Review

Staffel 1 bis 3

Definiere Fremdscham

Die deutsche SitCom „jerks.“ wurde von der Produktionsfirma „Talpa Germany“ für den Video-on-Demand-Anbieter maxdome produziert, wo die erste, zehn Epsioden à 21 bis 27 Minuten umfassende Staffel ab 2017 zu sehen war. Kurz darauf strahlte sie der Privatsender Pro7 aus. 2018 und 2019 folgten Staffel 2 und 3 mit jeweils zehn weiteren Episoden. Die Regie übernahm mit Christian Ulmen einer der Hauptdarsteller, die Drehbücher stammen von verschiedenen Autorinnen und Autoren, u.a. Johannes Boss und Murmel Clausen. Es handelt sich um eine Adaption der dänischen Serie „Klovn“, die von 2005 bis 2018 produziert wurde. Diese wiederum war inspiriert von der US-Serie „Curb Your Enthusiasm“, die wiederum Pate für „Pastewka“ stand, sodass sich einige Parallelen ergeben:

Die Entertainer/Schauspieler Christian Ulmen („Herr Lehmann“) und Fahri Yardım („Kebab Connection“) leben mit ihren Freundinnen Emily Cox („Dutschke“) und Pheline Roggan („Russendisko“) in Potsdam und sind eng miteinander befreundet. Beide geraten von einem Schlamassel in den anderen und lassen kein Fettnäpfchen aus, streiten sich, vertragen sich und versuchen immer wieder, mit ihrer egoistischen, auf den eigenen Vorteil bedachten Lebenseinstellung und ihren vielen Notlügen durchzukommen. Neben ihren Lebensgefährtinnen sind oftmals Freundinnen und Freunde sowie Kolleginnen und Kollegen aus der Unterhaltungsbranche oder Familienangehörige die Leidtragenden…

Was Bastian Pastewka mit „Pastewka” in Deutschland vorgemacht hatte, führen Ulmen, Yardim & Co. fort: Sie geben vor, sich selbst zu spielen, spielen jedoch Alter Egos, die ihr Publikum von einem Fremdschammoment in den nächsten jagen. „jerks.“ ist dabei wesentlich krawalliger, aber auch bewusst peinlicher als der meist subtilere „Pastewka“ und geht in schöner Regelmäßigkeit dahin, wo’s richtig wehtut. Ulmen und Yardim kennen keine Tabus, „jerks.“ ist sexualisiert und vulgär. Ständig verstricken sie sich in absurde Lügenkonstrukte, plaudern intimste Details aus – auch gegenüber völlig Fremden – und reden sich um Kopf und Kragen, hauen sich aber stets gegenseitig in die Pfanne, sobald es auch nur ansatzweise eng wird, sodass ihre Freundschaft oft auf eine harte Probe gestellt wird. Bei Ulmen und Yardim treffen soziale Inkompetenz auf soziale Inkompetenz, einmal in seiner verpeilt-trotteligen und einmal in seiner schnoddrig-prolligen Erscheinungsform. In „jerks.“ sind sie sich wirklich für nichts zu schade. Je pikierender und ehrrührender etwas anmutet, desto geeigneter scheint es für diese Serie.

Besonderheiten der SitCom sind darüber hinaus zum einen die meist improvisierten Dialoge, die hier vorzüglich gelungen sind und den einzelnen Episoden trotz ihrer oftmals arg konstruierten Drehbücher einen Anstrich von Authentizität verleihen und in ihrer Trockenheit begeistern. Zum anderen sind es die Gastauftritte zahlreicher Kolleginnen und Kollegen: Während Ulmens tatsächliche Ehefrau Collien Ulmen-Fernandes zur Stammbesetzung als seine Ex-Frau (!) zählt, geben sich Personalien wie Sido, Charlotte Würdig, Nora Tschirner, Andreas Bourani, Palina Rojinski, Joko & Klaas oder Marcel Reif die Klinke in die Hand und lassen sich ebenfalls ohne Rücksicht auf Verluste durch den Kakao ziehen. Jedoch schreckte man auch nicht vor der Verpflichtung solcher Ekelpakete wie Möchtegern-Rapper und Schnullerbacke Kenneth Glöckler oder des rechtspopulistischen Sat.1-Pseudojournalisten Claus Strunz zurück.

