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Nachdem Edgar Wrights lange Arbeit an dem Superheldenfilm „Ant-Man“ durch kreative Differenzen zwischen ihm und Marvel jäh beendet wurde, suchte der genreaffine Regisseur nach neuem Stoff und nahm sich mit „Baby Driver“ des Heist- Gangsterfilms an.
Lag der Reiz seiner Cornetto-Trilogie darin normale Allerweltscharaktere in Genresituationen zu bringen, so steht „Baby Driver“ eher „Scott Pilgrim vs. the World“ näher, in dem eine eigene (Comic-)Welt mit eigenen Regeln existierte. Hier ist es nun die Genrewelt des Gangsterfilms, größtenteils bevölkert von Genrefiguren. Da gibt es den Planer, Doc (Kevin Spacey), der Teams für Raubüberfälle koordiniert. Da gibt es Leute fürs Grobe, die Doc zu Crews zusammenstellt, damit sie die Dinger drehen – Leute wie Buddy (Jon Hamm), Darling (Eiza González) und Griff (Jon Bernthal). Und da gibt es Baby (Ansel Elgort), die einzige Konstante in Docs Team, den Fluchtwagenfahrer. Und der ist natürlich einer der besten seines Faches, wie man bereits in der spektakulären Auftaktsequenz, nämlich besagtem Coup inklusive anschließender Verfolgungsjagd, sehen kann.
Okay, Baby ist eigentlich eine nicht ganz gewöhnliche Genrefigur. Als auf die schiefe Bahn geratener Jungspund, der seine Schulden bei Doc arbeiten muss und danach frei sein möchte, bewegt er sich in bekanntem Rahmen. Allerdings ist Baby ein Musikfreak, dessen Zurückgezogenheit Züge von Autismus trägt, der beständig die Ohrstöpsel mit Beschallung in den Lauschern trägt, einen ganzen Vorrat von Sonnenbrillen bei sich hat und trotzdem aufmerksam alles mitkriegt. Einer, der Gesprächsfetzen zu Mixtapes montiert, einfach nur, weil es sein Hobby ist. Und genau diese Figur verpflanzt Edgar Wright eben in eine ansonsten klassische Gangster-Genrewelt.

Insofern ist es nicht überraschend, dass die Bekanntschaft mit der Kellnerin Debora (Lily James) seinen Ausstiegswunsch nur weiter motiviert. Doch, und das haben Gangstergeschichten ja so an sich, das Milieu holt mit Aussteigern immer schnell auf, was auch Baby bald zu spüren bekommt…
Es gibt zwei Quellen, aus denen sich „Baby Driver“ hauptsächlich speist. Das eine ist der Gangster- und Heistfilm, allen voran Walter Hills „Driver“, an den nicht nur der Titel des Films erinnert (schließlich ist Baby eine Art jüngeres Gegenstück zu Hills namenlosem Protagonisten), sondern dessen Regisseur einen (allerdings nur hörbaren) Gastauftritt in der englischen Originalversion hat. Ansonsten kennt man die Welt der durchgeplanten Coups, der verhängnisvollen letzten Aufträge und der maskentragenden Räuber aus Werken wie „Heat“, „The Town“ und „Gefährliche Brandung“, die hier mehr oder weniger direkt zitiert werden, allerdings ohne jenen Mehrwert, den die Anspielungen in der Cornetto-Trilogie hatten.
Inspirationsquelle Nummer zwei ist die Musik, schließlich ist „Baby Driver“ auch der Titel eines (weniger bekannten) Songs von Simon & Garfunkel. So knallt Wright dem Zuschauer ein persönliches Mixtape von manchmal softerem, manchmal knalligerem Rock vor die Füße, dessen Interpreten Blur, Beck und Queen umfassen, meist mit weniger berühmten Titeln. Das ist einerseits charmant, hat aber andrerseits auch den Hauch einer sonst wenig zielgerichteten Liebeserklärung an untergegangene Musik – den Stilwillen und die passende Rekontextualisierung, den solche Musikzitate bei Quentin Tarantino oder „Guardians of the Galaxy“ boten, der fehlt „Baby Driver“ leider, lässt seine Stücke manchmal etwas beliebig wirken.

Ebenfalls etwas unausgewogen ist die Wahl der filmischen Mittel: Wo bei „Scott Pilgrim“ noch quasi jede Verfremdung, jedes Stilmittel und jeder inszenatorische Kniff noch eine Unterstützung der Geschichte beinhaltete, da ist das „Baby Driver“ nicht immer so. Manches ist sicher clever eingesetzt – etwa ein Pfeifen zu Beginn des Films, das man erst für einen Fehler der Soundanlage des Kinos halten mag, das aber nachher als Babys Tinitus erklärt wird, den er durch die Dauerbeschallung mit Musik bekämpft. Andere Kabinettstückchen dagegen wiederholen sich, scheinen oft mehr Ausdruck eines Zeigewillens zu sein, als wirklich im Dienste der Geschichte zu stehen: Die Plansequenz, in der Baby nach dem Auftaktcoup Kaffee für den Rest der Bande holt und sich dabei musicalartig zu den Klängen aus seinen Kopfhörern bewegt, ist noch eine tolle Bebilderung wie sehr Musik sein Leben bestimmt; spätere Wiederholungen derartiger Situationen wirken dagegen überflüssig und penetrant.
Dabei hat Wright durchaus Spaß mit Topoi des Gangsterfilms zu spielen – etwa wenn der berühmte letzte Coup dann doch nicht ganz das standardmäßige Fiasko wird, das der genreaffine Zuschauer erwartet. Jedoch ist genau diese Unterwanderung von Erwartungen ein Nachteil für den Film: Danach hängt „Baby Driver“ in der Luft und der Zuschauer fragt sich wie die Gangsterwelt wieder zu Baby aufholt (der zwischenzeitlich ironischerweise für eine Pizzeria fährt, die nach dem Gangsterfilmklassiker „GoodFellas“ benannt ist). Denn Wright traut sich dann doch nicht so weit aus dem Genre hervor, dass dies nicht passieren würde. Bis dahin darf man der sich entwickelnden Liebschaft zwischen Baby und Debora beiwohnen, die leider darunter krankt, dass sie eben nicht mehr als ein Genrestandard ist, selten wirkliches Leben entwickelt und so zum großen Schwachpunkt des Films wird – die dolle Lovestory ist eher eine behauptete als tatsächlich zu sehende.

