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Zwischen dem Skulpturengarten des Museum of Modern Art, dem Lincoln Center, den engen Sitzen der Carnegie Hall, den Apartments des intellektuellen Establishments der Upper West Side und den Kunstgalerien von SoHo markiert Woody Allen in "Manhattan" die Koordinaten der New Yorker Intelligenzia. Er spielt Isaac "Ike" Davis, einen 42jährigen Gagschreiber und Satiriker beim Fernsehen, der seinen Job kündigt, weil er die Sendungen, an denen er mitwirkt, zunehmend antiseptisch, geistlos und humorlos findet und seine Desillusionierung im Gegensatz zu seinen Kollegen nicht mit Pillen und Drogen betäuben möchte. Nun muss er sich finanziell einschränken, doch er will bis Ende des Jahres ein Buch über seine Mutter, die er als "kastrierende Zionistin" bezeichnet, herausbringen.

Sein Freund Yale (Michael Murphy), Lehrer und Autor, hat eine Affäre mit der redseligen, geschiedenen Journalistin Mary Wilke (Diane Keaton), doch ihm wird die Liaison zu heikel und er überlässt Mary binnen kurzer Zeit seinem geschiedenen Kumpel Ike, um seine Ehe mit Emily (Anne Byrne) nicht zu gefährden, zumal auch er den Plan hat, ein Buch zu veröffentlichen und eine Zeitschrift zu gründen. Seine Frau hingegen träumt von Kindern und einem Leben auf dem Land in Connecticut.

Ike hat jedoch schon eine neue Freundin: Die 17jährige Tracy (Oscar-Nominierung: Mariel Hemingway), die schon drei gescheiterte Romanzen mit Jungs hinter sich hat und nun eine ernsthafte Beziehung mit Ike sucht, der sich dran stößt, dass er älter ist als ihr Vater. Mary hingegen vermutet bei Ike einen Lolita-Komplex. Ike findet die mit starkem feministischem Bewusstsein ausgestattete und sich unentwegt entäußernde Mary zunächst unerträglich und pseudo-intellektuell. Nachdem Yale aber mit Mary Schluss gemacht hat, um seine Ehe zu retten, treffen sich Ike und Mary mehrmals und ehe sie sich's versehen sind sie miteinander liiert. Ike denkt, er könnte nun leichterhand die Affäre mit Tracy beenden, doch er hat unterschätzt, wie erwachsen und ernsthaft ihre Gefühle für ihn sind. Der Moment, in dem er ihr eröffnet, dass er eine Beziehung mit einer Frau aufbauen möchte, die mehr seinem eigenen Alter entspricht, wird zu einem Moment unerwarteter Heftigkeit für die aufrichtige Tracy, die wie vor den Kopf gestoßen ist.

Ike erfährt, dass seine zweite Exfrau Jill (Meryl Streep), die nach einer bisexuellen Zwischenphase nun in einer homosexuellen Partnerschaft mit einer Frau lebt, ein Enthüllungsbuch über ihn und die gescheiterte Ehe schreiben will. Er will dies verhindern, zumal er befürchtet, dass sein Versuch, Jills Geliebte Connie (Karen Ludwig) mit dem Auto zu überfahren, Thema des Buches sein dürfte. Der gemeinsame Sohn von Jill und Ike, Willie, lebt bei den beiden Frauen; Ike hat lediglich ein Wochenend-Besuchsrecht.

Bei einer Ausflugsfahrt mit Yales neu erstandenem historischen Porsche in die Hamptons entdeckt Ike im Schaufenster einer Buchhandlung, dass Jills intimer Ehereport schon als Buch veröffentlicht worden ist und er muss zu seinem Entsetzen feststellen, dass sie kein Detail ausgespart hat und sich nun noch mit dem Gedanken trägt, das Buch verfilmen zu lassen. Doch ein Unglück kommt selten allein: Nachdem ihr Analytiker durch einen Drogentrip ins Koma gefallen ist, eröffnet Mary Ike, dass sie und Yale noch immer ineinander verliebt sind und Yale sogar aus der ehelichen Wohnung ausziehen möchte, um mit ihr zusammen zu leben. Ike ist fassungslos über Marys Wankelmut und stellt Yale erzürnt zur Rede in der Schule, an der dieser unterrichtet. Bei einer introspektiven Selbstbefragung nach den Dingen, die ihm im Leben wirklich wichtig sind, wird Ike klar, dass ihm an Tracy doch mehr gelegen ist, als er ursprünglich wahrhaben wollte. Doch die soeben 18 gewordene Tracy hat ihre Koffer gepackt und ist im Begriff, nach London abzureisen, wo sie für ein halbes Jahr an einer Schauspielschule studieren möchte. ike, der mal wieder kein Taxi erwischt hat und zu Fuß durch die Stadt gerannt ist, um ihr seine neu entflammte Liebe zu gestehen, möchte sie in letzter Minute dazu bewegen, sich nicht auf den Weg zum Flughafen zu machen, sondern bei ihm zu bleiben.

Frei nach Brechts epischem Theater, für welches Mary doch immer ein betontes Faible hatte (in einer Szene nennt sie es "germanistisches Theater"), sieht man den Vorhang nun geschlossen, doch alle Fragen offen.

In "Manhattan" generiert Woody Allen keine verklärte Idylle, sondern zelebriert mit unwiderstehlichem Gespür für die Poesie des Alltags die Einmaligkeit des "Big Apple". Natürlich dreht es sich auch in Allens Manhattan um die klassischen Gesprächsthemen der New Yorker: Aktien, Kunst und Wohnungen. Doch erzählerisch ist er mit Co-Autor Marshall Brickman vor allem im amerikanischen Realismus zuhause, Manhattan ist sein Terrain. Den East River überquert man bestenfalls, um am Wochenende das gemietete Häuschen auf Long Island oder abends per Taxi ein Restaurant in Brooklyn aufzusuchen. Er mimt den perfekten Antihelden, der Neonazis mit dem Baseballschläger eins drüber geben möchte, aber eine Demonstration gegen den Abriss eines architektonisch bedeutsamen Hauses schon abbricht, sobald ihm ein Polizist auf die Hand tritt. Sympathiepunkte beim Zuschauer büßt er aber ein, wenn er die aufrichtig empfindende Tracy am Tresen einer Kaffeebar abserviert.

Insgesamt ist der Film voller Tragikomik und reich an ebenso geistreichen wie kessen Dialogen und Monologen. Quirliges Geplapper und ernsthafte Szenen sind aneinander gereiht. Als elegante Akustikperle erweist sich die passende Untermalung durch Musik von George Gershwin. Auf den Punkt genau passend scheint "Embraceable You" zu erklingen, als Ike und Mary spontan eng umschlungen zwischen Schreibmaschine und Bücherregal im Wochenendhaus in den Hamptons miteinander tanzen. Köstlich unterkühlt spielt Meryl Streep als selbstbewusste New Yorkerin, bei der die Entschlossenheit die Empathie überwiegt.

"Manhattan" fängt den Spirit New Yorks in einem gleichmäßig dahinfließenden Parlando mit all seinem alltäglichen Wahnsinn, seinen Banalitäten, den zahllosen kleinen Geschichten, die buchstäblich auf der Straße liegen, ein. Der Film ist ein großer Wurf, der mit zahllosen Details im Gedächtnis bleibt. Ein Glücksfall ist die Magie der horizontalen Bilder, mit denen Kameramann Gordon Willis die in die Vertikale gebaute Stadt in Schwarzweiß eingefangen hat.

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