger-Jahre-Hits soll die Atmosphäre der geteilten Stadt in jener Zeit widerspiegeln: Nach einer Viertelstunde drischt sich Lorraine dann zu den Klängen von Major Tom (völlig losgelöst) in einem fahrenden Audi V8, und diese Silrichtung wird bis zum Filmende beibehalten.
Lorraine ist in Berlin auf der Spur eines Doppelagenten, da eine Liste mit westlichen Undercover-Agenten gestohlen wurde und die CIA bzw. ihr britischer Geheimdienst SIS deren Aufdeckung fürchten. Die Ausgangslage ist also ein recht undurchsichtiges Geflecht von Wissenden und Unwissenden, und das wars dann auch schon mit dem Plot. Lorraine prügelt sich fast zwei Stunden Stunden lang tarantinoesk durch den Film und hinterlässt dabei neben etlichen Toten noch viel mehr unbeantwortete Fragen. Angesichts der zugegeben sehr gekonnt inszenierten Bilder verliert man recht schnell den Faden und lässt sich zunächst gerne ablenken von irgendwelchen (Kampf-)Szenen, die offenbar zum Script gehören, die Story aber nicht wirklich weiterbringen. So etwas hat meines Wissens zuletzt in Blade Runner funktioniert, wo eine Flut von wohlinszenierten (damals jedoch wirklich innovativen) Bildern den Zuschauer derart erschlagen haben, daß er davon berauscht nur noch auf Details achtet und die Story vergisst. Bei Atomic Blonde, der in der jüngeren Vergangenheit spielt, funktioniert dies nicht (davon abgesehen hatte Blade Runner durchaus eine Story zu bieten).
Dazu kommt, daß man zu keinem Zeitpunkt mit der "ultracoolen" (?) Charlize Theron mitfiebern kann (sie hat in etwa die Ausstrahlung einer Dose Thunfisch) und auch die Figurenzeichnung der anderen Proponenten sich fast rein auf deren äußere Darstellung beschränkt. Am Ehesten scheint noch David Parcival (James McAvoy) über menschliche Züge zu verfügen, ansonsten gibt es fast nur Statisten. Dies gilt für die Geheimdienst-Vorgesetzten Kurzfeld (John Goodman) und Gray (Toby Jones) genauso wie für die schablonenhaften Russen oder Lorraines Gespielin Delphine (Sofia Boutella), denn Lorraine ist, anders als in der Buchvorlage, eine lesbische Heroine. Ausgehend von dem Axiom, daß ein Film, in dem (auch) Til Schweiger mitwirkt, niemals wirklich gut sein kann, zieht die reine Präsenz dieses Nicht-Schauspielers auch Atomic Blonde noch ein kleines Stück herunter, wenngleich man konzedieren muss, daß seine Rolle als Uhrmacher so verschwindend nebensächlich ausfällt, daß man sie durchaus übersehen kann.
Die im Film dargestellte Gewalt ist vollkommen überzogen und selbstzweckhaft, literweise spritzt das Filmblut graphisch unübersehbar durch die grünstichigen Bilder, verstehen muß man es wohl nicht immer: Zu den Klängen von Nenas 99 Luftballons wird einem Jugendlichen mit seinem eigenen Skateboard der Schädel von einem Russen eingeschlagen, während andere Jugendliche plus VoPos dabei teilnahmslos zuschauen. Das soll also Berlin kurz vor dem Mauerfall gewesen sein? Oberflächliche Erklärungsversuche dass es damals "hart zur Sache" ging genügen mir in diesem Fall nicht, ich hätte schon gerne gewusst, was da gespielt wurde. Und dies ist nicht die einzige Szene, die mir unverständlich blieb.
Nachdem zuvor zumindest ein angemessen flottes Tempo vorgelegt wurde, verharrt Atomic Blonde nach etwa zwei Dritteln des Films in einer ewig langen, offenbar in einem einzigen Take aufgenommenen Kampfszene auf der Treppe. Das Drehbuch scheint hier förmlich festzukleben: Lorraine, die sich da durch das Stiegenhaus prügelt und auch selbst genügend einstecken muß, geht zwar siegreich hervor, scheint danach aber entzaubert vom zuvor aufgebauten Image der unschlagbaren Killerin. Danach geht Atomic Blonde aber im normalen Tempo und den gewohnten Prügeleien weiter - dramaturgisch hätte diese Szene ans Ende des Films platziert gehört, quasi als eine Art Höhepunkt, aber "einfach so" zwischendurch scheint sie mir unüberlegt hineingeschnitten worden zu sein.
Auch das Ende des Films ist weder überraschend noch sonderlich neu: dramaturgisch fast schon ohne jede Spannung spritzen ein letztes Mal die Blutfontänen, dann ist es überstanden.
Keine wirklichen Helden, keinerlei Empathie mit den Darstellern, ein nebulöser Plot - für Atomic Blonde bleiben summa summarum nur die durchgestylten Bilder auf der Habenseite: 3 Punkte.