Der hier gewählte Genrerahmen und die Art wie er angegangen wird bedeutet zudem auch, dass „Baby Driver“ der wohl ernsthafteste Edgar-Wright-Film ist. Sicherlich gibt es mit Baby eine ungewohnte Hauptfigur, einige coole Oneliner („He puts the Asian in home invasion“) und manche komödiantische Szene (etwa eine Verwechslung zwischen Michael-Myers-Masken und Mike-Myers-Masken), aber insgesamt ist „Baby Driver“ deutlich weniger spielerisch: Tode sind hier der Grund für Rachegedanken und Trauer, gestorben wird oft blutig und tragisch und auch die Fallhöhe für manche Figur ist größer. Doch daraus kann Wright Profit schlagen, gerade wenn Baby Parallelen zwischen sich und Gangstern wie Buddy oder Bats (Jamie Foxx) erkennt oder sich eine Figur überraschend doch noch als hilfsbereiter Kerl erweist, den Regeln der Dog-Eat-Dog-Welt des Gangsterfilms entgegenstehend. In diesen Momenten zeigt sich dann jenes zwischenmenschliche Potential, das die handelsübliche Liebesgeschichte der Protagonisten eher verschenkt.
Natürlich gehört zu einer „Driver“-Hommage auch ein gerüttelt Maß an Action und die bekommt man hier in technischer Perfektion serviert. Unter der Leitung der Stunt-Koordinatoren Robert Nagle und Darrin Prescott finden sich ein paar kurze, bleihaltige Schießereien, vor allem aber schnittige Verfolgungsjagden zu Fuß und mit verschiedenen Autos, die den Geist PS-lastiger Klassiker wie „The French Connection“, „Ronin“ oder eben „Driver“ versprühen: Bodenständig, ohne übertriebene Kinkerlitzchen wie in den „The Fast and the Furious“-Sequels, aber trotzdem mit quietschenden Reifen, waghalsigen Fahrmanövern und einem nicht zu hektischen Schnitt. Das macht insgesamt Laune, trotz zweier kleiner Schönheitsfehler. Zum einen verpulvert Wright die eigentlich beste Autojagd bereits in der Auftaktszene. Zum anderen dauern die finalen Auseinandersetzungen doch einen Tick zu lang, gerade gemessen am sonst eher bodenständigen Stil des Films – aber vielleicht ist Wright einfach zu sehr bekennender Horrorfan, der Babys Gegenspieler im letzten Filmdrittel einfach immer wieder aufstehen und von den scheinbar Toten zurückkehren lässt.
Beeindruckend ist, neben der Action und Wrights inszenatorischen Stärken, auch der Cast des Films. Kevin Spacey als Planer ist ganz groß, ebenso Jon Hamm und Jamie Foxx als Gangster gegensätzlichen Zuschnitts. Eiza González schlägt sich wacker, während in Gastauftritten – passend zum Thema des Films – die Musiker Flea, Big Boi und Killer Mike zu sehen sind. CJ Jones kann als Adoptivvater Babys Akzente setzen, ebenso wie Jon Bernthal, dessen Rüpelrolle unerwartet klein ausfällt. Dagegen fallen ausgerechnet die jungen Hauptdarsteller etwas ab. Ansel Elgort als sensibler wie gleichzeitig cooler Fluchtwagenfahrer ist schon ganz gut und Lily James als herzensgute Kellnerin okay, aber ganz gut und okay reicht einfach nicht, wenn man zum einen den Film tragen, zum anderen neben den erwähnten Nebendarstellern nicht nur bestehen soll, sondern diese eigentlich überstrahlen.

So hinterlässt „Baby Driver“ gemischte Gefühle. Starke, aber nie zu abgehobene Action, ein grandioses Nebendarstellerensemble und eine formale Meisterschaft Edgar Wrights gehören zu den klaren Stärken, die allerdings Schwächen gegenüberstehen. Dazu gehören der manchmal etwas wenig zielgerichtete Einsatz von Kabinettstückchen, die Hauptdarsteller, die Gefahr laufen vom Supportcast verdrängt zu werden, und eine weniger überzeugende Lovestory, die den Heist- und Gangsterplot eher ausbremst als bereichert. Nach dem okayen, aber nicht überragenden „The World’s End“ erneut einen nur okayen, aber nicht überragenden Edgar-Wright-Film zu sehen ist insofern schon eine kleine Enttäuschung.

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