Die Figurenkonstellation ändert sich, als Christian Ulmen in Staffel 2 mit der sich ebenfalls selbst spielenden „Gefühlsspastikerin“ Jasna Fritzi Bauer („Bornholmer Straße“) zusammenkommt. In Staffel 3 kehrt er jedoch – natürlich nicht konfliktfrei – zur bezaubernden Emily Cox zurück, die in „jerks.“ irritierenderweise mehrfach als korpulent konnotiert wird. Da dies sehr offensichtlich in keiner Weise auf sie zutrifft, habe ich diesbezüglich entweder den Witz nicht verstanden oder die Autoren haben etwas verbaselt. Der „jerks.“-Humor beherrscht durchaus auch hintersinnige Komik und etwas leisere Töne, sensibilisiert z.B. für die Tücken des Smalltalks, lässt seine Protagonisten vor allem aber jedes Fettnäpfchen mit Anlauf nehmen – und geht sogar darüber hinaus: Im ersten Staffelfinale bleibt einem das Lachen sehr wahrscheinlich im Halse stecken, wenn einer der beiden Vollidioten den Tod der Wachkomapatientin Muriel (Gisa Flake, „Little Thirteen“) zu verantworten hat – und damit durchkommt. Eher entsetzlich als witzig mutet es an, wenn ein ohnehin schon immer etwas eigenartig wirkender Freund (Nils Dörgeloh, „Coming In“) Christians und Emilys von seinem Sex mit ihr berichtet, während man als Zuschauerin oder Zuschauer weiß, dass sie sich kurz vor ihrer Erkrankung eigentlich von ihm trennen wollte. Und auch über das Thema Krebserkrankungen kann sicherlich nicht nur ich ebenso wenig lachen. „jerks.“ scheint diese Nadelstiche jedoch bewusst zu setzen und will an persönliche Humorgrenzen seines Publikums führen, das sich plötzlich damit konfrontiert sieht, sich mit Behindertenfeindlichkeit, Sexismus und ähnlichen unappetitlichen Themen auseinandersetzen zu müssen.

Einige Episoden entsprechen originalgetreuen Neuverfilmungen von „Klovn“-Episoden, deren Hauptdarsteller Frank Hvam und Casper Christensen auch einen „jerks.“-Gastauftritt absolvieren. Andere Folgen wiederum stammen aus eigener Autor(inn)enfeder. Bei beiden Varianten wirkt es häufig, als habe man aus einem Pool peinlichster Situationen, die anderen wiederfahren sind und die auf einen Aufruf o.ä. hin eingesandt wurden, auswählen können und diese auf Ulmen und Yardim reduziert bzw. in dieser Serienform verdichtet. Inkohärent ist dabei leider die Kontinuität, denn obwohl die einzelnen Episoden aufeinander aufbauen und horizontale Erzählstränge aufweisen, scheinen manche eigentlich folgenreichen Ereignisse der einen Episode in der nächsten bereits vergessen, als hätten sie nie stattgefunden. Dass man es nötig hat, eine einzelne Folge (S3E3) von einem Keksriegelhersteller sponsern zu lassen, mutet ebenfalls etwas befremdlich an.

Nichtsdestotrotz ist der Dampframmenhumor der Serie in seiner Radikalität erstaunlich und bemerkenswert, nicht selten an der Grenze zur Unerträglichkeit und manchmal auch so sehr darüber, dass man kaum noch hinschauen kann und sich das Lachen stärker aus dem ungläubigen Staunen über das, was man hört und sieht, heraus generiert als aus der eigentlichen Komik der Pointen. Eine vierte Staffel ist bereits avisiert.

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